Die Spur fĂŒhrt zu IL-6
Welche Tumoren auf welche Weise Kachexie auslösen, ist bislang nicht geklĂ€rt. âTumoren, die die Signale fĂŒr Kachexie aussenden, wachsen in der Regel nicht schneller. Das heiĂt, sie haben keinen Vorteil davon, sondern es geschieht eher zufĂ€lligâ, erklĂ€rt Schweiger. HĂ€ufig handelt es sich um kleine Tumoren aus sekretorischen Geweben wie der BauchspeicheldrĂŒse.
Im Verlauf des Forschungsprojekts machte Schweigers Team zufĂ€llig eine entscheidende Beobachtung: Eine Krebszelllinie, die ursprĂŒnglich keine Kachexie bei MĂ€usen auslöste, hatte sich durch normale MutationsvorgĂ€nge zu einer Zellart entwickelt, die plötzlich den krankhaften Gewichtsverlust verursachte.
Serendipity â der glĂŒckliche Zufall
âDas war fĂŒr uns ein GlĂŒcksfallâ, sagt Schweiger. âDenn so konnten wir zwei Zelllinien vergleichen, die sich in ihrer FĂ€higkeit, Kachexie auszulösen, unterscheiden.â Beim Vergleich dieser Zelllinien entdeckten die Forschenden SignalmolekĂŒle, die ausschlieĂlich von jenen Zellen produziert werden, die Kachexie verursachen. Darunter befand sich das Zytokin Interleukin-6 (IL-6), ein Signalstoff des Immunsystems. IL-6 bildet zusammen mit einem Rezeptor im Blut einen Komplex, der an verschiedenen Körperzellen andockt und den Abbau von beispielsweise Muskelgewebe auslöst. âNach der Entfernung von IL-6 aus den Krebszellen und auch aus dem Blutkreislauf induzierten die zuvor kachexigenen Tumoren keine Kachexie mehrâ, berichtet Schweiger.
Diese Ergebnisse veröffentlichte die Gruppe in der Fachzeitschrift Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle und stellte ihr Zellmodell der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur VerfĂŒgung. Welche molekularen VorgĂ€nge genau verantwortlich sind, will Schweiger in Folgeprojekten im Detail untersuchen â doch schon jetzt sind die Ergebnisse wegweisend fĂŒr therapeutische AnsĂ€tze.
Ein HoffnungstrÀger?
âIm Rahmen des Projekts und in Zusammenarbeit mit einem Partner aus China haben wir R-Ketorolac als potenzielle Behandlungsoption fĂŒr Kachexie identifiziertâ, sagt Schweiger. Dabei handelt es sich um das R-Enantiomer, also die chemisch gespiegelte Variante, von S-Ketorolac. S-Ketorolac ist ein Schmerzmittel, das normalerweise nach Operationen eingesetzt wird, in dieser Form jedoch nicht gegen Kachexie hilft.
In Experimenten erhöhte das Medikament die Zahl der T-Lymphozyten und senkte den IL-6-Spiegel im Blut. Der Effekt: Der Gewichtsverlust verlangsamte sich und die Ăberlebensrate der MĂ€use stieg selbst unter Chemotherapiebedingungen, wie Schweigers Team in einer Publikation veröffentlichte. Nach den vielversprechenden prĂ€klinischen Ergebnissen wird das Medikament derzeit in einer ersten klinischen Studie am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles bei Patient:innen mit fortgeschrittenem Pankreaskarzinom getestet.
âDie Zusammenarbeit zwischen Mediziner:innen und uns Grundlagenwissenschaftler:innen ist essenziellâ, betont Schweiger. âWir leisten die Vorarbeit mit Zellkulturen und Mausstudien, bevor groĂ angelegte klinische Studien beginnen können.â
Kooperationen in Graz und Szeged
Um den Stoffwechsel kachexigener Tumoren besser zu verstehen, arbeitet Schweigers Gruppe eng mit Partnern in Graz und Szeged (Ungarn) zusammen. Clemens Diwoky von der UniversitĂ€t Graz untersuchte die Tumoren mithilfe von Magnetresonanz-Spektroskopie auf ihren Lipidgehalt, ihren Energiezustand und die Durchblutung. âIhm ist es gelungen, eine Methode zu entwickeln, um den Energiestatus eines Tumors im lebenden Organismus â in diesem Fall in der Maus â zu messenâ, so Schweiger ĂŒber die Ergebnisse einer dritten Publikation, die aus dem Projekt hervorgegangenen ist.
Gemeinsam mit den ungarischen Partnern wurde auĂerdem der Lipidstoffwechsel kachexigener und nicht-kachexigener Tumoren analysiert. Dabei zeigte sich, dass der Lipidhaushalt das Tumorwachstum deutlich beeinflusst, die Kachexie davon jedoch unbeeintrĂ€chtigt bleibt. âUnser Projekt hat sich im Verlauf zunehmend auf IL-6 statt auf Lipide fokussiert, denn das war der vielversprechendere Wegâ, sagt Schweiger.