Der Ägyptologe Manfred Bietak erforscht die Dynastie der Hyksos, jene rätselhafte „Herrschaft der Fremdländer“, die zwischen 1640 und 1530 v. Chr. im östlichen Nildelta an der Macht war. © Manfred Bietak/Archive ÖAW

Die Geschichte des Alten Ägypten reicht von der Vordynastischen Zeit des vierten Jahrtausends v. Chr. bis zum Jahr 395 n. Chr., dem Ende der Griechisch-römischen Zeit. Unterteilt wird die ägyptische Geschichte in 31 Dynastien, wobei teilweise mehrere Dynastien in verschiedenen Landesteilen parallel herrschten.

„Herrscher der Fremdländer“

Im östlichen Nildelta etablierte sich ein Reich, deren Könige nicht aus Ägypten stammten, die Hyksos, die „Herrscher der Fremdländer“, wie sie von den Ägyptern genannt wurden. Da aus dieser Zeit nur wenige Textquellen vorhanden sind, ist über die Dynastie der Hyksos, die zwischen 1640 und 1530 v. Chr. herrschte, nur wenig bekannt. Woher kamen diese „Fremdländer“? Wie kamen sie an die Macht, und warum ist diese Dynastie untergegangen? Diese Fragen erforscht Manfred Bietak schon seit fast einem halben Jahrhundert.

Metropole im Mittelmeerraum

Seit 2005 legt der emeritierte Professor der Uni Wien, Manfred Bietak, einen ausgedehnten Palastbezirk aus der Hyksos-Zeit frei. © Manfred Bietak/Archive ÖAW

Bereits in den späten 1960er Jahren entdeckte der Wiener Ägyptologe „Auaris“, die Hauptstadt der Hyksos, nahe des heutigen kleinen Dorfes Tell el-Dab’a, rund 140 Kilometer nordöstlich von Kairo. Mit etwa 30.000 Einwohnern war sie einst die größte Stadt ihrer Zeit im Mittelmeerraum und eine internationale Drehscheibe des Handels. In den vergangenen Jahrzehnten wurden bei Ausgrabungen enorm viele Daten über die Bevölkerung während der Hyksos-Herrschaft gewonnen. Sie lieferten Erkenntnisse über die Art der Siedlungen, über Palast- und Tempelarchitektur, über Grabbräuche und deren Kultur im Allgemeinen.

Auszeichnung des ERC

Für sein Projekt „The Hyksos Enigma – Das Rätsel um die Herkunft der Hyksos“ erhielt Manfred Bietak 2015 vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen Advanced Grant, der mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotiert ist. Dem Wissenschafter geht es in diesem Projekt vor allem um historische Fragen, wie die Herkunft, die Art der Machtergreifung und den Einfluss der Hyksos und ihrer Herrschaft auf Ägypten.

Vom Gastarbeiter zur Elite

Für Bietak deutet vieles darauf hin, dass die Hyksos aus der nördlichen Levante kamen. „Sie waren anfangs sozusagen Gastarbeiter, vermutlich Seeleute, Schiffbauer, Söldner und Händler.“ Ihr Know-how wurde von den Pharaonen gebraucht. Die Einwanderer brachten auch neue Bräuche, Kulte, fremde Architektur und Nutztiere – wie das für neue Wege der Kriegsführung wichtige Pferd nach Ägypten. Sie führten das Akkadisch als Diplomatensprache ein, betrieben Handel mit Zedernholz, Wein und Olivenöl und brachten neue Technologien für die Metallverarbeitung und die Keramikproduktion in das Land. Schließlich gelang es den Hyksos, zur politischen Elite aufzusteigen. „Erst die Migration dieser Vorderasiaten nach Ägypten und die Mélange des Know-hows machten Ägypten zur Globalmacht im Nahen Osten“, erzählt der emeritierte Professor für Ägyptologie an der Universität Wien.

Trophäen getöteter Feinde: abgeschlagene rechte Hände (ca. 1600 v. Chr.) © Manfred Bietak/Archive ÖAW

