Das Spiel mit den Gehirndaten

Wer spielende Kinder beobachtet, stellt fest, dass sie ganz in die Welt ihrer Stofftiere, Bausteine oder Computergames eintauchen und die AuĂenwelt völlig ausblenden. Auch als Erwachsene kennen wir das GefĂŒhl des Flows, sei es beim Spielen oder Musizieren, beim Garteln oder Laufen. âBeim Spielen kommt man ĂŒber den Flow in bestimmte BewusstseinszustĂ€nde und ich wollte mehr darĂŒber wissen. DafĂŒr habe ich die Neurowissenschaft und Neuroschnittstellen, konkret die Elektroenzephalografie, als Möglichkeit gesehenâ, beschreibt Margarete Jahrmann von der UniversitĂ€t fĂŒr Angewandte Kunst Wien den Auslöser ihres vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojektes âNeuromatic Game Art: Critical Play with Neurointerfacesâ. Die Elektronenzephalografie (EEG) misst die elektrische AktivitĂ€t des Gehirns und liefert als Ergebnis Datenströme und Wellendiagramme. Jahrmann suchte nun kĂŒnstlerische Darstellungsformen in Bild und Ton, um FlowzustĂ€nde und Hirnströme in öffentlichen Performances zugĂ€nglich zu machen und spielerisch aufzuklĂ€ren.
Hirnströme im Zentrum des Interesses
Aus einer ersten Idee ergaben sich weitere Forschungsfragen. Denn Neuroschnittstellen werden nicht nur zu medizinischen Zwecken genutzt, sondern finden sich immer hĂ€ufiger in Anwendungen fĂŒr Konsument:innen, die beispielsweise auch gesunden Menschen ermöglichen, Computer mit Gedanken zu steuern. Aus Sicht der Anwender:innen ergeben sich dadurch reizvolle Möglichkeiten. Die Unternehmen vermarkten diese Technologie entsprechend als spielerische AnsĂ€tze, um beispielsweise TĂ€tigkeiten effizienter durchzufĂŒhren. Gleichzeitig geben Menschen, die ein Gehirnwellen-Analyse-GerĂ€t nutzen, viele ihrer persönlichen Daten preis, dazu zĂ€hlen nicht nur persönliche Angaben oder Nutzungsdaten, sondern auch Emotionen.
Das motivierte Margarete Jahrmann, das Potenzial von Kunst als Aktivismus zu nutzen, um Grenzen von Technologien zu hinterfragen. Dazu bildete sie ein interdisziplinĂ€res Forschungsteam als Dreiergespann, bestehend aus den Bereichen Neurowissenschaft mit Stefan Glasauer, Lehrstuhlinhaber fĂŒr Computational Neurosciences an der Brandenburgischen Technischen UniversitĂ€t Cottbus-Senftenberg (BTU Cottbus, ehem. Klinikum MĂŒnchen), digitale Philosophie mit Mark Coeckelbergh von der UniversitĂ€t Wien und Experimental Game Cultures am Institut fĂŒr Kunst und Gesellschaft der UniversitĂ€t fĂŒr Angewandte Kunst Wien.
Spielerische Kunst des Forschens
Um Grundlagenforschung mit Kunst zu verbinden, setzt Jahrmann auf ihre Kerndisziplin, die Spielsysteme, und erklĂ€rt das so: âEin Spiel ist ein Regelsystem, es baut ein Modell der Welt mit genauen Spielregeln. Dieses regelbasierte Vorgehen ist vergleichbar mit der Wissenschaft, daher ergibt sich in meinen kĂŒnstlerisch forschenden Projekten eine gute Zusammenarbeit mit der Wissenschaft.â Die von ihr entwickelte âLudic Methodâ benutzt Regelsysteme, die wiederholbar und quantifizierbar sind, jeweils in einem kĂŒnstlerischen Kontext. âDie Besonderheit meiner Arbeit ist, dass alle Spielsysteme öffentlich gezeigt werden, das erlaubt naturalistischere Experimente als nur im Laborâ, so Jahrmann weiter. Das vom FWF geförderte Projekt âNeuromatic Game Artâ wurde damit zu einer neuen Form der experimentellen Spielkunst.
Ăffentliche Performances als ForschungsstĂ€tte
FĂŒr das Projekt waren viele Einzelprojekte mit Live-Performances an unterschiedlichen Orten geplant. Die Corona-Lockdowns machten dem Vorhaben zu Projektstart einen Strich durch die Rechnung und so startete das Team den Neuromatic Brainwave Broadcast auf Youtube, ebenfalls live mit Zuschauenden. Diese wöchentlichen Sendungen mit EEG-Sets waren eine Herausforderung, erwiesen sich schlieĂlich jedoch als Bereicherung des Projekts, da die gemessenen Hirnwellen jedes Mal mit neuer Visualisierung und neuem Ton umgesetzt wurden.

