Klimademonstration mit Schild "1,5 Grad"
Das Klimaziel von 1,5 Grad wurde 2024 erstmals überschritten. Es war das wärmste gemessene Jahr in Europa, mit schweren Folgen durch Extremwetterereignisse. © unsplash

Weltweite Bemühungen, CO2-Emissionen nachhaltig und wesentlich einzudämmen, stoßen auf Widerstände sozialer, politischer und wirtschaftlicher Natur. Doch je länger zugewartet wird, desto drastischer müssen später die Klimaschutzmaßnahmen ausfallen. Und je unrealistischer ein schnelles und wirkungsvolles Vorgehen wird, desto stärker kommt der Gedanke sogenannter Negativemissionen ins Spiel. Demnach sollen Technologien und gezielte Eingriffe in die Natur helfen, überschüssiges CO2 der Atmosphäre zu entziehen. Doch der Knackpunkt ist: Ein Großteil dieser Carbon-Removal-Technologien befindet sich noch in einer experimentellen Phase und ist weit entfernt von einem wirtschaftlich rentablen Einsatz.

Es besteht die Gefahr, dass diese technologischen Ansätze überzogene Hoffnungen auslösen, eine einfachere Lösung vorspiegeln und letztlich eine Verzögerung eines wirksamen Klimaschutzes zur Folge haben. Alina Brad vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien rekonstruiert mit ihren Kolleg:innen, wie klimapolitische Strategien zustande kommen. Sie geht der Frage nach, wie sich Erwartungen an Removal-Technologien darin niederschlagen. Bremsen sie tatsächlich Maßnahmen zur Verminderung von CO2-Emissionen – und falls ja, wie?

Politikwissenschaftlerin Alina Brad analysiert die Klimaziele der EU. Dabei interessiert sie sich für mögliche Verzögerungseffekte im Klimaschutz, die durch zu hohe Erwartungen in technologische Lösungen eintreten könnten.

Forschende beschäftigen sich bereits seit Jahrzehnten mit Carbon-Removal-Technologien, die Kohlenstoffanteile in der Atmosphäre reduzieren und die Klimakatastrophe abschwächen können. Wie weit sind diese Technologien bereits in die Praxis vorgedrungen?

Alina Brad: Die Technologien existieren und sie funktionieren auch bereits in der Praxis. Das Problem ist die Skalierung, also die Ausweitung von Pilotprojekten hin zu einem großflächigen Einsatz. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist ein Einsatz sogenannter neuer Methoden der Kohlenstoffentnahme vorgesehen. Dazu gehört der Anbau von Biomasse, die man dann zur Energiegewinnung verbrennt. Das dabei entstehende CO2 wird abgeschieden und im Boden verpresst oder in der Industrie neuen Nutzungen zugeführt. Ein anderer Ansatz sieht vor, dass speziell gewonnene Pflanzenkohle, die CO2 speichert, etwa in landwirtschaftliche Böden eingebracht wird. Weitere Technologien scheiden das CO2 sogar direkt aus der Atmosphäre ab. Dann gibt es Strategien auf Basis natürlicher Prozesse, bei denen mehr CO2 von Gesteinen oder in Ozeanen aufgenommen werden soll.

Doch der Einsatz all dieser Methoden ist heute noch verschwindend gering und erreicht die Vorgaben aus den Szenarien für die Erreichung der Pariser Klimaziele nicht im Mindesten. Manche dieser Szenarien sehen ein Gesamtvolumen von 1.100 Gigatonnen abzuscheidendem CO2 bis zum Jahr 2100 vor. Laut aktuellem Carbon-Removal-Bericht wird der überwiegende Anteil der 2,2 Gigatonnen, die derzeit jährlich der Atmosphäre entzogen werden, durch konventionelle Maßnahmen wie Aufforstung und Wiederaufforstung erreicht. Deren zukünftiges Potenzial ist jedoch begrenzt. Nur 0,1 Prozent der Entnahme passieren aktuell mittels neuer Methoden.

