„Der Jungbrunnen“ (1546) von Lucas Cranach d. Ä. stellt den Mythos von ewiger Schönheit und Jugend dar. In den Brunnen steigen ausschließlich Frauen, die sich gegenseitig bei der Verjüngungskur helfen.
„Der Jungbrunnen“ (1546) von Lucas Cranach d. Ä. stellt den Mythos von ewiger Schönheit und Jugend dar. In den Brunnen steigen ausschließlich Frauen, die sich gegenseitig bei der Verjüngungskur helfen. © Gemäldegalerie Berlin/Wikipedia

Wie sahen Kosmetik und Pflege im 16. Jahrhundert aus? Welche Mittel, Rituale und Räume formten das Schönheitsideal der Zeit? Und was daran liegt überraschend nah an heutigen Beauty-Praktiken? Diesen Fragen geht Romana Sammern in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt „Gesicht und Bild. Kunst und Kosmetik, 1500–1800“ nach und zeichnet ein farbiges, bislang ausgeblendetes Bild der frühen Neuzeit. Mit ihren „Beauty Studies“ möchte die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin die Grundlagen für ein Forschungsfeld legen, das bisher wenig Beachtung fand.

Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass Schönheit, Körperpflege und Wissen damals nicht bloß nebeneinanderstanden. Vielmehr greifen die Bereiche so eng ineinander, dass vermeintliche Analogien – etwa zwischen Malerei und Schminken – nur an der Oberfläche kratzen. Sammern spricht von einer Verschränkung, „die weit über solche Parallelisierungen hinausgeht“ und tatsächlich „von Kunst, Naturgeschichte, Philosophie, Medizin und Pharmakologie“ zugleich handelt. Aus dieser Überlagerung entsteht ein Spannungsfeld, das weit über seine Zeit hinausweist und Linien bis in heutige Schönheitsdiskurse zieht.

Wo Künste, Körper und Wissen ineinandergreifen

Die Grundlage von Romana Sammerns Forschung entstand aus einem Zufallsfund: In der British Library stieß sie auf eine vermeintliche Übersetzung des manieristischen Kunsttraktats des Malers Giovanni Paolo Lomazzo. Der Text erwies sich bei genauerem Hinsehen jedoch als eigenständige Zusammenstellung kunsttheoretischer, naturkundlicher und medizinischer Texte und enthielt überraschenderweise ein Kapitel über Kosmetik, das im Original nicht existierte. Den Gründen für die Verschränkung von Kunst und Kosmetik ging Sammern in dem FWF-Projekt nach.

Die Kunsthistorikerin zeigt darin auf, wie Kunst, Körperpflege, Medizin und Naturgeschichte im 16. Jahrhundert nicht nebeneinanderstanden, sondern tatsächlich ineinandergriffen. „Wir wissen, dass beispielsweise Maler:innen und Apotheker:innen damals identische Zutaten für künstlerisches Schaffen und für Kosmetik verwendeten“, erklärt Sammern. „Natürlich gab es kosmetische und kunsttheoretische Schriften, die das Schminken von Gesichtern mit dem Bemalen von Tafeln vergleichen.“

Beauty Studies

Das Projekt „Gesicht und Bild. Kunst und Kosmetik, 1500–1800“ lieferte die Grundlage für die Sonderausstellung „The Art of Beauty“ im Herbst 2025 im Schloss Ambras in Tirol. Die Forschungsergebnisse der Kunsthistorikerin Romana Sammern können u.a. im Ausstellungskatalog nachgelesen werden.

Porträtbild des Malers Botticelli einer idealisierten schönen jungen Frau, mit langen roten Haaren, Kopfschmuck, Halskette und edlem Gewand
Als Vorbild für Sandro Botticellis „Weibliches Idealbildnis“ (1480) diente Simonetta Vespucci. Sie galt als die schönste Frau von Florenz. Schönheit ist nicht nur ein Ausdruck von Ästhetik, sondern auch von gesellschaftlichem Rang. © Städel Museum/Wikipedia

Doch für Sammern ist entscheidend, dass diese Überschneidungen nicht nur metaphorisch, sondern materiell und praktisch belegbar sind. Dazu gehören etwa die zahlreichen Rezeptbücher der Zeit, die Heilmittel und Alltagspraktiken zusammenführen.

Besonders aufschlussreich ist etwa das Arzneimittel- und Kosmetikbuch aus dem 16. Jahrhundert von Philippine Welser, der Ehefrau Ferdinands II. Körperpflege ist dabei sowohl in Diätetik und Lebensführung eingebettet als auch in medizinische Theorie und Kultur: ein Wissenssystem, das wie ein Seismograf gesellschaftlicher Vorstellungen wirkt. Idealporträts wie jenes von Botticellis Simonetta Vespucci illustrieren das deutlich: Sie zeigen Idealzustände des Körpers, die zugleich Einblicke in historische Konzepte der Körperregulation geben. Schönheit war nicht bloß ein ästhetisches Ideal, sondern ein Marker von Konstitution und Status.

Wie Körperpflege Geschlecht macht

Und genau hier öffnet sich der Blick auf eine weitere zentrale Ebene von Sammerns Forschung: Körperpflege formte nicht nur den Körper, sondern auch Geschlecht und gesellschaftliche Rollen. Das zeigt sie etwa an einem Porträt Ferdinands II. von Francesco Terzio, heute im Kunsthistorischen Museum in Wien, in dem der Erzherzog von Tirol deutlich als Sanguiniker erscheint: „das idealste der humoralen Temperamente“, wie die Kunsthistorikerin betont. Weiter erklärt sie, wie man an seinen Händen und seinem akkurat gestutzten Bart erkenne, dass im 16. Jahrhundert bewusste Körperpflegepraktiken deutlich sichtbar waren und rein modischen Idealen folgten.

