Ökonom Stephan Pühringer
Der Ökonom Stephan Pühringer rüttelt an seinem Fach, indem er bestehende Lehrmeinungen hinterfragt. Mit neuen Ansätzen will er zur Bewältigung der Klimakrise beitragen. © FWF/Violetta Wakolbinger

Herr Pühringer, welche Antworten soll Ihr START-Projekt geben?

Stephan Pühringer: In der Ökonomie geht man oft von folgendem idealisierten Bild aus: Akteur:innen agieren rational, geleitet von Kosten-Nutzen-Überlegungen. Nur ökonomisches Wachstum kann menschlichen Fortschritt hervorbringen und Märkte generieren immer das effizienteste Ergebnis. Dass dieses Denken im Alltag Einzug gehalten hat, sieht man an Redewendungen wie: „Das kaufe ich dir nicht ab.“ Es wirkt auch in der Forschung, der universitären Ausbildung und der Politik und steht der sozioökologischen Transformation auf vielen Ebenen im Weg.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Pühringer: Ja: Kurzstreckenflüge. Die Lehrbuchökonomie, aber auch eine Mehrheit der Ökonom:innen sagt, man müsste den Ticketpreis anheben und es bleibt die Entscheidung jedes und jeder Einzelnen, diesen zu bezahlen. Fragen von politischen Regulationen und Verboten sind im ökonomischen Denken meist nachrangig oder problematisiert. Dabei braucht ein sozioökologischer Wandel fundamentale Änderungen, nicht nur kleine Eingriffe.

In der Ökonomie wird die soziale, gesellschaftliche, politische und akademische Wirkmächtigkeit des Denkens noch kaum reflektiert. Ich werde daher aus einer interdisziplinären Perspektive herausarbeiten, wie ökonomische Analyse funktioniert und wo sie zu kurz greift. Die Klima- und Biodiversitätskrise sowie die Arm-Reich-Schere verschwinden nicht, wenn man sie nicht in die ökonomische Analyse einbezieht. Die Grenzen der Wirtschaft sind folglich ökologisch gegeben.

Zur Person

Stephan Pühringer ist stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. Er koordiniert das interdisziplinäre FWF-Forschungsprojekt „Spatial Competition and Economic Policies: Discourses, Institutions and Practices (SPACE)“. Nach seiner Promotion in Ökonomie arbeitete er als Postdoc an der Cusanus Universität in Koblenz. Für seine Forschungstätigkeiten erhielt Pühringer bereits eine Vielzahl an Forschungsstipendien.

„Die Grenzen der Wirtschaft sind ökologisch gegeben.“ Stephan Pühringer

Ein soziales und ökologisches Umdenken reicht in viele andere Disziplinen hinein. Ich werde in meinem Projekt interdisziplinär mit Forschenden der Sustainability Studies zusammenarbeiten. Das ist so noch nie passiert.

Wie sehen die ersten Schritte aus?

Pühringer: Ich werde mit einer Person, die in den Nachhaltigkeitswissenschaften beheimatet ist, den analytischen Rahmen abstecken. Wir werden festlegen, welche der vielen Konzepte von Nachhaltigkeit und sozialökologischer Transformation wir einbeziehen: etwa CO2-Bepreisung, Doughnut-Economics oder Degrowth-Ansätze.

Mit dem ZOE Institute for future-fit economies werde ich weiters die Frage der politischen Wirkmächtigkeit ökonomischen Denkens mit konkreten Beispielen ausarbeiten. ZOE hält in Deutschland und auf EU-Ebene Workshops mit Politiker:innen und Stakeholder:innen ab, etwa zum Green Deal der EU. Solche sind auch im Rahmen des Projektes geplant.

„Ich sehe es als immens wichtig, dass Wissenschaft ihre Erkenntnisse aktiv in Debatten einbringt. “ Stephan Pühringer

Wir werden übrigens auch eine Podcast-Serie und eine Serie an Policy-Briefs entwickeln und aussenden. Ich sehe es als immens wichtig, dass Wissenschaft sich nicht nur gesellschaftlichen Fragen widmet, sondern ihre Erkenntnisse auch aktiv in Debatten einbringt. Die EU-Kommissionspräsidentin soll, wenn das Projekt abgeschlossen ist, andere Konzepte von sozioökologischer Transformation zur Hand haben als die CO2-Bepreisung.

Was bedeutet der START-Preis für Ihre Forschungstätigkeit?

Pühringer: Er ist eine Auszeichnung für die Arbeit, die Kolleg:innen und ich in den vergangenen Jahren geleistet haben. Der Bereich „Social Studies of Economics“ und die interdisziplinäre Forschung erhalten dadurch einen starken Schub, mein Institut hoffentlich eine stärkere Verankerung an der JKU.

Was motiviert Sie im Forschungsalltag?

Pühringer: Konkret die Tatsache, dass wir um Fragen des Umbaus nicht herumkommen werden. Zudem die Tatsache, dass diese Art der interdisziplinären Wissensproduktion wenig geschätzt wird. Ich wollte immer schon zeigen: Wo die ökonomische Analyse endet, beginnen die Sphären der Gesellschaft und der Politik. Man muss sie immer zusammen denken. Die kritische Reflexion unserer Wirtschaftsweise treibt mich immer wieder an.

Haben Sie Mentor:innen?

Pühringer: Ja, zum einen mein Doktorvater Walter Ötsch, der in seiner gesamten wissenschaftlichen Karriere immer in der kritischen Auseinandersetzung mit den Wirtschaftswissenschaften stand. In den vergangenen Jahren auch Jakob Kapeller, der eine wichtige Figur in der sozioökonomischen Forschung im deutschsprachigen Raum wurde. Von ihm durfte ich viel über das tagtägliche wissenschaftliche Arbeiten lernen. Außerdem Claudius Gräbner-Radkowitsch. Er betreibt modellbasierte Ökonomie, die in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet ist, und ist ein immens wichtiger Gesprächspartner für mich.

Zum Projekt

Das START-Projekt „Sustainable Socioeconomic Transition and Economic Reasoning (SETER)“ identifiziert Ansätze, wie Nachhaltigkeit und sozioökonomische Transformation in Wissenschaft und Wirtschaft konzeptualisiert werden. Weiters analysiert es, wie sich ökonomisches Denken in verschiedenen Bereichen auswirkt und welche Player und Machtstrukturen in ökonomische Debatten involviert sind. Dies geschieht mit Methoden der Social Studies of Economics: Netzwerkanalyse, Diskurs- und Feldanalyse und performativen Studien. Ein besonderer Fokus des Projektes liegt auf EU-Politikpraktiken zur sozioökologischen Transformation.

Der FWF-START-Preis

Das Karriereprogramm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Der FWF-START-Preis ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem FWF-Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.