True-Crime-Podcasts: Entlang journalistischer Grenzen

In vielen LĂ€ndern, auch in Ăsterreich, ist Journalismus ein freier Beruf. Wer etwas veröffentlicht, kann sich als Journalist:in bezeichnen. Die Flut an Onlineveröffentlichungen ist nicht nur eine groĂe Konkurrenz fĂŒr traditionelle Medien. Sie macht es auch immer schwerer, zwischen journalistischen und nicht-journalistischen Inhalten zu unterscheiden â mit Folgen fĂŒr die GlaubwĂŒrdigkeit des Mediensektors.
Journalist:innen und Medienschaffende sind dadurch gezwungen, Grenzen und Abgrenzungen entlang journalistischer Normen stĂ€ndig neu auszuhandeln. Dieser Prozess, in der Journalismusforschung âBoundary Workâ genannt, steht im Zentrum des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts âVom Kern zur Peripherie: Grenzen des Journalismusâ, das noch bis Ende 2025 lĂ€uft.
Folker Hanusch vom Institut fĂŒr Publizistik der UniversitĂ€t Wien und sein Team untersuchen in dem Projekt, wie neue, âperiphereâ Formate wahrgenommen werden bzw. wie sie sich selbst einordnen: Wie reagieren etablierte Medien auf âNeuankömmlingeâ, die den traditionellen Journalismus mit ihren neuen Praktiken, Werten und ErzĂ€hlformen herausfordern? Definieren sich Formate wie reine Social-Media- oder Corporate-Publishing-Medien selbst als âjournalistischâ? Und wie beurteilen die Mediennutzenden die digitalen Angebote, von Youtube-Videos ĂŒber Blogs bis zu Podcasts?
Zum Projekt
Das FWF-Projekt âVom Kern zur Peripherie: Grenzen des Journalismusâ unter der Leitung von Folker Hanusch von der UniversitĂ€t Wien wird mit 368.000 Euro gefördert. Es untersucht, wie sich journalistische LegitimitĂ€t in einer digitalen Mediengesellschaft verĂ€ndert.
Die Studie
Fallbeispiel True Crime
Eine Untersuchung im Rahmen des FWF-Projekts widmete sich dem Format der Podcasts. Die Wiener Journalismusexpertin Phoebe Maares und der US-amerikanische Medienforscher Gregory Perreault analysierten darin erfolgreiche US-amerikanische True-Crime-Produktionen.
âPodcasts sind ein immer relevanter werdendes, aber noch wenig beforschtes Feldâ, erklĂ€rt Maares ihre Wahl, âund gerade True-Crime-Podcasts zeigen besonders anschaulich, wie Boundary-Diskurse verlaufen.â
Denn auf der einen Seite hat sich das Format, beginnend mit der US-Produktion Serial, ab 2014 zum weltweiten MedienphĂ€nomen entwickelt. Die bisher vier Staffeln des Podcasts verzeichnen ĂŒber 340 Millionen Downloads und gelten als Meilenstein des narrativen Journalismus. (Anm.: Mehrere der behandelten FĂ€lle wurden nach der Ausstrahlung juristisch neu aufgerollt. 2020 kaufte die New York Times die Produktionsfirma des Podcasts.) Im metajournalistischen Diskurs hingegen werden True-Crime-Podcasts nach wie vor eher als geschmacklos, oberflĂ€chlich oder sensationsheischend abgelehnt.
FĂŒr die soeben im Fachjournal Journalism Studies publizierte Studie wurden sechs Produktionen ausgewĂ€hlt, die ein möglichst breites Spektrum abbilden â von unabhĂ€ngigen Podcaster:innen bis hin zu etablierten MedienhĂ€usern â und die groĂe Reichweite und PopularitĂ€t haben.
Untersucht wurde, wie sich die Hosts innerhalb der Podcasts selbst darstellen, welche journalistischen Praktiken sie anwenden, um zum Beispiel die Wahrheit ihrer Inhalte zu belegen, und wie sie mit ethischen Aspekten umgehen.