Aus Knochen lesen

In seiner Arbeit verfolgt Bietak einen multidisziplinären Ansatz. Er ergänzt seine archäologische und historische Forschung mit Methoden der Biologie und Geochemie. „Gerade in der Archäologie kann man die größten Fortschritte erzielen, wenn man multidisziplinär vorgeht“, betont der Wissenschafter im Gespräch mit scilog. So kooperiert Bietak zum Beispiel mit dem Bioarchäologen Holger Schutkowski von der englischen Bournemouth University, der anhand menschlicher Überreste Isotopen- und DNA-Analysen durchführt. Weiters sollen Textanalysen, architektonische Merkmale, das Studium religiöser Rituale und von Grabbräuchen sowie der materiellen Kultur Auskunft über die Herkunft der Hyksos geben. Außerdem untersucht Bietak die Handelsbeziehungen der „Fremdländer“ zum Vorderen Orient, nach Zypern und Nubien (im heutigen Sudan gelegen), die ebenfalls in Zusammenhang mit Aufstieg und Fall des Reiches stehen. Eines steht für Bietak fest: „Die Hyksos spielten in der Geschichte der Alten Welt eine wesentlich größere Rolle als bisher angenommen. Die großen Errungenschaften Altägyptens gemischt mit den Erfahrungen der Zuwanderer aus dem Vorderen Orient waren wohl das Erfolgsrezept, das die Grundlage des Aufstiegs Ägyptens zu einer Weltmacht schuf.“

Abgeschlagene rechte Hände werden gezählt. Darstellung einer Schlacht Ramses III, auf einer Reliefwand in Medinet Habu (ca. 1184-1153 v. Chr.) © Manfred Bietak/Archive ÖAW

„Bestimmte Ereignisse wiederholen sich“

Man sagt, man muss die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen. Dem stimmt auch Bietak zu. „Bestimmte Ereignisse wiederholen sich. Migrationsströme gab es in gewaltigem Ausmaß auch im Altertum. Das kommt wieder auf uns zu. Ich nehme an, dass in 50 Jahren ein erheblicher Anteil der europäischen Bevölkerung orientalischen Ursprungs sein wird. Vielleicht kann man die Hoffnung hegen, dass sich die Menschen akkulturieren und zu einem erfolgreichen Europa der Zukunft beitragen werden“, sagt er.

„Die Radikalisierung in der islamischen Welt ist eine Folge westlicher Intervention.“ Manfred Bietak

Radikalisierung und westliche Interventionen

Die Radikalisierung im vorderasiatischen Raum sieht Bietak großteils als Folge westlicher Intervention: „Afghanistan, Irak, Syrien. Da sehe ich für die nächste Zeit schwarz. Die Interventionen durch die Großmächte haben lokale Machtgefüge zerschlagen. So brutal diese Regime zum Teil waren, sie haben eine Art Gleichgewicht bewahrt. Jetzt bricht dieses Gefüge auseinander. Es gibt die verschiedensten Gruppierungen und Interessen, die dort aufbrechen. Wenn man nicht im Irak interveniert hätte, wäre es nicht zu solchen Entwicklungen wie dem IS gekommen“, analysiert er. Bietak hatte in Ländern wie dem Irak, Afghanistan oder Ägypten bereits eine fortgeschrittene Säkularisierung beobachtet. Die Radikalisierung sieht er als Abwehrreaktion auf übermächtige westliche Einflussnahme. „Der Westen ist aufgetreten wie eine Imperialmacht. Die Leute schätzen das nicht. Sie haben sich auf ihre eigenen Traditionen besonnen und sind wieder religiöser geworden. Auch in Persien, ein Land, das weitgehend säkularisiert war, ist man wieder zu einer strengen Ausübung des Islam zurückgekehrt. Der Drang, den Weltpolizisten zu spielen, hat zu einer verhängnisvollen Entwicklung beigetragen“, ist Bietak überzeugt.

Am Anfang waren Expeditionsgeschichten

Manfred Bietaks Interesse für die Urgeschichte Afrikas begann bereits in seiner Kindheit: mit der Lektüre von Expeditionsgeschichten. Zu Beginn seines Studiums an der Universität Wien hatte er die Chance, an Grabungen in Nubien mitzuwirken und übernahm innerhalb weniger Jahre die Grabungsleitung. „Ich habe schließlich im Laufe der Zeit in Tell el-Dab’a sicher 80 Grabungs- und Aufarbeitungskampagnen mit enormem Gewinn an Befunden absolviert“, erinnert sich Bietak.

Korsett-Studium Bologna

Dass Studierende heute nicht diese Chancen haben, sich Zeit zu lassen und monatelang auf Ausgrabungen zu sein, findet er schade: „Zu meiner Zeit haben die besten Studierenden meist lange für ihr Studium gebraucht. Sie waren nicht zufrieden, bis ihre Dissertation eine fantastische Arbeit war. Damit haben sie sich ihre Qualifikation am internationalen Markt erarbeitet. Das Korsett-Studium Bologna ist eine katastrophale Einführung!“ Bietak wünscht sie die Abschaffung des

