Wissenschaft ist nicht Politik

Wissenschaft und Forschung sind öffentlich so prĂ€sent wie noch nie. Ăber ihre Leistungen in der BekĂ€mpfung von Corona wird stĂ€ndig berichtet. Und der Wert von Grundlagenforschung wurde in der Ăffentlichkeit selten deutlicher. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind prominent in den Medien und in zahlreichen Gremien der Politikberatung vertreten. Dennoch zeigen empirische Daten sinkendes Vertrauen nicht nur in die Politik, sondern auch in Medien und Wissenschaft. ReprĂ€sentative Langzeitstudien wie etwa von Gallup/Medienhaus weisen zwar zu Beginn der Krise noch hohe GlaubwĂŒrdigkeitswerte und hohes Vertrauen in etablierte Medien und Expertinnen und Experten aus. Doch diese Zustimmung erodiert deutlich im Zeitverlauf.
Nicht nur Viren verbreiten sich rasend schnell, auch LĂŒgen, Fiktionen und Propaganda. Kontingenz- und UnsicherheitsbewĂ€ltigung durch Verschwörungstheorien, die Nutzung von (manchmal selbst geschĂŒrter) Aufregung und die Mobilisierung der durch den dauerhaften Ausnahmezustand Frustrierten sind wohl einige der Ursachen dieser âInfodemicâ. Eine (laute) Minderheit, die moderner Wissenschaft generell skeptisch gegenĂŒbersteht und besonders die Schulmedizin ablehnt, verweigert zunehmend auch alle Medien, in denen sie vorkommt. Wissenschaftsfeindlichkeit wird in sozialen Medien als ziviler Ungehorsam oder Satire verbrĂ€mt.
In gesellschaftliche ZusammenhÀnge einbetten
Wissenschaftskommunikation sollte sich folglich nicht im âpreaching to the convertedâ â also in der Kommunikation mit jenen, die der Wissenschaft ohnedies vertrauen â erschöpfen, sondern auf die Fragmentierung der Ăffentlichkeit und im aktuellen Fall auch auf ihre Polarisierung reagieren.
âWissenschaftskommunikation sollte sich nicht im 'preaching to the converted' erschöpfen, sondern auf die Fragmentierung der Ăffentlichkeit reagieren.â
Es geht dabei nicht um die Demokratisierung von Wissenschaft selbst, die sich an ihren inhĂ€renten Prinzipien orientieren und im Sinne anwendungsoffener Grundlagenforschung nicht immer unter das Joch der öffentlich verhandelten NĂŒtzlichkeit beugen soll. Sondern um die Demokratisierung der Kommunikation von und ĂŒber Wissenschaft und um die kommunikative Einbettung von Wissenschaft in gesellschaftliche ZusammenhĂ€nge. Der Weg von einem âPublic Understanding of Scienceâ zu einem âPublic Engagement with Scienceâ fĂŒhrt ĂŒber viele KanĂ€le: von der klassischen Medienarbeit (PR) bis zu konkreten Debatten, von sozialen Medien zu Podcasts, von der Teilnahme an der journalistischen Aus- und Weiterbildung bis zu Medientrainings bei Berufungen von Forschenden, von partizipativen Prozessen wie Citizen Science zu neuen Formaten der Kommunikation.
Neues SelbstverstÀndnis von Wissenschaft
Dies bedeutet nicht nur eine Ausweitung der Formen und (budgetĂ€ren) Mittel, sondern auch ein neues SelbstverstĂ€ndnis von Wissenschaftsorganisationen. Als Plattformen fĂŒr kuratiertes Wissen sollen sie das jeweils bestgesicherte Wissen in ihren Forschungsfeldern aktiv anbieten und das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung stĂ€rken und â auch gegen WiderstĂ€nde â verteidigen. Wie es etwa die ALLEA (All European Academies Organization) in ihrem Grundsatzpapier von 2019 Trust in Science and Changing Landscapes of Communication zusammenfasst: âForschende und Wissenschaftsvermittler/innen haben die essenzielle Aufgabe, die Eckpfeiler des Vertrauens â IntegritĂ€t, Transparenz, Autonomie und Rechenschaftspflicht â zu bewahren und zu festigen, um gegen Vertrauensverlust und schwindende VertrauenswĂŒrdigkeit von Wissenschaft und Forschung anzukĂ€mpfen. Sie mĂŒssen den plausiblen Beweis erbringen, dass in einer freien und gerechten Gesellschaft zwar alle Menschen gleich sind, aber nicht alle ĂuĂerungen gleich wahr sind.â
Missverstandene ObjektivitÀt
FĂŒr professionelle Medien heiĂt dies, dass man âFramesâ wie Konflikt, Wettbewerb (Horse-Race), Human Interest (Einzelfallschilderung) und Personalisierung (an Stelle von Strukturanalysen) nicht auf die Berichterstattung ĂŒber Wissenschaft anwenden sollte. Denn Wissenschaft ist nicht Politik. In der Wissenschaft steht die Produktion evidenzbasierter Erkenntnisse und nicht das Vertreten von Interessen im Zentrum.
