Europas Politik im Bann der Verschwörungen
Das Covid-19-Virus als Entwicklung einer profithungrigen Pharmaindustrie, die Pandemie als Vorstufe eines von Eliten angestrebten autoritären Überwachungsstaats und die Impfung, die eigentlich Bill Gates’ geheimem Plan zur Bevölkerungsreduktion dient: Die Unsicherheit während der Coronapandemie führte dazu, dass sich Verschwörungserzählungen erstaunlich rasant verbreiteten und eine große Anhängerschaft quer durch die Gesellschaft erreichten. Das ging so weit, dass sich auch eine politische Wirkung zeigte. Besonders rechtspopulistische Parteien deuteten die Mythen im Sinne ihrer Agenda um.
Das in dieser Dimension neuartige Phänomen begann schnell auch die Wissenschaft zu interessieren. Im Jahr 2022, noch vor Ende der Pandemie, startete an der Universität Salzburg gemeinsam mit der Universität Lausanne das – in Österreich vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte – Forschungsprojekt „Populismus und Verschwörung in der COVID-19-Pandemie“. Auf die wachsende Bedeutung von Mythen aller Art haben die Projektteams mit der Ausweitung ihres Fokus auf die Themen Klimawandel und Immigration unmittelbar reagiert. „Bisher kamen die meisten Erklärungsansätze zu Verschwörungsglauben aus der Psychologie und standen im Zusammenhang mit den USA. Unser Projekt widmet sich dagegen politischen Erklärungen, die einen spezifischen Europabezug aufweisen“, hebt Reinhard Heinisch, Politologe an der Universität Salzburg und Initiator des Projekts, den innovativen Charakter der Forschung hervor.
Studie zu Populismus und Verschwörung
Jede/r fünfte Österreicher:in glaubt an geheime Mächte in der Politik, gleich viele wie in der Schweiz und mehr als in Deutschland (12 %). Das ist das Ergebnis einer Studie in vier EU-Ländern. Überraschend für die Studienautor:innen ist, dass Bildungsunterschiede kaum relevant sind für die Affinität zu Verschwörungen.
„Wir in Salzburg untersuchen die Einstellungen von Wähler:innen quer durch Europa und wie die Wirksamkeit der Verschwörungserzählungen zustande kommt“, skizziert Heinisch. „Unsere Kolleg:innen in Lausanne untersuchen dagegen, welche Behauptungen im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen rechtspopulistische Politiker:innen aufgreifen und in welcher Weise sie diese für das Erreichen ihrer Ziele verwenden.“ Der Schwerpunkt dieser Studien liegt auf den Ländern Schweiz, Österreich, Italien und Frankreich. Das ist kein Zufall, denn hier bestimmen rechtspopulistische Parteien seit Langem den politischen Diskurs mit.
Glauben an verdeckte Gruppen, die die Fäden ziehen
Ein zentraler Begriff in der Umfrageforschung des Projekts ist die Verschwörungsmentalität. Im Gegensatz zu den konkreten Erzählungen bezeichnet sie den Grad einer grundsätzlichen Bereitschaft, an verdeckte Gruppen zu glauben, die die Fäden hinter aktuellen Entwicklungen ziehen. Gleichzeitig ist es auch wichtig, zwischen radikalen politischen Positionen und der Neigung zu Verschwörungserzählungen klar zu unterscheiden. „Immigration grundsätzlich abzulehnen und die Regierung für unfähig zu halten, ist keine Verschwörungserzählung. Von einem Plan zu sprechen, wonach die Regierung das Volk mit Immigrant:innen ersetzen will, aber sehr wohl“, illustriert Heinisch.
Für die Analyse der internationalen Wählerschaft nutzten die Salzburger Forschenden unter anderem Daten des European Social Survey, der regelmäßig Einstellungen, Werte und soziale Entwicklungen in der EU erhebt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass in Österreich etwa 20 Prozent der Bevölkerung eine ausgeprägte Verschwörungsmentalität aufweisen und also glauben, dass es bei politischen und anderen Entwicklungen nicht mit rechten Dingen zugeht. Im Bundesländervergleich sind Kärnten mit 30 Prozent und Salzburg mit 29 Prozent die Spitzenreiter.
„In Österreich glauben etwa 20 Prozent der Bevölkerung, dass es bei politischen und anderen Entwicklungen nicht mit rechten Dingen zugeht.“
Verschwörungsmentalität im Europavergleich
Österreich liegt damit gleichauf mit der Schweiz, der Wert ist aber höher als in Deutschland, für das 12 Prozent erhoben wurde. Skandinavische Länder schneiden deutlich besser ab – Schweden etwa mit nur 7 Prozent. Am Balkan schnellen die Werte zum Teil in die Höhe mit Ländern wie Mazedonien, wo über 60 Prozent zur Verschwörungsmentalität neigen.
