Der Mensch, das Unberechenbare in der Simulation

Ob in der Klima- und Verkehrsforschung oder, wie seit einem Jahr, in der BekĂ€mpfung einer globalen Pandemie â Computersimulationen sind heute nicht mehr wegzudenken. Die Welt ist zu komplex geworden, als dass man noch ohne die enorme Rechenleistung von Computern auskommen könnte. In der Coronapandemie rĂŒckte die Arbeit jener Forscherinnen und Forscher, die sich auf dieses Feld spezialisiert haben, in den Fokus der breiten Ăffentlichkeit. Auch in den Medien sind sie mittlerweile hĂ€ufig geladene GĂ€ste. Kein Wunder, denn ihre Simulationen bilden eine wichtige Grundlage fĂŒr politische Entscheidungen wie Lockerungen oder VerschĂ€rfungen von MaĂnahmen zur EindĂ€mmung der Pandemie. Der Mathematiker und Informatiker an der UniversitĂ€t Salzburg Robert ElsĂ€sser gehört zu jenen, die berechnen, welche MaĂnahmen sich wie auf das Infektionsgeschehen auswirken.
Viren verhalten sich wie Informationen
Robert ElsĂ€sser und sein Team beschĂ€ftigen sich seit etlichen Jahren mit der Ausbreitung von Krankheiten in groĂen Populationen. Als Experte fĂŒr Algorithmen entwickelt er Verfahren, um Verteilungsprobleme in dynamischen Systemen zu lösen. Ein fundamentales Problem in groĂen Netzwerken ist die Verteilung von Informationen. Hier besteht eine erstaunliche Parallele: oft verbreiten sich Viren in einer Population Ă€hnlich wie Informationen in einem Netzwerk. Diesen Umstand kann sich die Wissenschaft im Kampf gegen die Pandemie zunutze machen. Bereits 2004 hat das Team um ElsĂ€sser mit der Erforschung der Verbreitung von grippeĂ€hnlichen Prozessen begonnen, die erstaunliche Ăhnlichkeiten zu den realmedizinischen Daten des Robert-Koch-Instituts aufweisen. Als vor einem Jahr Covid-19 aufkam, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Erkenntnisse ihrer Arbeit zugrunde legen, mussten dabei ein paar Anpassungen â wie etwa zusĂ€tzliche Infektionsarten â durchfĂŒhren und konnten rasch erste Daten zur VerfĂŒgung stellen.
Grundlagenforschung â Basis fĂŒr rasche Ergebnisse in der Pandemie
Dieses Beispiel zeigt: Viele wissenschaftliche Entwicklungen in diesem Pandemiejahr schreiten nicht nur deshalb so schnell voran, weil Forschung und finanzielle Mittel sich darauf konzentrieren, sondern vor allem, weil die Grundlagenforschung seit Jahrzehnten den wissenschaftlichen Boden dafĂŒr bereitet. Der erste Impfstoff gegen Covid-19 wurde binnen weniger Monate nach Ausbreitung der Pandemie bereits Ende 2020 zugelassen. Doch die dahinterliegende Forschungsarbeit fĂŒr solche mRNA-Impfstoffe dauerte Jahrzehnte und sollte ursprĂŒnglich ganz anderen Zielen als antiviralen Impfstoffen dienen â nĂ€mlich einer Krebsvakzine. Ein vielversprechendes Medikament gegen Covid-19 des Wiener Unternehmens Apeiron wird gerade klinisch getestet und zeigt gute Ergebnisse. Mit der Grundlagenforschung an der Entwicklung dieses antiviralen Medikaments hat der Apeiron-GrĂŒnder und Molekularbiologe Josef Penninger vor 20 Jahren begonnen.
VerschÀrfungen in Wien
Wie sieht nun der Simulationsexperte die derzeitige Situation in Wien? FĂŒr die erschöpfte Bevölkerung keimt im FrĂŒhling nach einem Jahr mit Social Distancing, Homeoffice, permanenter Betreuungsunsicherheit fĂŒr Familien mit Kindern und existenziellen Sorgen neue Hoffnung auf. Noch am 21. MĂ€rz 2021 kĂŒndigt Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker an, trotz steigender Infektionszahlen die Wiener SchanigĂ€rten Ende MĂ€rz öffnen zu wollen. âWir können die Bevölkerung nicht lĂ€nger einsperrenâ, sagt er. Doch wie so oft in diesem Jahr der Pandemie kommt es anders. Die Intensivstationen der ostösterreichischen SpitĂ€ler sind am Anschlag, die Regierung zieht die Notbremse und beschlieĂt zumindest fĂŒr den Osten Ăsterreichs VerschĂ€rfungen. Am 24. MĂ€rz werden die neuen MaĂnahmen bekannt gegeben: unter anderem FFP2-Maskenpflicht in allen geschlossenen, öffentlichen RĂ€umen, Testungen in Betrieben, mehr Homeoffice, HandelsschlieĂung und eine RĂŒckkehr aller SchĂŒlerinnen und SchĂŒler ins Distance-Learning nach den Osterferien. Der harte Lockdown wird schlieĂlich bis Anfang Mai verlĂ€ngert.
