Aus der Philosophiegeschichte für heute lernen

In meiner Forschung beschäftige ich mich mit dem Übergang der mittelalterlichen Philosophie in die frühe Neuzeit. Diese Phase ist durch den Aufschwung des Mechanismus, der Reformation und den Beginn der Aufklärung geprägt. Hier wird der Mensch als Individuum besonders wichtig, geht aber zugleich im metaphysischen System im größeren Ganzen auf. Konkret beschäftige ich mich in meinem Projekt mit der Frage, wie sich im frühneuzeitlichen Rationalismus individuelle Körper denken lassen. Wie müssen sie konstituiert und komponiert sein, um als Einheiten verstanden werden zu können?
Da trifft es sich gut, dass ich nun auch die Frage anschließen kann, ob Ähnliches möglicherweise für „Gegenstände“ wie Forschungsaufenthalte zutrifft. Die Antwort darauf ist jedenfalls deutlich einfacher und zweifelsfrei zu finden, wie ich mittlerweile weiß. Die Erkenntnis meiner Feldforschung ist eindeutig: Ein Schrödinger-Auslandsstipendium lässt sich ohne Probleme aus zwei verschiedenen Auslandsdestinationen zu einer Einheit zusammensetzen. Die erste Hälfte, die ich gerade beendet habe, hat mich nach Kanada an die University of Toronto geführt. Diese Zeilen hingegen schreibe ich in den ersten Tagen nach meiner Ankunft in Berlin, wo ich an der Humboldt-Universität den zweiten Teil als Schrödinger-Fellow absolviere.

Wo Welten zusammenfinden
Da sich mein Forschungsprojekt an der Schnittstelle von mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Philosophie bewegt – und obwohl es sehr viele gute Orte für den einen oder den anderen Bereich gibt –, sind wenige Universitäten in beiden Bereichen wissenschaftlich so breit aufgestellt wie die University of Toronto und die Humboldt-Universität. Natürlich war bei der Ortswahl mehr entscheidend als vorhandene Expertise: Toronto und Berlin verfügen auch über hervorragende Bibliotheken und einen vielfältigen und regen wissenschaftlichen Austausch in Form von Veranstaltungsreihen, Kolloquien, Seminaren und Ähnlichem, bei dem man auch als Gast an der Universität immer willkommen ist.

Wie Motivation Resilienz fördert
Diese im Ausland vorhandene Expertise war sicherlich eine der Motivationen für das Einreichen meines Antrags. Und diese Motivation war wichtig, denn ein Umzug nach Nordamerika ist nicht unbedingt die einfachste Sache der Welt. Das Philosophieinstitut in Toronto hat mich zwar wortwörtlich mit Rat und Tat unterstützt, aber bis ein Visum beantragt und genehmigt, die Reise geplant und Hab und Gut gepackt sind, kann es durchaus Monate dauern. Auch ist die Distanz zwischen Kanada und Österreich nicht schnell und günstig zu überwinden, daher musste ich ein Jahr lang Kontakte privater wie akademischer Natur in erster Linie über Videotelefonie und Briefpost aufrechterhalten.

Über Berlin kann ich aufgrund meiner kurzen Zeit hier noch nicht viel berichten, obwohl ich tatsächlich das kanadische Wetter bereits etwas vermisse. Zwar war ich dort zeitweilig Wintertemperaturen von minus fünfzehn Grad und Massen an Schnee ausgesetzt, für den nirgendwo Platz war, sodass er nicht gerade fußgängerfreundlich auf dem Gehweg aufgetürmt wurde. Damit glich der Weg ins Büro geradezu einer heimatlich-alpinen Schneewanderung. Als Ausgleich für diese Unannehmlichkeiten ist das Wetter in Kanada in der Regel dafür beständig und berechenbar.

Robarts Library und Umberto Eco
Dass ich eine Wohnung in der Nähe des St. George Campus finden konnte, erwies sich als Glücksfall. Die University of Toronto besteht aus drei Campus und nur einer – der größte und älteste: St. George – befindet sich im Stadtzentrum. Ansonsten wäre es mir vermutlich gerade in den Wintermonaten schwergefallen, mich zu jenen Orten zu bewegen, an denen ich den Großteil meiner Zeit verbrachte: dem Jackman Humanities Building, in dem mein Büro war, sowie der Robarts Library. Letztere wird aufgrund ihres Baustils nicht unbedingt nur liebevoll auch „Fort Book“ genannt und diente – so zumindest das Gerücht – als Inspiration für die Klosterbibliothek in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose, der zu einem guten Teil in ebendieser Bibliothek entstanden sein soll.
Mit Sicherheit kann ich allerdings bestätigen, dass sich dieser Ort aufgrund von baulichen und innenarchitektonischen Umsetzungen hervorragend dafür eignet, sich zu verlaufen. Ich habe das oftmals überprüfen können und das Ergebnis war jedes Mal dasselbe: Man findet hier leichter hinein als hinaus. Verbotene Bücher konnte ich allerdings keine entdecken.