Sukzessive wurden dann Veranstaltungen an realen Orten durchgefĂŒhrt. Zwei Projekte hebt Jahrmann besonders hervor: âLange vor dem Hype um KĂŒnstliche Intelligenz, nĂ€mlich 2021, haben wir einen neurophilosophischen Game-Chat gemacht. Eine AI hat dabei dem Technikphilosophen Mark Coeckelbergh aus dem Forschungsteam Fragen zum Projekt gestelltâ, erzĂ€hlt Jahrmann. Eine andere wichtige Performance war Zero Action in the Savings Bank, wo es um die mögliche Synchronisation von Signalen von zwei EEGs in der Kassenhalle der Otto Wagner Postsparkasse, einer Architekturikone in Wien, ging. Das Setting wurde bewusst gewĂ€hlt. âIn dieser poetischen Arbeit gab es keine monetĂ€re Transaktion in der Kassenhalle, es gab nur den Gedankenfluss.â Dabei wurden zwei Probandinnen liegend beim sĂŒĂen Nichtstun gezeigt, gleichsam im Flow. Ihre mittels Neuroschnittstellen gemessenen Gehirnströme erschienen, Ă€hnlich den Börsenkursen, live auf einem groĂen Screen. Zuschauende spielten indirekt mit, da sie allein durch ihre Anwesenheit das Denken der Probandinnen beeinflussten.
Gemeinsam forschen und lernen
Das Projekt brachte vielfĂ€ltige Ergebnisse fĂŒr alle Beteiligten. âWichtig war uns der Aspekt der PrivatsphĂ€re. So haben wir im Projekt Kopfgeld das EEG mit Gesichtserkennung gekoppelt. Beim Betreten der Installation stimmten die Besucher:innen problemlos und eher unreflektiert der Verwendung ihrer biometrischen Gesichtsdaten zu. Erst in spĂ€teren GesprĂ€chen mit uns haben sie darĂŒber nachgedacht und etwa gefragt, ob sie ihre Daten auch wieder löschen lassen könnenâ, berichtet Jahrmann. Die Besucher:innen nahmen die Möglichkeit, mit EEGs und Sensoren direkt und spielerisch in Kontakt zu kommen, als eine Form der SelbstermĂ€chtigung wahr. Nun waren schlieĂlich die GerĂ€te von dem eher beĂ€ngstigenden medizinischen Umfeld befreit.
Im gewĂ€hlten Forschungssetting wurde offensichtlich, dass die Proband:innen als Versuchsobjekte gleichzeitig auch Mitforschende sind und sich damit das VerhĂ€ltnis zur Versuchsleiterin bzw. die Rollen verschieben. Als zentrales Ergebnis wertet Jahrmann die Erkenntnis, dass Neuro-Interfaces wie EEGs eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung haben und man mit kĂŒnstlerischen Ausdrucksmitteln daran weiterforschen kann und soll: âWir können mit dem neuen, vom FWF geförderten Projekt âDer PsychoLudische Ansatz: Spielen fĂŒr die Zukunftâ fortsetzen. Die âRhetorics of Playâ des Spieltheoretikers Brian Sutton-Smith erklĂ€ren ja, warum Menschen spielen und warum Spiel so eine wichtige Kulturtechnik ist: Denn alles, was wir selber erleben oder wo wir selbst handeln können, hat starke Wirkung auf uns.â
Zur Person
Margarete Jahrmann ist KĂŒnstlerin, Forscherin und GrĂŒnderin der Ludic Society. Ihr Doktoratsstudium absolvierte sie unter Roy Ascott an der University of Plymouth, UK. Im Rahmen ihrer Dissertation hat sie ihren methodischen Ansatz âLudic Methodâ entwickelt, den sie in ihrer Forschung anwendet. Jahrmann ist Leiterin der Abteilung Experimental Game Cultures an der UniversitĂ€t fĂŒr Angewandte Kunst, Wien. Ihr PEEK-Projekt âNeuromatic Game Artâ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 370.000 Euro gefördert. 2023 startete sie das PEEK-Folgeprojekt âDer PsychoLudische Ansatz: Spielen fĂŒr die Zukunftâ.
Projektwebsite: https://neuromatic.uni-ak.ac.at
Ausstellungen
2022: Narrenturm Mindgame: Mindworm Blaster Augmented reality piece. Teil der permanenten Ausstellung des [Artificial Museum] (Jahrmann, Glasauer, Luif, Wagensommerer)
2022: Nubes Mental. Objeto de Juego. (Jahrmann, Glasauer, Wagensommerer, Kedl) Teilnahme an der 14. Biennale von Havanna
2021: SPIKE_Clouds_Climate.Mind. A play concert performance for non-human actors and various minds. Performance (Jahrmann, Glasauer, Wagensommerer) im Rahmen des Festivals Hybrid Play #RealityCheck. Festspielhaus Hellerau Dresden
Publikationen
Dobrosovestnova A., Coeckelbergh A., Jahrmann M.: Critical Art with Brain-Computer Interfaces: Philosophical Reflections from Neuromatic Game Art Project, in: C. Stephanidis et al. (Hg.), HCI International 2021 â Late Breaking Papers Cognition, Inclusion, Learning, and Culture, Springer Nature 2021
Jahrmann M.: Ludic Meanders through Defictionalization: The Narrative Mechanics of Art. Games in the Public Spaces of Politics, in: Suter, Beat, Bauer, RenĂ© and Mela Kocher (Hg.), Narrative Mechanics. Strategies and Meanings in Games and Real Life, 257â278, Bielefeld: transcript 2021
Jahrmann M.: Neurointerfaces as means of Artistic Research or Expanded Game Art, in: Abend P., Beil B., Ossa V. (Hg.), Playful Participatory Practices. Theoretical and Methodological Reflections, Springer Fachmedien Wiesbaden, 131â147, 2020 Preprint