Klimaprotest: international, wütend, entschlossen

Sie kennen die Geschichte: eine Schülerin, die an einem Freitag mit einem Schild vor dem schwedischen Parlament steht – und Großes anstößt. Im September 2019 bringt Fridays for Future Millionen Menschen in 150 Ländern auf die Straßen. Seitdem sind die Streiks geschrumpft. Heute attestieren Medien den Fridays, unbedeutend zu sein.
„Dem ist viel zu entgegnen“, sagt Antje Daniel, die seit 2019 zum österreichischen Ableger forscht. „Fridays for Future ist seit Occupy Wall Street 2011 die größte globale Bewegung.“ Seit Oktober 2023 leitet sie ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Forschungsprojekt, das Jugendumweltaktivismus in Österreich, Bangladesch und Uganda vergleicht. Sie will die Bewegungen und ihre jeweilige Wirkung besser verstehen, sind diese doch wichtige zivilgesellschaftliche Gegenspieler für die Klimapolitik, in Uganda und Bangladesch sogar die zentralen klimapolitischen Akteure.
Forschung geht nur gemeinsam
„In allen drei Ländern haben die unterschiedlichen Akteursgruppen den öffentlichen Diskurs zu Klimathemen verändert“, erklärt die Projektleiterin, die zu Europa und Afrika forscht. Co-Leiterin Petra Dannecker arbeitet zu Südostasien. Die Doktorandinnen Fahima Al Farabi, Nancy Otyang und Michaela Hochmuth unterstützen die Datenerhebung in den jeweiligen Ländern. Die enge Kooperation mit Forschenden der Universität Dhaka und der Makerere-Universität in Kampala hilft zudem, die Forschung an lokale Gegebenheiten anzupassen und Kontakte aufzubauen.
„Wir wollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern ausloten und auch erfahren, wie der lokale Kontext den Aktivismus bestimmt“, erklärt Antje Daniel. Die Forschenden interessieren Motivation, Organisation, Strategien und Ziele. Dafür ließen sie bislang insgesamt 577 Aktivist:innen einen Survey ausfüllen und interviewten 169 Aktivist:innen und Expert:innen aus der Zivilgesellschaft, der akademischen Sphäre und aus politischen Institutionen und besuchten Proteste, Plenen oder Baumpflanz-Aktionen in lokalen Gemeinschaften.
Das Projekt
Seit 2019 hat Fridays for Future eine neue Form des globalen Jugendaktivismus geschaffen, die Millionen für Klimagerechtigkeit mobilisiert. Die Bewegung prägt Politik und Gesellschaft weltweit, ist aber wissenschaftlich noch wenig erforscht. Ein Forschungsprojekt mit Fallstudien zu Österreich, Bangladesch und Uganda untersucht diese globale Dimension.
Über Demos, Daten und Chapati
Sie erheben, wer sich in den Ländern, wie und mit welcher Motivation für Klimagerechtigkeit engagiert. Dafür gehen die Forschenden auch auf die Straße. Antje Daniel etwa immer, gemeinsam mit Studierenden, in Wien anlässlich der weltweiten Klimaproteste. Dort identifizieren sie Menschen, die einen Online-Survey ausfüllen sollen. Darin werden soziodemografische Daten, Emotionen, Zielsetzungen, politische Einstellungen und Erwartungen an den Protest abgefragt. Auch in Dhaka unterstützten Studierende bei den Protesten der Dhaka Universität 2024 und 2025 die Durchführung der Umfragen beim letzten Klimastreik.
Die Fragen wurden an lokale Kontexte angepasst, für Uganda hat man beispielsweise jene zum Vertrauen in politische Institutionen um Auswahlmöglichkeiten für religiöse oder lokale Autoritäten erweitert. In dem afrikanischen Staat herrscht formell Versammlungs- und Meinungsfreiheit. „Aber solche Aktionen sind aufgrund des autoritären Charakters des Regimes nicht möglich“, ordnet Antje Daniel ein. Protest findet weniger auf der Straße, sondern eher an anderen Orten statt, etwa online.
