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Das Forschungsprojekt Encampment identifizierte 247 Lager aus den Jahren 1945 bis 1955 von Oberösterreich bis zum Burgenland. © LBI/Encampment/OpenStreetMap

Das Forschungsprojekt „Encampment“ hat erstmals 247 Lager in Nieder- und Oberösterreich, dem Burgenland und Wien identifiziert und auf einer Online-Karte verzeichnet. Österreich sei mit Kriegsende - das sich am 8. Mai 2025 zum 80. Mal jährte - mit rund einer Million Displaced Persons (dt. Vertriebene) ein überlaufenes Land gewesen, erklärt die Historikerin Barbara Stelzl-Marx. Von ihnen waren viele in der sowjetischen Besatzungszone untergebracht. „Diese Lager sind zwar auf den ersten Blick unsichtbar, aber eingebrannt in die Landschaft und die Biografien der Menschen", so Stelzl-Marx. Sie leitete das dreijährige Projekt des BIK in Kooperation mit dem Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung, der FH St. Pölten und der Universität Graz. 

Unterschiedlichste Nutzungen 

Die Lager wurden zu ganz unterschiedlichen Zwecken errichtet und für Menschen verschiedenster Herkunft genutzt. Nach dem Krieg waren viele heimatlos. In den Lagern und überfüllten Ortschaften hielten sich Front- und Besatzungssoldaten, ehemalige Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter:innen und KZ-Insassen, wie auch Flüchtlinge, Vertriebene oder aus dem Ausland rückkehrende Österreicher:innen auf. „Zum Teil wurden ganze Orte als Lager benutzt und die Einheimischen mussten auswandern", berichtet Stelzl-Marx. Oder Einrichtungsgegenstände der Bevölkerung wanderten in die Barackenlager.

Encampment gibt Einblick in die vergessene Lagerlandschaft im besetzten Nachkriegsösterreich. Eine Landkarte dokumentiert rund 250 Lager in der sowjetischen Besatzungszone. 

Auffallend für Österreich ist die Kontinuität von Lagern, die es schon vor 1945 gab, wie das Lager in Melk, eine ehemalige Außenstelle des KZ Mauthausen, oder der Truppenübungsplatz (TÜPL) Bruckneudorf mit seinen beiden Lagern Bruck und Kaisersteinbruch im Burgenland. 

Luftaufnahme des ehemaligen Lagers Kaisersteinbruch aus dem Jahr 1945 im Burgenland, Österreich
Das Gelände der Uchatius-Kaserne (Kaisersteinbruch) auf einem Luftbild aus dem Jahr 1945. © Museums- und Kulturverein Kaisersteinbruch

Bezüge zur Gegenwart

Die Aufnahme von Geflüchteten und Vertriebenen sei damals enorm herausfordernd gewesen, bestätigt Johannes Pflegerl, Leiter des Ilse Arlt Instituts für Soziale Inklusionsforschung. Die staatlichen Strukturen waren zusammengebrochen, Österreich stand unter der Besatzung der Alliierten und es gab Versorgungsengpässe. Zudem war die Zahl an heimatlosen Menschen enorm und es musste erst ein Umgang mit dem nationalsozialistischen Erbe gefunden werden.

„Vergleicht man diese Bedingungen mit den heutigen, relativiert sich die verbreitete Ansicht, dass wir es aktuell mit einem Flüchtlingsnotstand zu tun hätten", so Pflegerl. Die Aufarbeitung der Geschichte dieser Lager, die das Projekt erstmals unternommen hat, liefere das notwendige Orientierungsverständnis für heute. „Heute wie damals sind Lager sensible Seismografen." 

Intensive Recherchearbeit 

Im Rahmen des Projekts, das vom Wissenschaftsfonds FWF und vom Land Niederösterreich gefördert wurde, wurden alle Lager erfasst, die mindestens drei Wochen Bestand hatten. „Ohne dieser Auswahl wären wir nicht auf 247 Lager gekommen, sondern wahrscheinlich auf eine Zahl jenseits der Tausend", erklärt Katharina Bergmann-Pfleger vom BIK. Denn besonders zu Kriegsende gab es viele kurzfristig bestehende Strukturen, in die sich die Bevölkerung beim Hernnahen der Roten Armee flüchtete. Ohne eine lange und tiefgehende Recherche, wäre dieses Ergebnis nicht möglich gewesen. Bergmann-Pfleger arbeitete intensiv mit Gemeinde-, Stadt- und Landesarchiven sowie dem Staatsarchiv zusammen. Hinzu kamen Literaturanalysen und Erinnerungen von Zeitzeugen. Mit manchen konnte die Forscherin auch Interviews führen. 

Auf ursprünglich geplante Recherchen in den Moskauer Archiven musste wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verzichtet werden. Von dort stammendes Archivmaterial, das aus früheren Projekten am BIK vorhanden war, konnte trotzdem im Hinblick auf die Lager untersucht werden.

„Wir haben aber wahrscheinlich nicht alle Lager gefunden“, so Bergmann-Pfleger. Auch deswegen betrachtet man das Forschungsprojekt nicht als abgeschlossen. Unterstützung aus der Bevölkerung in Form von Hinweisen, Bildmaterial oder Informationen ist daher ausdrücklich willkommen. Vielleicht sensibilisiert die Landkarte für Spuren aus der Nachkriegszeit. Auch wenn vieles unsichtbar geworden ist, gibt es sie vereinzelt noch - wie die Straßenbezeichnung „Lagergasse" oder Rückstände in Wäldern von der Zwangsrepatriierung der Kosaken.