Woran hakt es beim Einsatz auf breiter Basis?

Brad: Die Kosten für die Entfernung des CO2 liegen bei den neuen Methoden etwa zwischen 100 und 500 Euro pro Tonne. Im europäischen Emissionshandel kostete die Emission einer Tonne zuletzt aber zwischen 60 und 80 Euro. Um einen Ausbau wirtschaftlich darstellbar zu machen, müssten sich diese Zahlen also noch viel weiter annähern. Das Problem lässt sich aber nicht allein auf eine Preisfrage reduzieren. Wie schnell ein großflächiger Einsatz gelingen kann, wird auch in der Forschung durchaus kontrovers diskutiert. Neben der Einschätzung der technologischen und wirtschaftlichen Skalierbarkeit geht es dabei auch darum, welche sozialen und politischen Faktoren berücksichtigt werden. Hier geht es beispielsweise um mögliche negative Folgen eines großflächigen Biomasseanbaus – von Biodiversitätsverlust bis zu Landnutzungsveränderungen.

Gleichzeitig ist nach wie vor nicht klar, ob die Abscheidung der laut Klimamodellen erforderlichen Kohlenstoffmengen überhaupt erreichbar ist. Denn auch die Einschätzungen der Potenziale in verschiedenen Modellrechnungen gehen auseinander. Klar scheint lediglich, dass der Emissionsminderung Priorität gegeben werden und das Portfolio der umgesetzten Removal-Technologien zur Risikostreuung sehr breit sein muss.

„Die Technologien existieren, doch ihr Potenzial ist begrenzt. “ Alina Brad

In Ihrem Projekt beschäftigen Sie sich mit den Folgen der erwarteten Removal-Lösung im Hier und Jetzt. Viele Forschende befürchten, dass die notwendige Emissionsreduzierung gebremst wird, weil man an die zukünftige technische Lösung glaubt. Wie kann sich eine solche Erwartung in politische und wirtschaftliche Mechanismen übersetzen?

Brad: Die empirische Forschung steht in dieser Frage noch ganz am Anfang. Ein wichtiger Faktor sind aber die Modellierungen, in denen verschiedene Klimaschutzszenarien durchgerechnet werden. Schon vor über zehn Jahren wurden hier erstmals Negativemissionen durch CO2-Entnahmetechnologien berücksichtigt, weil sonst die Ziele kaum erreichbar schienen. Die Mengen dieser Negativemissionen nahmen über die Jahre zu, weil die Geschwindigkeit einer Transformation hin zu Klimaneutralität viel zu langsam ging. Zugespitzt gesagt: Den Politiker:innen wurde durch die Berücksichtigung der Entnahmetechnologien mehr und mehr suggeriert, dass die Klimaziele auch ohne weitreichendes und schnelles Handeln noch zu erreichen seien.

Sie untersuchen konkret den Einfluss der Negativemissionstechnologien auf die EU-Klimapolitik. Wie gehen Sie hier vor?

Brad: In meiner Forschung geht es um die politische Formulierung von Klimazielen. Mithilfe der Methode des sogenannten Process-Tracing zeichne ich die dahinterliegenden politischen Entscheidungsprozesse samt relevanter Einflussfaktoren so gut wie möglich nach. Es ist ein bisschen wie Detektivarbeit, in der ich den Zusammenhängen langsam näherkomme. In der Formulierung der EU-Klimaziele für 2040 wurden nach einem öffentlichen Konsultationsverfahren etwa die Emissionsminderung und die CO2-Entnahme nicht getrennt ausgewiesen, obwohl das von einem breiten Bündnis von Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen als ganz zentral angesehen wird, um Verzögerungseffekte zu verhindern. In einer aktuellen Studie konnten wir zeigen, dass die EU-Kommission damit eine gewisse Flexibilität signalisieren will: Es schwingt mit, dass die Klimaziele vielleicht auch mit großflächigen CO2-Entnahmen erreicht werden könnten – und dass drastische Emissionsminderungen nicht in Stein gemeißelt sind.