Die Surveys führten die Forschenden auf andere Art durch. Sie organisierten activists’ breakfasts an unterschiedlichen Standorten, wie der Makerere-Universität. Aktivist:innen aus Ugandas Hauptstadt füllten bei Obst, Chapati und Softdrinks die Fragebögen aus.

Wer setzt sich ein?
Was unterscheidet die Bewegungen? „In Österreich passen sich die Proteste immer mehr an das Durchschnittsalter der Bevölkerung an“, erklärt Antje Daniel, da der Anteil der unter 20-Jährigen sinkt und jener der über 65-Jährigen steigt. In Uganda und Bangladesch setzen sich die Bewegungen vor allem aus 20- bis 35-Jährigen mit akademischen Abschlüssen zusammen.
Während es in Österreich und Bangladesch keine (weiblichen) Symbolfiguren der Bewegung gibt, sind es in Uganda mit Vanessa Nakate und Hilda Nakabuye gleich zwei. „In Bangladesch sind Geschlechterrollen und Geschlechterungleichheit religiös begründet und stark verankert“, so Antje Daniel. Dort sind nur etwa 30 Prozent der Bewegung weiblich, hierzulande rund 60 Prozent.
Alle Gruppen ordnen sich dem Label „Fridays for Future“ unter. Doch die Strukturen unterscheiden sich. In Uganda beispielsweise gibt es neben FFF und dem Rise Up Movement viele weitere Organisationen mit unterschiedlichen Ausrichtungen – von Bäume pflanzen über das Thema der Plastikverschmutzung bis hin zu anderen Kampagnen. Antje Daniel erstaunt, welch breiter und intensiver Aktivismus sich in einem autoritären System mit eingeschränkten Handlungsräumen in Nachfolge von Fridays for Future entwickelt hat.
Die Kindheit prägt den Klimakampf
Das Forschungsprojekt interessiert auch, was die Menschen zum Aktivismus brachte. „Die Motivation der Aktivist:innen in Bangladesch und Uganda rührt unter anderem aus Kindheitserfahrungen mit Überschwemmungen, Erdrutschen und Waldbränden. Das ist ein wichtiger Handlungsmotor“, ordnet die Forscherin ein.
Diese Erfahrungen zeigen sich bei den Gefühlen. Viele Aktivist:innen in Uganda sind besorgt, frustriert und wütend, allerdings fühlt sich nicht einmal die Hälfte der Befragten hoffnungs- und machtlos.
In Bangladesch ist neben Sorge auch Frustration ein prominentes Gefühl. Der Delta-Staat leidet schon lange an Klimafolgen wie Überschwemmungen, die Menschen vertreiben und Felder versalzen. Ebenso lang sind Netzwerke von Jugendlichen und NGOs aktiv, seit 2019 unter dem Label „Fridays for Future“.
Während die Bewegungen in Uganda und Bangladesch die Bevölkerung lokal – etwa mit Baumpflanz-Aktionen in den Gemeinschaften – für Klimathemen sensibilisieren, wollen die heimischen Fridays durch Druck auf politische Akteur:innen einen Wandel einleiten.

Von Schuld und Solidarität
Österreichische Aktivist:innen verbanden die Klimakrise 2019 mit Angst vor der Zukunft, etwa vor dem Verlust des Lebensstandards und von Handlungsmöglichkeiten. Heute fühlt sich der Großteil ängstlich und wütend.
In Uganda und Bangladesch sind Klimafolgen wie Gesundheitsprobleme und Nahrungsmittelknappheit schon lange akut. „Dort verwebt man die Klimakrise mit diesen Aspekten, welche die Ungleichheitserfahrungen verstärken“, erklärt Antje Daniel.
„In beiden Ländern geht es um Klimakolonialität – also die Ungleichheit in Anbetracht der Klimakrise und auch der globalen Klimapolitik.“ Der globale Norden trug und trägt mehr zur Klimakrise bei, während der globale Süden unter den Folgen leidet und seine Forderungen bei UN-Klimakonferenzen immer noch zu wenig Gehör finden.