„Es ist klar, dass es politische Faktoren geben muss, die diese Unterschiede erklären. Die Untersuchungen zeigen, dass das Vertrauen in die Demokratie sowie das Vorhandensein von Korruption extrem stark mit der Verschwörungsmentalität korreliert“, resümiert Heinisch. Korruption und wenig gefestigte demokratische Werte bereiten also letztendlich den Boden, auf dem die irreleitenden Mythen gedeihen können.
Bildungsunterschiede kaum, Medien schon relevant
Erstaunlich ist, wie wenig die Verschwörungsmentalität von sozialen Merkmalen abhängig ist. „Das Geschlecht macht kaum einen Unterschied, es gibt auch wenig Variation beim Alter der Befragten“, schildert Heinisch. „Selbst die Korrelation mit Bildung ist relativ gering. Der Zusammenhang ist hier nicht linear, wie man annehmen könnte: Die Anfälligkeit ist zwar bei hoher Bildung am geringsten, doch auch bei sehr geringer Bildung ist sie niedrig.
Es sind zumeist die Gruppen dazwischen mit mittlerer bis höherer Bildung, die skeptisch gegenüber Eliten sind, sich selbst zutrauen, komplexe Dinge zu durchschauen, und dabei in die Irre gehen.“ Die mit Abstand höchste Korrelation liegt allerdings bei Wähler:innen radikaler Parteien – sie sind am ehesten bereit, an Verschwörungsmythen zu glauben. Der Effekt bildet sich nicht nur bei Wähler:innen rechts außen ab, sondern im verminderten Maß auch bei jenen am linken Rand.
Der Verschwörungsglaube fällt je nach Thema unterschiedlich stark aus. Die Umfragen, die im Rahmen des Projekts in Österreich durchgeführt wurden, zeigen, dass bei Corona die Bereitschaft, an Verschwörungen zu glauben, mit Abstand am höchsten ist. Hier ist auch ein klarer Zusammenhang mit dem Medienkonsum offensichtlich. „Jene Befragten, die angeben, nur Privatfernsehen zu konsumieren, zeigen auch die größte Zustimmung zu Verschwörungsinhalten. Sobald auch öffentlich-rechtliche Fernsehangebote regelmäßig genutzt werden, sind die Werte niedriger“, hebt Heinisch hervor.
Eine radikale Message für populistische Parteien
Der Erfolg der Rechtspopulist:innen führte dazu, dass andere Parteien deren Strategien kopieren. Identitätspolitik wurde zunehmend Teil des politischen Mainstreams. „Das Aufgreifen der Verschwörungsinhalte durch rechtspopulistische Parteien ist auch ein Versuch, die Radikalität ihrer Erzählung zu bewahren“, erklärt Heinisch. „Diesem Muster folgend wurden in Italien, Österreich und Deutschland die Themen Corona und Impfungen stark aufgegriffen, in Frankreich dagegen deutlich weniger. In Österreich, wo das Thema Migration Dauerbrenner ist, hörte man von der FPÖ sehr unterschiedliche Botschaften zu Corona, bevor die Partei sich auf eine Linie festlegte.“
In den seltensten Fällen werden die Verschwörungen von den Rechtspolitiker:innen selbst vertreten. „Rechtspopulist:innen spielen mit Erzählungen wie jener vom ,großen Austausch‘. Man macht Anspielungen, bedient Narrative, ohne aber selbst dezidiert Behauptungen aufzustellen“, erklärt Heinisch.
Die Ergebnisse des Projekts tragen dazu bei, die Anfälligkeit gegenüber Verschwörungserzählungen besser zu verstehen. „Sicherheit ist ein entscheidender Faktor. Wir können Anhaltspunkte geben, welche Ängste verschiedene Personengruppen haben und wie man am besten mit ihnen kommuniziert“, erläutert Heinisch. „Die zentrale Frage dabei ist, wie man in unserer extrem personenzentrierten Politik die Menschen in emotionaler Weise ansprechen kann – und ihre Ängste und Sorgen zu einem Teil von Gegennarrativen zu den Verschwörungen machen kann.“
Zur Person
Reinhard Heinisch ist Universitätsprofessor für Österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive an der Universität Salzburg, wo er von 2009 bis 2024 den Fachbereich Politikwissenschaft leitete. Von 1994 bis 2009 war er an der University of Pittsburgh in den USA tätig. Seit 2014 lehrt er regelmäßig an der Renmin University of China in Peking.
Heinisch fungierte als politischer Berater für verschiedene Regierungsstellen und Organisationen, darunter das US-Außenministerium und das österreichische Verteidigungsministerium. Zudem kommentiert er häufig politische Entwicklungen in nationalen und internationalen Medien. Das von 2022 bis 2026 laufende internationale Projekt „Populismus und Verschwörung in der COVID-19-Pandemie“ wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 432.000 Euro gefördert.
Publikationen
„Die da oben führen was im Schilde.“ Verschwörungsdenken in Deutschland und Österreich im Vergleich, 2024
Exploring the Extremes: The Impact of Radical Right-Wing Populism on Conspiracy Beliefs in Austria, 2024