Porträtbild Erzherzog Ferdinands II. von Tirol. Edler Mann mit schmalem Gesicht, gepflegtem rothaarigen Bart und der Renaissance entsprechend prunkvollem Gewand
Porträt Ferdinands II. um 1557 von Francesco Terzio. Die gepflegten Hände und der Bartstil des Erzherzogs von Tirol verweisen auf die modischen Trends der Zeit. © KHM Wien/Wikipedia

Solche Details zeigen aber auch, wie die physische Erscheinung als Ausdruck innerer Gesundheit und Harmonie inszeniert wurde und wie diese Sichtbarkeit wiederum dazu diente, soziale und politische Machtansprüche zu legitimieren. Gleichzeitig sind sie Beleg dafür, dass Pflegepraktiken keineswegs nur weiblich codiert waren. Das zeigt eine große Zahl an Rezepten für männliche Bartpflege und Färbemittel, sowie für dauerhafte Haarentfernung bei Männern und Frauen. Sammern nennt als Beispiel die Tonsur, das kreisförmige Rasieren der Scheitelzone, mit der Mönche ihre Zugehörigkeit zu ihrer monastischen Gemeinschaft markierten.

Pflege war damit ein Unisex-Feld, in dem soziale Rollen, religiöse Identitäten und Geschlechterbilder gleichermaßen verhandelt wurden. So wird nachvollziehbar, dass Kosmetik nicht nur Status und Geschlecht ausdrückte, sondern sie überhaupt erst herstellte. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der schriftlichen Zeugnisse der Zeit von Männern stammt – kunsttheoretische Texte ebenso wie gedruckte Traktate. „Auf der Ebene der Manuskripte gibt es dagegen sehr, sehr viele Äußerungen von Frauen“, betont Sammern – und es besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf.

 

Linien in die Gegenwart

Blickt man von der frühen Neuzeit in die Gegenwart, zeigt sich ein widersprüchliches Bild: Manche Schönheitsideale und -praktiken bestehen seit Jahrhunderten fort, während sich andere radikal verändert haben. Das Ideal der (künstlichen) „Natürlichkeit“ etwa – bis heute sichtbar im modernen No-Make-up-Look – reicht laut Sammern bis in die Antike zurück. „Bei Körperpflege generell gibt es sehr lange Traditionen“, sagt sie. Zugleich treten klare Unterschiede hervor. Während Pflege heute individualisiert und kommerzialisiert ist, war sie damals eine kollektive Praxis: „Man stellt nichts alleine her, man trägt es nicht alleine auf. Rezepte werden vererbt, abgeschrieben, gekauft oder verschenkt.“

Dieses Gemeinschaftliche zeigte sich auch darin, wer Kosmetik herstellte und weitergab. Zum Beispiel schlossen sich die Frauen am Hof von Schloss Ambras eng mit den Leibärzten zusammen und produzierten Arzneien und Pflegeprodukte selbst – die Küche war ihr Labor. Die Mittel wurden im großen Haushalt verteilt, an ärmere Untertanen gegeben oder als diplomatische Gabe verschickt. So entsteht ein Bild von Körperpflege als geschlechtsspezifischer Wissensproduktion, das weit über Hygiene und Kosmetik hinausging.

Für Sammern markieren diese Erkenntnisse trotzdem erst den Anfang. „Es ist noch ganz viel offen“, sagt sie. Mit dem Aufbau eines internationalen, wissenschaftlichen Netzwerks möchte sie diese Lücken kollektiv erschließen und Beauty Studies langfristig als Forschungsfeld etablieren. Ihre gemeinsam mit Montserrat Cabré und Erin Griffey gegründete offene Arbeitsgruppe „Beauty Studies in the Premodern World“ im Consortium for History of Science, Technology and Medicine hat im Oktober ihre Arbeit aufgenommen.

Zur Person

Romana Sammern studierte Geschichte, Kulturwissenschaft und Kunstgeschichte in Salzburg, Wien und Berlin. Nach Stationen am IFK Wien und am Kunsthistorischen Institut in Florenz promovierte sie an der Humboldt-Universität zu Berlin über Darstellungen von Prostituierten in der frühen Neuzeit (publiziert als „Hurenbilder“, 2014). 2024 habilitierte sie sich an der Universität Passau zu „Schönheit, Kunst und Körper in der Frühen Neuzeit“. Seit 2019 ist sie Senior Scientist in der interuniversitären Einrichtungen Wissenschaft und Kunst zwischen der Paris Lodron Universität Salzburg und der Universität Mozarteum Salzburg.

Das Projekt „Gesicht und Bild. Kunst und Kosmetik, 1500–1800“, das noch bis Februar 2026 läuft, wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 275.000 Euro gefördert. Es lieferte u. a. die Grundlage für die Sonderausstellung „The Art of Beauty“ im Herbst 2025 im Schloss Ambras in Tirol. Neben mehreren Publikationen aus dem Projekt ist im Ausstellungskatalog der Beitrag „The Art of Beauty: Zur langen Geschichte von Kunst und Körperpflege“ im Verlag Walther König (2025) erschienen.