âIn der Wissenschaft steht die Produktion evidenzbasierter Erkenntnisse und nicht das Vertreten von Interessen im Zentrum.â
Zu jeder wissenschaftlich abgesicherten Aussage eine auch noch so abstruse Gegenposition zu finden, fĂŒhrt nicht zu mehr ObjektivitĂ€t, sondern zu Unausgewogenheit (False Balance) und rĂŒckt randstĂ€ndige Positionen ungerechtfertigterweise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dies meint nicht naive WissenschaftsglĂ€ubigkeit in den Redaktionen, sondern transparente Darstellung von wissenschaftlichen Konsensen und dem State of the Art. Das gilt auch fĂŒr die Akzentuierung und Skandalisierung von EinzelfĂ€llen ohne die Darstellung von Wahrscheinlichkeiten, den Zwang zu Spekulationen in Interviews (âwas wĂ€re, wennâ) und den Versuch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Antworten auf Fragen zu bekommen, auf die es keine gibt â etwa welchen âSinnâ die Pandemie hĂ€tte.
Mehr Diskurs, mehr Transparenz, mehr Förderung
Sinnvoll wĂ€re aber auch mehr Interaktion und Diskurs mit dem Publikum und das offene Ansprechen von Kritik, Zweifeln und Irritationen. Aber auch deutlich zu machen, dass es unter dem PrĂ€text der Meinungsfreiheit keinen Anspruch auf unwahre Tatsachenbehauptungen gibt â weder ethisch noch rechtlich. Viele Medien haben sich redlich bemĂŒht und versucht, sich auf die geĂ€nderte Situation einzustellen, aber angesichts der ErlösausfĂ€lle, der Kurzarbeit und der geĂ€nderten MedienmenĂŒs des Publikums wird es nur mit Appellen an das professionelle Ethos nicht getan sein.
âEs braucht Wettbewerbs- und Förderungsstrukturen, die nicht allein an QuantitĂ€t orientiert sind, sondern auch Wissenschaftsjournalismus fördern.â
Es braucht dafĂŒr auch entsprechende Rahmenbedingungen: Wettbewerbs- und Förderungsstrukturen, die nicht allein an QuantitĂ€t orientiert sind, sondern auch Wissenschaftsjournalismus fördern und es ermöglichen, die Wissenschaftsredaktionen mit mehr Stellen auszustatten oder diese ĂŒberhaupt einzurichten und ein basales VerstĂ€ndnis von Wissenschaft in die Weiterbildung aller Redaktionen zu integrieren.
Nötig wĂ€re die angemessene Regulierung von sozialen Medien und Plattformen, die Förderung der Medien- und Wissenschaftskompetenz des Publikums, zum Beispiel bei der Trennung von Fakten und Fiktionen, und auch die zusĂ€tzliche finanzielle Dotation der Kommunikation von Wissenschaft in den öffentlichen Budgets. Kurz: Ordnungspolitik fĂŒr die Schaffung der Rahmenbedingungen von mehr QualitĂ€t â nicht nur, aber auch â der Wissenschaftskommunikation. Denn Wissenschaftskommunikation alleine kann der Fragmentierung der Ăffentlichkeit und der Polarisierung der Gesellschaft nicht entgegenwirken. Aber sie kann und soll zumindest die Idee der AufklĂ€rung auch in mediatisierten sozialen Welten verteidigen.
Matthias Karmasin ist Direktor des Instituts fĂŒr vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften (ĂAW) und der UniversitĂ€t Klagenfurt, wo er Professor fĂŒr Kommunikationswissenschaft ist. Seit 2011 ist er korrespondierendes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ĂAW und seit 2018 ordentliches Mitglied der EuropĂ€ischen Akademie der Wissenschaft. Karmasin hat mehrere Grundlagenprojekte, gefördert durch den Wissenschaftsfonds FWF, geleitet.