Chronischem Schmerz auf der Spur

Schmerz ist ein wichtiges Schutzsystem des Körpers. Wenn er allerdings chronisch wird, was hĂ€ufig passiert, hat er jegliche sinnvolle Funktion verloren. Es kommt zu einem sogenannten SchmerzgedĂ€chtnis. Dabei werden die Schmerzen zu einer eigenstĂ€ndigen Erkrankung und entkoppeln sich vom ursprĂŒnglichen Auslöser. Welche Mechanismen dazu fĂŒhren, dass der Körper Schmerzreize âspeichertâ, beschĂ€ftigt die Wissenschaft angesichts der Zahl der Betroffenen und des komplexen Themas mehr denn je. Die Gen- und Hirnforschung scheint auf einem guten Weg, denn die Ursachen von chronischem Schmerz werden immer klarer. Ruth Drdla-Schutting von der Medizinischen UniversitĂ€t Wien, ist eine jener Forscherinnen und Forscher, die immer mehr Antworten auf bisher ungeklĂ€rte Fragen finden.
Mechanismen analysieren
Die Neurophysiologin untersucht die zellulĂ€ren VorgĂ€nge des zentralen Nervensystems dort, wo sich der Schmerz manifestiert. Konkret beschĂ€ftigt sich Drdla-Schutting mit der Rolle der Astrozyten. Dieser Zelltyp kommt im Zentralnervensystem am hĂ€ufigsten vor. Ein konkreter Mechanismus zur Ausbildung eines SchmerzgedĂ€chtnisses findet an den Kontaktstellen von Nervenzellen im RĂŒckenmark statt. Dieser wird als synaptische Langzeitpotenzierung (LTP) bezeichnet. âLange Zeit hat man sich bei der Erforschung der LTP nur auf Nervenzellen konzentriertâ, erklĂ€rt Drdla-Schutting. "Wir wissen aber, dass auch Astrozyten bei der synaptischen Ăbertragung eine Rolle spielen.â Erst unlĂ€ngst konnten Forscherinnen und Forscher aufzeigen, dass Astrozyten bei LTP eine Rolle im Hippocampus spielen â, der Hirnregion, die fĂŒr Lernen und GedĂ€chtnis wichtig ist. âDennoch werden die Ergebnisse in der Scientific Community widersprĂŒchlich diskutiertâ, so Drdla-Schutting und verweist damit darauf, dass die Forschung hier noch ganz am Anfang steht. Noch weniger bekannt sei, so die Forscherin, welche Rolle Astrozyten im Zusammenhang mit Schmerz im RĂŒckenmark haben. âDas liegt vor allem daran, dass uns die Werkzeuge fehlen, diese Zellen selektiv zu blockieren oder zu aktivieren.â
Schmerzursachen gezielt bekÀmpfen
Doch die FĂ€hrte stimmt. â Im Tierversuch konnten mit hochdosierten âZellblockernâ chronische Schmerzen teilweise rĂŒckgĂ€ngig gemacht werden. Ruth Drdla-Schutting arbeitet nun daran, Astrozyten gezielt anzugreifen, sprich bei chronischem Schmerz nur diesen Zelltyp zu blockieren. Dadurch sollen bessere Ergebnisse mit weniger Nebenwirkungen erzielt werden. Um solche maĂgeschneiderten Experimente durchfĂŒhren zu können, hat die Wissenschafterin im Rahmen eines Schrödinger-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF bis vor Kurzem an der UniversitĂ€t Paris Descartes im Team der Neurowissenschafterin Cendra Agulhon an einer innovativen Technik aus dem Genlabor geforscht.
MaĂgeschneiderte Methoden
Ruth Drdla-Schutting hat in Paris die Anwendung von Astrozyten-spezifischen DREADDs (Designer Receptors Exclusively Acitvated by Designer Drugs) im RĂŒckenmark etabliert. Dabei bedient man sich genetisch verĂ€nderter (âdesignedâ) Rezeptoren, die als Sensoren auf der OberflĂ€che von Zellen sitzen und Signale in das Zellinnere weiterleiten. Diese verĂ€nderten Rezeptoren funktionieren wie die natĂŒrlichen, allerdings mit dem Unterschied, dass sie durch körpereigene Substanzen nicht mehr aktiviert werden können. Stattdessen wird eine Substanz zugefĂŒhrt (Clozapine-N-Oxid), die die Rezeptoren ganz gezielt aktiviert. DREADDs können grundsĂ€tzlich in unterschiedliche Zelltypen, eben auch Astrozyten, eingebracht werden. Als nĂ€chsten Schritt untersucht Drdla-Schutting nun, wie sich die Aktivierung von Astrozyten mithilfe der DREADDs auf das SchmerzgedĂ€chtnis auswirkt. Erste Untersuchungen laufen gerade am Zentrum fĂŒr Hirnforschung der Medizinischen UniversitĂ€t Wien.
Hoffnung auf innovative Therapien
Bisher werden die DREADDs nur in der Grundlagenforschung eingesetzt. Die Forschung setzt jedoch hohe Erwartungen in diese neue Technik. Ergebnisse von vorklinischen Studien in Zell- und Tierexperimenten sind vielversprechend. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter erhoffen sich, diese Rezeptoren neben chronischem Schmerz auch gegen Krankheiten wie Epilepsie, Parkinson oder Diabetes einsetzen zu können.
Zur Person Ruth Drdla-Schutting forscht am Zentrum fĂŒr Hirnforschung der Medizinischen UniversitĂ€t Wien ĂŒber die neurobiologischen Grundlagen von chronischem Schmerz. Von 2014 bis 2015 war sie als Schrödinger-Stipendiatin des FWF an der renommierten UniversitĂ€t Paris Descartes.