Zur Person
Robert ElsĂ€sser ist Professor fĂŒr Computerwissenschaften an der UniversitĂ€t Salzburg. Er studierte Informatik mit Nebenfach Mathematik an der UniversitĂ€t Paderborn/Deutschland, promovierte dort 2002 in Informatik und wurde zum Juniorprofessor ernannt. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of California in San Diego und Gastprofessuren in Bordeaux und Freiburg wurde ElsĂ€sser 2012 an die UniversitĂ€t Salzburg berufen. Dort leitet er die Efficient Algorithms Group. Seine Forschungsschwerpunkte sind parallele und verteilte Algorithmen sowie die Struktur von Graphen und Netzwerken.
âMehr Testungen in Betrieben könnten die Infektionswelle brechen, vorausgesetzt die QuarantĂ€ne wird eingehalten. â
Wellenbrecher: Testungen in Betrieben
Einen entscheidenden Effekt erwartet sich Robert ElsĂ€sser durch die Forcierung von Homeoffice und die geplanten betrieblichen Testungen. âDie Testungen in den Betrieben finde ich sehr sinnvoll, wobei mehrmals wöchentlich getestet werden sollte, um entsprechende Wellenbildungen in kurzen ZeitabstĂ€nden zu brechenâ, stellt der Wissenschaftler Ende MĂ€rz fest. Hier könne man unterschiedliche Testvarianten kombinieren, zum Beispiel einmal in der Woche PCR-Gurgeltests und alle zwei Tage die weniger zuverlĂ€ssigen Antigen-Schnelltests. Sein Team konnte den âWellenbrecher-Effektâ dieser MaĂnahme in den Simulationen sehr deutlich erkennen â vorausgesetzt, die QuarantĂ€nebestimmungen werden konsequent eingehalten. Eine Ausdehnung der FFP2-Maskenpflicht auf BĂŒros sieht ElsĂ€sser eher skeptisch: âAuf Dauer kann die Maske die LeistungsfĂ€higkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer senken.â

Regionale MaĂnahmen und Eintrittstests fĂŒr Handel wenig sinnvoll
FĂŒr politisch verstĂ€ndlich, aber epidemiologisch nicht optimal erachtet der Simulationsexperte die regionale BeschrĂ€nkung von MaĂnahmen: âEs ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis die KrankenhĂ€user in anderen BundeslĂ€ndern an ihre KapazitĂ€tsgrenzen stoĂen.â Auch Eintrittstests fĂŒr den Handel kann ElsĂ€sser wenig abgewinnen: Konsequentes Tragen der FFP2-Maske mĂŒsste hier ausreichen.
Ăbertragung in geschlossenen RĂ€umen
Die Simulationen des ElsĂ€sser-Teams fokussieren auf die Ăbertragung von Viren in geschlossenen RĂ€umen, konkret an Schulen, am Arbeitsplatz und in den Familien. Auch Expertinnen und Experten der deutschen Gesellschaft fĂŒr Aerosolforschung (GAeF) empfahlen in einem Schreiben an die deutsche Bundesregierung Mitte April 2021, den Schwerpunkt auf InnenrĂ€ume zu setzen, da dort die âallermeisten Infektionenâ stattfĂ€nden. Sie berufen sich dabei auf internationale Studien. Im Freien können Infektionen vorwiegend ĂŒber Tröpfchen erfolgen â wovor Abstandhalten und die FFP2-Maske schĂŒtzen.
Parameter: Homeoffice, Distance-Learning, Einhaltung der QuarantÀne etc.
Die Daten fĂŒr die Berechnungen des Salzburger Experten stammen aus der einschlĂ€gigen medizinischen Fachliteratur. Wichtige Parameter sind unter anderem der Anteil von Homeoffice, das AusmaĂ von Distance-Learning, die Unterteilung von BĂŒrorĂ€umen nach der Anzahl der darin Arbeitenden, die Einhaltung von QuarantĂ€nemaĂnahmen und die Altersstruktur.