Dennoch sind diese internationalen Veranstaltungen wichtig. Aktivist:innen aus Uganda und Bangladesch wollen über die internationale Ebene Druck auf die lokale Politik ausüben. „Es geht darum, die Frage der Schuld zu klären. In Bangladesch und Uganda sollen internationale klimapolitische Entscheidungen auf die nationale Ebene rückwirken“, sagt Antje Daniel. „Wie ein Bumerang.“
Vereint im Pipeline-Protest
Die österreichische Bewegung hat sich in den vergangenen drei Jahren selbst hinterfragt. Nun will man seine Privilegien nutzen, um den globalen Süden zu unterstützen. Genau das geschah am 2. Juni 2023. Mit Schildern und Bannern standen heimische Aktivist:innen vor den Werkstoren des Fernwärmetechnik-Unternehmens isoplus im niederösterreichischen Hohenberg. Dieses wollte in einem Joint Venture, die Wärmelegierung für die East African Crude Oil Pipeline (EACOP) liefern, die Öl vom ugandischen Albertsee durch Tansania in den Indischen Ozean befördern soll. Auch in Italien, Uganda und Deutschland protestierten die Fridays. Im Jänner 2024 stieg isoplus aus dem Vertrag aus. Laut Antje Daniel war diese Kampagne ein Zeichen dafür, „dass es internationale Solidarität und Austausch im Aktivismus gibt.“
Wie die Fridays sich wandeln
Auch nach 2019 bleiben FFF wichtig, erklärt die Soziologin, denn: „Irgendwann geht die Mobilisierung zurück. In diesem Abwärtstrend findet Veränderung statt.“ Daraus entsteht Neues: Protestformen etwa oder Allianzen mit Gewerkschaften, die Letzte Generation, Regionalgruppen und Psycholog:innen, Großeltern und Arbeitende die For-Future-Untergruppen bilden.
„Viele der Klimaaktivist:innen der ersten Stunde sind heute in NGOs, der Politik, an Schulen oder Universitäten tätig“, sagt Daniel. Denn Aktivismus prägt. „Vor allem die Menschen, die stetig und über eine lange Zeit aktiv sind, beschreiben die Zeit als einschneidende Lebenserfahrung, die auch politische Entscheidungen langfristig verändern kann.“ Auch abseits der Aktivitäten und Streiks hat Aktivismus lange biografischen Einfluss – konkret im persönlichen und im politischen Verhalten.
Das Projekt „Jugendumweltaktivismus der Fridays for Future“ läuft noch bis September 2026. Im November dieses Jahres wird die Soziologin für weitere Feldforschung nach Kampala fliegen. Die Bewegungen und ihre Akteur:innen zu verstehen, ist wichtig, betont Daniel, denn: „Fridays For Future bleibt ein zentraler Akteur, der Regierungen und die internationale Gemeinschaft in Bezug auf Klimapolitik rechenschaftsfähig hält.“
Zur Person
Antje Daniel ist Postdoc am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. Die Soziologin mit Schwerpunkt auf Entwicklungs- und Protestforschung promovierte an der International Graduate School of African Studies an der Universität Bayreuth und habilitierte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Antje Daniel hatte eine Professur für Entwicklungsforschung und eine Vertretungsprofessur für Katastrophensoziologie an der Akkon Hochschule Berlin inne und war Gastwissenschaftlerin an der University of Johannesburg und der University of KwaZulu-Natal. Das Grundlagenprojekt „Jugendumweltaktivismus der Fridays for Future“ (2023–2026) wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 525.000 Euro gefördert.
Publikationen
An intersectional approach to climate activism – Fridays For Future in the pursuit of inclusivity, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2025
Is Fridays for Future a Phenomenon of the Global North? Youth Activism of Fridays for Future: An Intersectional and Global Perspective, in: Journal für Entwicklungspolitik 2024
5 Jahre Fridays For Future – Ergebnisse von 5 Jahren Protest Survey, 2024