Südcampus der Universität Kopenhagen, Sitz des Center for Subjectivity Research (CFS) © Bernhard Ritter

Es kommt vor, dass Schrödinger-Stipendiat:innen nicht nur an ein, sondern an zwei Gastinstitute geführt werden. In meinem Fall handelt es sich um das Institut des Sciences Juridique et Philosophique de la Sorbonne (ISJPS) an der Universität Paris 1 und das Center for Subjectivity Research (CFS) an der Universität Kopenhagen. Ich untersuche Berührungs- oder vielmehr Dissenspunkte zwischen der Phänomenologie, wie sie von Edmund Husserl begründet wurde, und der linguistischen Phänomenologie in der Nachfolge von J. L. Austin, Gilbert Ryle und Ludwig Wittgenstein. Insbesondere interessiere ich mich dafür, was für ein Licht dieser Dissens auf die jeweiligen Ansätze wirft.

Mit Sandra Laugier ist im ISJPS in Paris die linguistische Phänomenologie neu aufgelebt. Wenngleich sich die klassische Phänomenologie demgegenüber ungleich besser institutionalisiert hat. Das von Dan Zahavi geleitete CFS in Kopenhagen ist mit seiner Gründung im Jahr 2002 ein relativ spätes Beispiel dafür. Die ersten fünf Monate meines ersten Jahres in Paris waren noch von Lockdowns geprägt, so dass der ganze Forschungsaustausch zunächst virtuell stattfand. Meinen ersten Tag in Kopenhagen hingegen konnte ich ganz ohne Covid-19-Einschränkungen erleben. Wie es mir seitdem in Dänemark ergangen ist, möchte ich im Folgenden schildern.

Das Center for Subjectivity Research (CFS)

Das CFS ist der systematischen und interdisziplinären Erforschung der Subjektivität gewidmet. Obwohl das Institut gemessen an seinen ständigen Mitarbeiter:innen relativ klein ist – mit Dan Zahavi als einzigem Ordinarius –, ist seine Forschungstätigkeit überaus rege. Allein seit Beginn meines Aufenthaltes im Februar 2022 waren bereits 16 Gastforscher:innen hier. An den zahlreichen Konferenzen, die seit meinem Hiersein stattfanden, habe ich Vorträge von Vertreter:innen verschiedenster Fachbereiche gehört. Mein gastgebender Wissenschaftler ist Søren Overgaard, mit dem ich die größte Überschneidung an Forschungsinteressen aufweise. Er hat eine Lesegruppe ins Leben gerufen, in der wir Aufsätze besprechen, die für die Einreichung in wissenschaftlichen Fachjournalen bereit sind.

Ich werde selbst demnächst einen Aufsatz zur Diskussion stellen, in dem es um die Frage geht, inwiefern verschiedene Personen die gleichen Empfindungen haben können, wie zum Beispiel Schmerzen. Es wird häufig behauptet, man könne nur gleiche, nicht die identischen Schmerzen haben, dass also jede:r von uns etwas hat oder empfindet, was niemand anders haben oder empfinden kann. Das ist auch in der Phänomenologie eine häufig als selbstverständlich vorausgesetzte Betrachtungsweise, die manchmal mit Hilfe der type/token-Unterscheidung ausgesprochen wird. (Zur Erläuterung: Die Buchstabenfolge A-A-B besteht aus drei Vorkommnissen zweier Buchstabentypen, also aus drei tokens und zwei types.) Dennoch kann man zeigen, dass dabei etwas durcheinandergerät. Zustände können nämlich nicht so gezählt werden, nur Fälle des Habens solcher Zustände. Nun ergibt es aber keinen Sinn zu behaupten, dass jemand anders das Haben meines Zustandes nicht haben kann. Was ist es dann, von dem man glaubt, es könne nicht geteilt werden?

Der Südcampus der Universität Kopenhagen bietet hervorragende Arbeitsbedingungen. Mein Arbeitstisch lässt sich als Stehpult nutzen und zwei Etagen weiter unten gibt es eine Präsenzbibliothek mit Gesamtausgaben philosophischer Werke. Der Online-Zugriff auf Zeitschriften und Monografien ist sehr gut, und eine Hauptbibliothek befindet sich gleich im gegenüberliegenden Gebäude. Es gibt zwei Cafés, vier Kantinen – eine ausschließlich vegetarisch – und während des Semesters auch mobile Verpflegungsmöglichkeiten in der Nähe. Eine Besonderheit ist, dass die Mitglieder des CFS das Mittagessen in einer der Kantinen holen und dann gemeinsam einnehmen. Der Austausch ist auch aus diesem Grund sehr rege.

Die Stadt Kopenhagen

„Four Sheets to the Wind in Copenhagen“ – so lautet der Nebentitel eines von Kopenhagen inspirierten Liedes von Tom Waits. Ich weiß jetzt warum: Kopenhagen ist windig. Das stellt die Feuerwehr zuweilen vor Probleme. Just an meinem Geburtstag brannte in der Nachbarschaft eine Häuserzeile ab. Zu Schaden kam glücklicherweise niemand, nur verschwand damit leider auch die für mich nächstliegende Bäckerei.

Außerdem: In Kopenhagen bewegt man sich am besten mit dem Rad. Als Gastforscher wurde mir über die Housing Foundation eine Wohnung vermittelt, allerdings in Vanløse, sieben Kilometer vom Südcampus entfernt. Die Steigung ist moderat, aber 70 Kilometer in der Woche ist vielleicht etwas viel, so dachte ich jedenfalls zuerst. Mittlerweile gehört das Radfahren zum integrierten Fitnessprogramm meines Aufenthaltes, was den Vorteil hat, dass man sich am Wochenende nicht überlegen muss, ob man joggen gehen soll. (Natürlich nicht! Man ruht sich aus.) Diese Konstellation gefällt mir inzwischen so gut, dass ich nächstes Jahr, wenn ich wieder in Österreich bin, nicht zu nahe bei der Universität Graz wohnen möchte. Sieben Kilometer wären nicht schlecht – oder, na ja, vielleicht ein Kilometer weniger.

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