Schrödinger-Stipendiat Jürgen Braunstein
Schrödinger-Stipendiat Jürgen Braunstein erforscht an der Universität Harvard die Triebfedern der grünen „Energierevolution“ und ihre weitreichenden geofinanziellen Auswirkungen. © Privat

„Investitionen in erneuerbare Energie zahlen sich für Ölexporteure aus – zumindest für einige,“ betonte ich bei einer Diskussion an der John F. Kennedy School of Government über Erkenntnisse aus meiner aktuellen Forschung an der Universität Harvard in Cambridge, Massachusetts. Erdölexportierende Länder im Nahen Osten erzeugen fast 100 Prozent ihrer Elektrizität auf Basis fossiler Brennstoffe (Erdgas und Öl). Dadurch reduzieren sie aber ihre Kapazitäten für den Ölexport, der in dieser Region der Welt die Haupteinnahmequellen der Staaten darstellt. Folglich könnten sie durch den Einsatz von erneuerbaren Energien zur Stromgewinnung ihre Einnahmen aus Ölexporten erhöhen.

Geopolitik und Energie am Belfer Center

Meine Forschung am Belfer Center for Science and International Affairs beschäftigt sich mit der Energiewende und ihren geopolitischen und finanziellen Auswirkungen. Für das Belfer Center als Gastuniversität entschied ich mich aufgrund seiner führenden Rolle im Bereich Geopolitik und Energie. Die großartige interdisziplinäre Arbeitsumgebung am Belfer Center ermöglicht mir die Auseinandersetzung mit komplexen Themen, wie etwa den Auswirkungen der globalen Energiewende auf die Finanzwelt, die zu weitgefasst sind, um in einer einzigen Disziplin abgehandelt zu werden.

Meine Tätigkeit in Harvard baut auf meiner Forschung im Bereich Finanzierung grüner Infrastruktur und Staatsfonds auf. Während meines Diplomstudiums an der Universität Wien schrieb ich eine der ersten Diplomarbeiten über das neue Phänomen der „Sovereign Wealth Funds“ oder Staatsfonds. Dabei handelt es sich um Fonds, die Kapital im Auftrag eines Staates anlegen oder verwalten. Bei grünen Investitionen findet man einige dieser Fonds an vorderster Front. Um meine empirische Arbeit an den politischen Aspekten von Staatsfonds zu vertiefen, absolvierte ich mein Doktorat an der London School of Economics and Political Science. Meine Dissertation lieferte die Grundlage für die vor kurzem von der Michigan University Press veröffentlichte Monographie Capital Choices.

Volksrepublik Cambridge

Die Tatsache, dass es manchmal den Beinamen „Volksrepublik“ trägt, deutet an, dass Cambridge sich vom Rest der USA unterscheidet. In gewisser Weise stimmt das auch. In der Stadt mit ihren vielen Plätzen gibt es zahllose Cafés, Buchhandlungen und Boutiquen aller Art, und auch viele Museen finden sich hier. Abgesehen von meinen Besuchen in Museen und Bibliotheken und meiner Forschung, ist Cambridge für mich ein idealer Ort für Outdoor-Aktivitäten und den Genuss von Meeresfrüchten, insbesondere Hummer. Vor ein paar Jahrhunderten bezeichnete man Hummer noch als die Küchenschabe der Meere und als Arme-Leute-Essen. Heute ist die „Lobster Roll“, die ihren Ursprung in den 1920er Jahren hat, eine lokale Spezialität. Sie besteht aus in Butter getränkten Hummerfleischstücken, die auf einem süßen Brötchen serviert werden. Als Beilage gibt es Coleslaw (Krautsalat) und Pommes frites.

Corona verändert auch die Forschung

In Cambridge dreht sich fast alles um Bildung und Forschung. Harvard und das Massachusetts Institute of Technology sind die größten Arbeitgeber, aber auch viele Technologie- und Biotechunternehmen sind in Cambridge angesiedelt, darunter Google, Takeda, Sanofi, und die Pharmafirmen Pfizer und Moderna, die gerade an der Entwicklung eines COVID-19 Impfstoffs arbeiten. Corona hat nicht nur den Alltag völlig verändert, es hat auch die wilden Truthähne nach Harvard zurückgebracht. Die Tiere werden regelmäßig auf dem Campus gesichtet und ihre Zahl wächst. Nach vielen Wochen Lockdown beginnt die Universität nun langsam mit der Wiederöffnung. Im Herbstsemester wird zweifellos vieles ganz anders sein als früher. COVID-19 bringt nicht nur große Veränderungen für den Unterricht mit sich, sondern auch für die Forschung. Die Brisanz der Pandemie vereint Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und veranlasst uns, unsere Forschung offener, effizienter und kooperativer zu gestalten.