Die politischen Entscheidungsträger:innen möchten damit aber keineswegs Klimamaßnahmen verzögern, sondern ein vergleichsweise ehrgeiziges Klimaziel trotz wachsenden Widerstands aufrechterhalten. Basis unserer Analyse sind die Stellungnahmen aus dem Konsultationsverfahren und andere EU-Dokumente inklusive Leaks früherer Fassungen der Zielformulierungen, aber auch Expert:inneninterviews mit Politikberater:innen und Vertreter:innen von NGOs und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Weibliche junge Forscherin mit verschränkten Armen und grauem Pullover
Ohne Eindämmung der CO2-Emissionen werden die Klimaziele nicht erreicht. Technologische Lösungen reichen bei Weitem nicht, sagt Alina Brad mit Blick auf die EU-Klimapolitik. © Markus Zahradnik

„Mittlerweile hat China die EU bei grünen Technologien überholt.“ Alina Brad

Österreich möchte Carbon-Storage, also ein hier derzeit verbotenes Verpressen von Kohlenstoff im Untergrund, erlauben. Könnte der Schritt auch zu einem laxeren Umgang mit den Zielen zur Emissionsminderung führen?

Brad: Das kommt ganz darauf an. In Österreich wurde im Rahmen einer Carbon-Management-Strategie beschlossen, dass das Verbot fallen soll. In der Erarbeitung der Strategie wurde dank der Einbindung eines wissenschaftlichen Beirats sehr gute Vorarbeit geleistet. Österreich ist international nun eines der wenigen Länder, die eine Definition von „Hard to abate“-Emissionen eingeführt haben. Diese „schwer zu mindernden“ CO2-Ausstöße kommen aus Sektoren wie der Zement- und Stahlindustrie oder aus der Landwirtschaft. Solange diese Definition möglichst eng gefasst wird, lässt sich die Gefahr verzögerter Klimaschutzanstrengung zumindest minimieren. Österreichs Kapazitäten für die CO2-Speicherung im Boden sind begrenzt. Es ist sinnvoll, jenen Sektoren Zugang zu geben, die keine Alternativen für ihre emissionsintensiven Prozesse haben. Die Frage der Priorisierung ist hier zentral – und ich hoffe, dass sich Österreich hier mit einer engen Definition der „Hard to abate“-Emissionen als Vorreiter positionieren kann.

Aufrüstung, Erstarken von Rechtsparteien und die von den USA ausgelöste Zollmisere: Wie lange kann die EU angesichts dieser neuen Probleme ihre ambitionierte Klimapolitik überhaupt aufrechterhalten?

Brad: Bereits seit 2022 ist ein klimapolitischer Rückschlag beobachtbar. Auslöser war die Energiekrise, verursacht durch den Krieg in der Ukraine. Dazu kommt nun eine Stärkung von rechten und extrem rechten Parteien bei den EU-Wahlen, die eine Abkehr vom Klimaschutz vorantreiben. Damit kommt der European Green Deal unter Druck. Die Kommission hält an den Klimazielen zwar weiter fest. In der Praxis kann man aber beobachten, dass bedeutende Regelwerke verwässert werden – etwa Vorgaben für das Auslaufen des Verbrennungsmotors, das Lieferkettengesetz oder Anforderungen im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen.

Mittlerweile ist die EU auch nicht mehr Vorreiterin bei grünen Technologien. Der Rang wurde Europa von China abgelaufen, das intensiv in diesen Bereich investiert – beispielsweise in die Elektromobilität. Hier muss Europa nachziehen. Die Vormachtstellung im politischen Bereich, etwa im Schaffen günstiger Rahmenbedingungen für Klimaschutz oder in der Entwicklung innovativer politischer Instrumente, verteidigt die EU noch. Wichtig ist, dass trotz all der neuen Probleme der Klimaschutz langfristig nicht aus dem Blick gerät.

