Partizipation als methodische Herausforderung
Methodisch war das durchaus eine Herausforderung. „Um für alle verständlich zu sein, mussten wir gemeinsam mit unseren Berater:innen kreativ werden – und erst einmal das passende Material entwickeln“, erklärt Zeilinger. Zum Einsatz kamen ein universelles Design, Texte in Einfacher Sprache und gut verständliche Bilder.
Um jene Themenfelder herauszufiltern, die als besonders wichtig für die psychische Gesundheit der Zielgruppe eingestuft werden – zum Beispiel Wohnen, Arbeit, eine angemessene Unterstützung oder Mobilität –, gestaltete das Team große, bebilderte Puzzleteile, die in den Diskussionsrunden physisch bewegt und gruppiert werden konnten. Für die Bewertung entstand eine einfache Bewertungsskala mit grünen Häkchen, roten Kreuzen und einer Skala mit Sternen. Da das Interesse an partizipativen Ansätzen international groß ist, wird diese methodische Arbeit in einer eigenen Publikation detailliert dargestellt.
Konsensfindung mit Delphi-Studie
Delphi-Studien sind ein effektives Werkzeug, um über ein Thema, zu dem die Forschungslage noch beschränkt ist, zu einem gemeinsamen Verständnis und Konsens unter Expert:innen zu gelangen. Der Prozess umfasst mehrere Stufen. Im ersten Schritt wird das individuelle Wissen der Expert:innen gesammelt, wobei alle Perspektiven gleichberechtigt aufgenommen werden. Die gesammelten Punkte werden danach in mehreren Runden von den Teilnehmenden gewichtet.
In Zeilingers Projekt wirkten an der ersten Runde 37 Expert:innen für psychische Gesundheit mit – Mental-Health-Professionals und professionelle Betreuer:innen – sowie 23 „Expert:innen in eigener Sache“, also Personen mit IB. „Soweit mir bekannt ist, war das die erste Delphi-Studie, bei der für Expert:innen mit und ohne IB derselbe Fragebogen verwendet wurde“, freut sich die Expertin.
Was den Betroffenen wichtig ist
Die Delphi-Studie zeigte graduelle Unterschiede bei der Einschätzung der Expert:innengruppen: Fachleute ohne IB würden eher dazu neigen, sich auf Defizite und die verschiedenen Unterstützungsbedarfe zu fokussieren. Für Menschen mit IB hingegen sind – „sehr differenziert in ihrer Wahrnehmung“ – vor allem die Entwicklung eigener Fähigkeiten und Kompetenzen in einem unterstützenden Umfeld besonders wichtig für ihre psychische Gesundheit. Dazu gehören grundlegende Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen, soziale Kompetenzen („gutes Reagieren in sozialen Situationen“) oder auch Mobilität („allein Bus fahren können“).
„Menschen mit IB wünschen sich durchaus Unterstützung – aber ohne Bevormundung“, betont die Forscherin. Ebenfalls wichtig sind: eine gute Wohnumgebung, in der es möglich ist, „auch einmal alleine zu sein“, oder körperliche Gesundheit: „Wenn mein Körper nicht gut ist, geht es mir auch nicht gut.“
In vielen Punkten, so Zeilinger, sei die WHO-Definition anwendbar. Von den Expert:innen mit IB wurden Punkte wie „produktiv arbeiten“ oder „einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten“ allerdings kaum genannt. Vermutlich ist das sozial geprägt: Da viele Menschen mit IB ohne Lohn in geschützten Werkstätten arbeiten, hätten sie gar nicht verankert, dass sie das überhaupt könnten.
Ein Beitrag zu Gesundheitsgerechtigkeit
Die bisherigen Ergebnisse sind die konzeptionellen Vorarbeiten für eine Definition, die, so wünscht sich Zeilinger, international gültig sein und zu mehr Gesundheitsgerechtigkeit beitragen soll. „Health-Equity bedeutet, die Gesundheitsförderung und -versorgung an die Bedürfnisse von Menschen mit IB anzupassen.“ Das wäre übrigens auch im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die gleiche Gesundheitsstandards für alle fordert. Und die Österreich erst sehr mangelhaft umsetzt.