Die Wandlung der geheimen Dienste
Wenn etwas schon das Wort âgeheimâ im Namen hat, kann seine Erforschung ja nicht leicht sein. Verena Moritz vom Institut fĂŒr OsteuropĂ€ische Geschichte der UniversitĂ€t Wien wagt es trotzdem. Die Historikerin, die wĂ€hrend des Studiums auch Russisch lernte, beschĂ€ftigt sich mit der Geschichte der Geheimdienste. Speziell mit dem militĂ€rischen Geheimdienst der K.-u.-k.-Monarchie, dem sogenannten Evidenzbureau â abgeleitet von âevident haltenâ, also bereithalten. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, erforscht sie die Entwicklung des Evidenzbureaus und dessen Arbeit in Bezug auf Russland, das in den knapp 50 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zum Hauptfeind von Ăsterreich-Ungarn wurde.
Geheimdienstliche AktivitĂ€ten (in der Forschung wird meist der aus dem Englischen ĂŒbernommene Begriff âIntelligenceâ genutzt) gibt es schon seit der Antike. Ăber Jahrtausende hinweg handelte es sich dabei aber eher um eine Ad-hoc-Sache: AufklĂ€rungseinheiten wurden fĂŒr einzelne KriegszĂŒge gebildet und danach wieder aufgelöst. Ein erster Professionalisierungsschub kam wĂ€hrend der Napoleonischen Kriege, weil sich ganz Europa ĂŒber 15 Jahre lang im Kriegszustand befand. âDas 19. Jahrhundert verĂ€ndert dann gesellschaftlich und politisch unglaublich vielâ, sagt Moritz. Nationalstaaten bilden sich heraus, es gibt TechnologieschĂŒbe, erstmals eine Massenpresse, eine allgemeine Wehrpflicht. Es kommt zu einer âVerwandlung der Weltâ, wie ein berĂŒhmtes Buch des Historikers JĂŒrgen Osterhammel ĂŒber das 19. Jahrhundert betitelt ist. Und so wie sich die Welt wandelte, verĂ€nderten sich auch die Geheimdienste.
JĂŒngste Intelligence-Forschung schlieĂt LĂŒcken
Lange Zeit war in der Intelligence-Forschung die vorherrschende Meinung, dass die entscheidenden SchĂŒbe in der Entwicklung der modernen Geheimdienste kurz vor dem Ersten Weltkrieg erfolgten. Das lag aber auch daran, dass man ĂŒber das Thema noch gar nicht so viel wusste. âDie Herausbildung der modernen Intelligence war in der Forschung sehr unterbelichtetâ, erklĂ€rt Moritz. Diese Forschung sei erst in der jĂŒngeren Vergangenheit angelaufen. Zu den russischen Geheimdiensten gibt es mittlerweile einiges an Wissen, ebenso zu den französischen und deutschen. âĂsterreich-Ungarn ist eine der gröĂten LĂŒcken. Da setzt meine Forschung an.â
Ăsterreich (und spĂ€ter Ăsterreich-Ungarn) war in Sachen Intelligence ein Vorreiter. Der Grund dafĂŒr waren die Konflikte mit PreuĂen um die Vorherrschaft im Deutschen Bund in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Zeit war geprĂ€gt von Spannungen zwischen den beiden GroĂmĂ€chten, die schlieĂlich 1866 in die entscheidende Schlacht bei KöniggrĂ€tz mĂŒndeten. In dieser Zeit gab es aufseiten der Ăsterreicher:innen das BedĂŒrfnis, das bereits institutionalisierte âErkundungswesenâ zu verbessern und zu erweitern. Das Evidenzbureau, sprich der militĂ€rische Geheimdienst in Ăsterreich, spĂ€ter in der Habsburgermonarchie, entwickelte sich.
Geheimdienst wÀchst mit Spannungsfeld Balkan
Die Aufgabe des Evidenzbureaus, das anfangs nur eine niedrige zweistellige Anzahl an Mitarbeiter:innen hatte, war das Sammeln und Auswerten von Informationen, die dem militĂ€rischen Generalstab â ebenfalls eine Erfindung des 19. Jahrhunderts â zur VerfĂŒgung gestellt wurden. Es war ein âziemlich langweiliger Jobâ, wie Moritz sagt, und auch keine beliebte Aufgabe innerhalb der Armee. Der aus dem Englischen ĂŒbernommene Begriff âIntelligenceâ deckt im Ăbrigen ein gröĂeres Aufgabengebiet ab als das deutsche Wort Spionage. Der Hauptteil der Arbeit war jedenfalls Informationsverarbeitung. Diese bekam u. a. mit der Entwicklung der modernen Kartografie einen neuen Schub. Die Espionage, also das Ausspionieren von Rivalen, gab es auch, sie war aber keineswegs die zentrale Aufgabe militĂ€rischer Geheimdienste.