âWĂŒrden sich wirklich alle an die MaĂnahmen halten, brĂ€uchten wir keinen harten Lockdown.â
Als Datenbasis dienen ElsĂ€sser in erster Linie Details aus der Stadt Salzburg, allerdings zeigten sich keine groĂen Unterschiede zu gesamtösterreichischen Daten. Wichtig sei, dass man einen relativ geschlossenen Bereich untersucht, also beispielsweise einen stĂ€dtischen Raum: âUnsere Simulationen eignen sich sehr gut fĂŒr StĂ€dte wie Salzburg, Wien oder Linz und weniger gut fĂŒr lĂ€ndliche Regionen.â
Anfang JĂ€nner: weicher Lockdown wirkt nicht
Die Ergebnisse der Berechnungen Anfang JĂ€nner zeigten eindeutig: Bei normalem Schulbetrieb ohne MaĂnahmen wie Testung und Schichtbetrieb und einer Homeoffice-Rate von 30 bis 60 Prozent ist selbst optimistisch gerechnet eine Steigerung der Infektionen nicht zu verhindern. Ein weicher Lockdown wirkt erst, wenn 40 Prozent der Bevölkerung bereits immun sind.
MaĂnahmen von vor Ostern ausreichend, wenn sich alle daran hielten
Das Bild, das die neuesten Simulationen von Ende MĂ€rz zeigen, ist nicht mehr so eindeutig. BerĂŒcksichtigt sind die Virusmutationen mit einer um 25 bis 50 Prozent erhöhten Infektionswahrscheinlichkeit und jene MaĂnahmen, wie sie vor Ostern galten, also Schulschichtbetrieb mit Testung, Handel und körpernahe Dienstleister unter bestimmten Abstandsregeln geöffnet. âWenn wir von einem Schulbetrieb mit Testung ausgehen und davon, dass 50 Prozent der positiven FĂ€lle bei Kindern entdeckt werden und diese gemeinsam mit ihren Familien in QuarantĂ€ne gehen â unter der Voraussetzung, dass sich alle an die MaĂnahmen halten und Infektionen nur in Schulen, in Familien und in Betrieben erfolgen â, dann wĂŒrden diese MaĂnahmen selbst fĂŒr die Virusmutation ausreichenâ, sagt ElsĂ€sser. Das Problem: die vielen Wenns und Unbekannten.
Unbekannte: Grenzen des Modells
Denn halten sich nicht alle an die Regeln und kommt es auch nur zu einer geringfĂŒgigen mathematischen Abweichung von 0,02 Prozent von diesen Annahmen, steigen die Infektionszahlen in Folge wieder. Unbekannte im Geschehen bringen die mathematischen Modelle an ihre Grenzen. So ist es etwa erlaubt, dass sich zwei Haushalte treffen. Aber wie oft passiert das und wie viele Haushalte welcher GröĂe treffen sich? Das lĂ€sst sich in den Simulationen schwer abbilden. âDoch diese eine Unbekannte reicht fĂŒr ein Ansteigen der Infektionenâ, sagt der Informatiker.
Von der Ceausescu-Diktatur nach Deutschland
Mathematik ist schon in der Schule ElsĂ€ssers Lieblingsfach. Aufgewachsen im rumĂ€nischen SiebenbĂŒrgen â seine Vorfahren waren Angehörige der Volksgruppe der Banater Schwaben - wandert er nach der Wende als 18-JĂ€hriger nach Deutschland aus und studiert an der UniversitĂ€t von Paderborn Informatik mit Nebenfach Mathematik. Was er in seiner neuen Heimat bis heute besonders schĂ€tzt, ist die Meinungsfreiheit. Aufgewachsen in einem totalitĂ€ren Regime, in dem schon ein Witz ĂŒber die Regierung einem die Freiheit kosten kann, sieht der 49-JĂ€hrige in der Demokratie einen unschĂ€tzbaren Wert. âIch bin heute noch fassungslos darĂŒber, dass es ĂŒberhaupt möglich ist, eine gesamte Bevölkerung dermaĂen zu unterdrĂŒckenâ, erinnert er sich an seine Kindheit in der neostalinistischen Diktatur unter Nicolae Ceausescu.
Schatten im Rampenlicht
Robert ElsĂ€sser gehört zu jenen Forschenden, die im Laufe der Coronapandemie ins Rampenlicht gerĂŒckt sind. Eine Erfahrung mit Licht- und Schattenseiten. Einerseits freut er sich ĂŒber das allgemein gesteigerte Interesse an seiner Arbeit, die er seit Jahrzehnten verfolgt, und dass er damit zur Ăberwindung der Krise beitragen kann. Andererseits gibt es auch böse Kommentare auf Zeitungsinterviews und persönlich beleidigende Mails von Coronaleugnern. Corona â eine Zeit voller WidersprĂŒchlichkeiten.