Die meisten Podcaster:innen sehen sich als Journalist:innen
Methodisch wurden zuerst alle Podcasts vollstĂ€ndig angehört, um inhaltliche Kategorien zu identifizieren: Wie stellen sich die Hosts dar? Welche journalistischen Mittel nutzen sie? Wie gehen sie mit Originalquellen um â und wie reflektieren sie problematische Aspekte? In einem zweiten Schritt analysierten Maares und Perreault drei Episoden pro Podcast vertiefend â insgesamt fast 14 Stunden Material.
Die Auswertung ergab, dass sich vier der sechs Podcasts explizit als journalistisch definieren: ĂŒber ihre Anbindung an ein groĂes Medienunternehmen, ĂŒber die Selbstdarstellung als Journalist:in oder den Verweis auf redaktionelle Routinen. FĂŒnf Formate machen ihre Vorgehensweise transparent (kommentieren Quellen, erlĂ€utern Recherchewege, sprechen Unsicherheiten an).
Kritische Inhalte kontextualisieren
In ihrem Umgang mit ethischen Fragen unterscheiden sich die Produktionen jedoch erheblich. âGerade True Crime ist hier besonders herausfordernd, weil die Podcaster:innen sehr tief in die FĂ€lle einsteigenâ, sagt Maares, die frĂŒher selbst Journalistin war.
Die Studie fand hier einige Probleme: So wird sensibles Audiomaterial wie Notrufe, Verhöre oder Interviews nicht immer mit Einwilligung der Befragten verwendet. Die ErzĂ€hlung wird mitunter âum ihrer selbst willenâ vorangetrieben oder TĂ€ter:innen kommen unkommentiert zu Wort â was besonders bei charismatischen Personen problematisch sei.
âPodcaster:innen, die sich ihrer journalistischen Verantwortung bewusst sind, werden ihr Material deshalb immer kontextualisierenâ, betont Maares. Das heiĂt, sie werden Aufnahmen und Aussagen nicht einfach nur beschreibend stehen lassen, sondern in sogenannten Metakommentaren einordnen, in denen zum Beispiel die eigene Rolle reflektiert oder Probleme beleuchtet werden.
Journalistische Grauzone mit âweichen Grenzenâ
TatsĂ€chlich fanden Maares und Perreault viele solche Metanarrative in fast allen Podcasts. Umgekehrt â und durchaus ĂŒberraschend â verletzen selbst etablierte MedienhĂ€user mitunter journalistische Normen. So wurde in einem Podcast der preisgekrönten Serial-Macher:innen ein Protagonist posthum geoutet, obwohl dieser Aspekt fĂŒr die Geschichte nicht von Bedeutung war.
Laut Untersuchung bewegen sich True-Crime-Podcasts in einer journalistischen Grauzone mit âweichen Grenzenâ, so das Ergebnis: Sie nutzen journalistische Methoden, weichen in ihren narrativen, oft subjektiven ErzĂ€hlformen aber von streng definierten Normen des Journalismus ab.
âUnsere Studie ist ein theoretischer Beitrag zum Boundary-Diskurs im Journalismusâ, sagt Maares, âund soll â wie das gesamte Projekt â wertfrei sein.â Die ethischen und methodischen Fragen, die aufgeworfen werden, dĂŒrften aber auch fĂŒr Podcaster:innen, die sich als Journalist:innen sehen, relevant sein.
Zur Person
Phoebe Maares arbeitet im Rahmen des FWF-Projekts als Postdoc am Institut fĂŒr Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der UniversitĂ€t Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. journalistische Grenzziehungen, die sozioökonomischen Rahmenbedingungen journalistischer Arbeit und MachtverhĂ€ltnisse im Journalismus. Maares studierte Kommunikationswissenschaften in Wien und war fĂŒr den ORF-Radiosender Ă1 und als Chefredakteurin des Uni-Senders Radio Campus selbst journalistisch tĂ€tig.