Machen die vielfältigen sozialen Krisen es wahrscheinlicher, dass eine erwartete Lösung für das Klimaproblem vermehrt in die technische Sphäre verschoben wird?

Brad: Zuerst muss man festhalten, dass dieser Fokus auf technische Lösungen immer da war. Er prägt die Klimadiskussion von Anfang an. Eine neuere Entwicklung ist, dass sich konservative Kräfte nun nicht mehr so stark an der Leugnung des menschengemachten Klimawandels beteiligen. Sie wollen ihn dagegen nun als eine rein technische Fragestellung sehen, die keine gesellschaftliche Veränderung nötig macht. Damit wird aber keine tatsächliche Lösung geboten, sondern lediglich eine Problemverschiebung betrieben – denken wir zum Beispiel an die sozialen und ökologischen Folgen des Lithiumabbaus im Globalen Süden. Die Technologieentwicklung ist natürlich wesentlich für eine Transformation. Aber mindestens genauso wichtig ist es, gesellschaftliche Infrastrukturen und Routinen wie das Mobilitätssystem neu zu denken. Gleichzeitig müssen die Anliegen der Bürger:innen gehört werden und in die politischen Prozesse einfließen – was derzeit viel zu wenig der Fall ist.

Zur Person

Alina Brad ist Senior Scientist am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien mit Forschungsschwerpunkten im Bereich internationaler Umwelt-, Klima- und Ressourcenpolitik, Negativemissionen und sozialer Prozesse bei der Veränderung der Landnutzung. Frühere Stationen ihrer Laufbahn waren unter anderem die University of Bogor in Indonesien, das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner, Deutschland, und das Centre for Sustainability Studies (LUCSUS) an der Universität Lund in Schweden. Das von 2023 bis 2027 laufende Projekt „Negative-Emissionen-Technologien in der EU-Klimapolitik“ wird im Elise-Richter-Programm des Wissenschaftsfonds FWF mit 340.000 Euro gefördert.

Studien

Carbon removal, mitigation deterrence and the politics of target separation. Evidence from the EU 2040 climate target negotiation, 2025

The politics of carbon management in Austria: Emerging fault lines on carbon capture, storage, utilization and removal, 2024

Carbon-Removal-Technologien können Klimaschutz nicht ersetzen

Die EU-Kommission hat sich ehrgeizige Ziele für Klimaschutzmaßnahmen gesetzt. Treibhausgasemissionen sollen bis 2040 um 90 Prozent gegenüber den Werten von 1990 reduziert werden. Österreich will bis dahin klimaneutral sein.

Zu dem Mix an Maßnahmen zählen Technologien zur Entnahme und Speicherung von Treibhausgas aus der Atmosphäre. Bis 2030 sollen jährlich 50 Millionen Tonnen CO2 dauerhaft gespeichert werden, wie im Net-Zero Industry Act (NIZA) festgelegt wurde. Doch der Einsatz dieser Methoden ist großteils noch in der Pilotphase. Lediglich 0,1 Prozent der C02-Emissionen werden derzeit mit technologischen Methoden reduziert.

Für das Klimaziel von 1,5 Grad ist die Reduktion von Emissionen vorrangig. Forschende stellen allerdings infrage, ob dieses Ziel noch erreicht werden kann.

Um der Klimaerwärmung nachhaltig entgegenzuwirken, müssen unterschiedliche Instrumente und Faktoren berücksichtigt werden. Neben technologischer Innovation geht es vor allem um die Reduzierung des absoluten Energie- und Materialverbrauchs und die Bereitstellung von Infrastrukturen, die ein klimafreundliches Leben ermöglichen.