Nach der KlĂ€rung der deutschen Frage und der Etablierung der K.-u.-k.-Monarchie verlagerte sich das Spannungsfeld auf den Balkan. Russland, das ebenso Interessen in der Region hatte, wurde zum Hauptfeind. In den 1880er-Jahren, in die Auseinandersetzungen wie die Bulgarische Krise fielen, wuchs das Kundschaftswesen auch personell stark an. Infolge der Bulgarischen Krise verĂ€nderte sich institutionell einiges: Der Geheimdienst brauchte Informationen von der Grenze, wo Bedrohungen bestanden. Man begann die zivilen Institutionen einzubinden â zuerst den Grenzschutz, spĂ€ter aber auch den Zoll und die Gendarmerie. âDas ist eine Erkenntnis, die ich im Rahmen des Projekts ganz zentral herausarbeiten konnte: Anders als frĂŒher gedacht, begann diese Einbindung nicht erst im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg, sondern frĂŒherâ, sagt Moritz. Das sei auch notwendig gewesen: Der Geheimdienst, der aus dem Budget des AuĂenministeriums bezahlt wurde, habe gar nicht das Personal gehabt, um die Vielzahl an Aufgaben zu bewĂ€ltigen. Der Wunsch des Evidenzbureaus, seine AktivitĂ€ten auch immer mehr ins Innere der Monarchie auszudehnen, habe eine Zusammenarbeit mit den zivilen Institutionen ebenfalls notwendig gemacht.
Mehr russische Spione als eigene
Auch wenn Moritz herausarbeiten konnte, dass vieles weit frĂŒher begann, gewann die geheimdienstliche Arbeit in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg eine neue QualitĂ€t. Die Anzahl der SpionagefĂ€lle stieg sprunghaft an, Galizien entwickelt sich zum Hotspot. Die Russen hatten mehr Spione unter den k. u. k. Offizieren als umgekehrt. Das mĂŒndete schlieĂlich in den berĂŒhmten Fall des Oberst Alfred Redl, der in leitender Stellung im Evidenzbureau tĂ€tig und gleichzeitig russischer Spion war. 1913 wurde Redl enttarnt und beging Suizid. âDie Anzahl der SpionagefĂ€lle, die ich im Rahmen des Projekts untersuchen konnte, hat mich schon ĂŒberraschtâ, berichtet Moritz. Das seien allerdings hauptsĂ€chlich âkleine Fischeâ gewesen, einen zweiten Fall Redl habe es nicht gegeben. Und noch zwei weitere Erkenntnisse konnte Moritz herausarbeiten: Zum einen waren fast alle âSelbstanbieterâ. Die berĂŒhmte âAnwerbungâ von Spionen durch gegnerische Geheimdienste spielte nur eine kleine Rolle. âDiesen Offizieren ging es fast nie um politische Motiveâ, sagt Moritz. âEs ging immer ums Geld.â
Zur Person
Verena Moritz studierte Russisch und Geschichte in Wien. In ihrer Dissertation beschĂ€ftigte sie sich mit den russischen Kriegsgefangenen in Ăsterreich-Ungarn wĂ€hrend des Ersten Weltkriegs. Seit 1998 war sie Leiterin mehrerer wissenschaftlicher Forschungsprojekte zur russischen/sowjetischen Geschichte sowie zur spĂ€ten Habsburgermonarchie und Ăsterreich ab 1918. Moritz ist am Institut fĂŒr OsteuropĂ€ische Geschichte der UniversitĂ€t Wien tĂ€tig. Das Projekt âDer k. u. k. MilitĂ€rgeheimdienst und Russland, 1867â1914â lĂ€uft noch bis 2025 und wird vom Wissenschaftsfonds FWF im Elise-Richter-Programm mit rund 158.000 Euro gefördert.
Publikation
Verena Moritz/Wolfgang Mueller (Hg.): Erkundungen. MilitĂ€rische Nachrichtendienste, Spionage und Informationsbeschaffung vor dem und im Ersten Weltkrieg in Russland, Ăsterreich-Ungarn Deutschland und Italien, Internationale Geschichte Bd. 8, Ăsterreichische Akademie der Wissenschaften 2022