„Das Korsett-Studium Bologna ist eine katastrophale Einführung!“ Manfred Bietak

Bologna-Systems auf universitärer Ebene - in Kombination mit Eingangsprüfungen an Instituten. „Das ist das Erfolgsgeheimnis der berühmten Universitäten wie zum Beispiel in Harvard und Yale: jeder Kandidat muss sich einem Interview stellen. Nicht jeder eignet sich für jedes Studium.“ Allerdings dürfe kein Druck auf Instituten lasten, dass sie mit anderen zusammengelegt werden, wenn sie zu wenige Studierende haben. „Es ist sowieso ein Wahnsinn, möglichst große Institute zu schaffen! Gerade in den Orchideenfächern muss man sich kleine Institute leisten, die aber in ihrem Forschungsoutput ganz anders dastehen als die großen. Bei den Massenwissenschaften gibt es eine mächtige internationale Konkurrenz. Man muss sich forschungspolitisch überlegen: Wo können wir ein Profil haben?“, fordert er.

„Wien ist DER Schwerpunkt für ägyptische Archäologie“

Plan eines kanaanäischen Tempelbezirkes auf Tell el-Daba (17. Jh. v. Chr) © Manfred Bietak/Archive ÖAW

Die Entwicklung seines eigenen Faches gibt ihm Recht. „Wien ist heute DER Schwerpunkt für ägyptische Archäologie innerhalb der universitären Landschaft“, stellt Bietak fest. Den Grundstein dafür schufen er und seine Mitarbeiter. „Anteil daran haben auch mein Vorgänger Dieter Arnold und meine Nachfolgerin Christiana Köhler“, stellt er fest. Dem Wissenschaftsfonds FWF ist Bietak äußerst dankbar: „Der FWF hat mir sehr geholfen. Vor allem mit dem Spezialforschungsbereich SCIEM 2000 konnte ich viele junge Kollegen aus der Archäologie und Ägyptologie anstellen.“ Mit den Mitteln dieses Spezialforschungsbereiches (SFB) konnte Bietak an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) eine ganze Abteilung bilden – die Kommission für Ägypten und die Levante. „Ich hatte viele hervorragende Studierende. Die meisten sind heute im In- und Ausland für Ägyptische Archäologie sehr erfolgreich tätig“, erwähnt Bietak nicht ohne Stolz. Das Ergebnis sind etwa 80 in der ÖAW publizierte Monografien und 25 Bände der sehr erfolgreichen internationalen Zeitschrift „Ägypten und Levante/Egypt and the Levant“.

„Emeritieren Sie, laufen Sie Gefahr, dass Ihnen das Wasser abgegraben wird.“ Manfred Bietak

Das Problem der Altersdiskriminierung

Was der 75-Jährige an der Arbeit des FWF besonders schätzt, ist dass es keine Altersdiskriminierung gibt. „In den USA können Sie bestimmen, wann Sie in Pension gehen. Bei uns geht das nicht“, zieht er einen Vergleich. Gerade in den Geisteswissenschaften erreiche man – aufgrund der Bedeutung der Erfahrung – erst spät den Zenit, dann sei man aufgrund der starken administrativen Belastung in seiner Aktivzeit in der Forschungsarbeit begrenzt und schiebe vieles auf für die Zeit, wenn man in Pension ist. „Aber emeritieren Sie, laufen Sie Gefahr, dass Ihnen das Wasser abgegraben wird“, stellt Bietak bitter fest. Gerade deshalb schätzt er, dass sowohl der FWF als auch der ERC nicht aufgrund des Alters diskriminieren, sondern ihm eine weitere Fortsetzung seiner Karriere ermöglichen. Der bittere Beigeschmack für den Unermüdlichen: „Seit ich den ERC-Award bekommen habe, bricht eine Welle von Ungemach über mich herein.“ Aber resignieren ist seine Sache nicht.


Manfred Bietak promovierte 1964 an der Universität Wien in Ägyptologie. Von 1966 bis 1969 und von 1975 bis 2009 leitete er die Ausgrabungen von Tell el-Dab’a im nordöstlichen Nildelta. Dabei identifizierte Bietak die Hyksos-Hauptstadt Auaris und die Ramses-Stadt Piramesse. 1971 baute er eine archäologische Forschungsstelle in Ägypten auf, die 1973 als Zweigstelle Kairo dem Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) angegliedert wurde und bis 2009 unter seiner Leitung stand. Bis zu seiner Emeritierung 2009 war er Professor für Ägyptologie an der Universität Wien und ab 1986 Vorstand des Instituts für Ägyptologie. Von 2004 bis 2011 war er Direktor des Vienna Institute of Archaeological Sciences der Universität Wien. Neben zahlreichen Ehrungen erhielt Bietak 2015 einen der höchsten internationalen Auszeichnungen: einen ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats, bei dem sich Spitzenwissenschafter unter starker internationaler Konkurrenz bei 5 bis 10 Prozent Erfolgschancen um ein Projekt bewerben.


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