Die Schere zwischen höher Gebildeten und niedriger Gebildeten geht auf, wie eine Langzeitstudie im europĂ€ischen LĂ€ndervergleich zeigt. Niedriger Gebildete sind oft alleinerziehend, wĂ€hrend höher Gebildete sich mehr Zeit fĂŒr ihre Kinder wĂŒnschen. © Alexander Dummer/unsplash

Gute Bildung gilt als wesentliche Grundlage fĂŒr finanziellen Erfolg, Wohlstand und berufliche Selbstverwirklichung. Der Grad der Bildung hat aber gleichzeitig auch starken Einfluss auf das soziale Verhalten eines Menschen. Wie lange SchulbĂ€nke gedrĂŒckt und UniversitĂ€tsseminare besucht wurden, hat vielfĂ€ltige Auswirkungen darauf, wie das Beziehungs- und Familienleben sowie die Interaktion mit den eigenen Kindern gestaltet wird – was wiederum Einfluss auf deren Zukunftschancen hat.

In Europa ist die Frage, wie sich dieser Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Familienleben langfristig entwickelt und welche LĂ€nderunterschiede es dabei gibt, noch wenig erforscht. In diese ForschungslĂŒcke stĂ¶ĂŸt das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Familien und Ungleichheit: Trends in Bildungsunterschieden im Familienverhalten“ vor. Caroline Berghammer vom Institut fĂŒr Soziologie der UniversitĂ€t Wien und vom Institut fĂŒr Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitet mit einem internationalen Team an der Analyse der von Land zu Land jeweils unterschiedlich ausgeprĂ€gten ZusammenhĂ€nge. Die Erkenntnisse könnten auch fĂŒr sozialpolitische Überlegungen relevant sein. Etwa fĂŒr die Frage, welche UnterstĂŒtzungsleistungen Familien erhalten sollten.

„Auseinandergehende Schicksale“

Ein bekannter Trend, der durch eine Reihe frĂŒherer Studien dokumentiert ist, zeigt, dass Menschen mit höherer Bildung eher zu einem Familienverhalten neigen, das ihren Ressourcen zutrĂ€glich ist – sowohl ihren wirtschaftlichen Interessen als auch ihren sozialen BedĂŒrfnissen: Sie werden erst spĂ€ter im Leben Eltern, rĂ€umen der Zeit mit den Kindern dann aber einen höheren Stellenwert ein. MĂŒtter sind dennoch eher erwerbstĂ€tig. Niedriger Gebildete neigen dagegen hĂ€ufiger zu unehelichen Verbindungen, es kommt auch öfter zu Scheidung oder Trennung. „In den USA ist dieses PhĂ€nomen besonders stark ausgeprĂ€gt“, erklĂ€rt Berghammer. „Dort sehen wir, dass die Schere zwischen höher und niedriger Gebildeten in Bezug auf ihr Familienverhalten in den letzten Jahrzehnten weiter auseinandergegangen ist. Niedrig Gebildete sind dort beispielsweise sehr hĂ€ufig alleinerziehend.“ Berghammer verweist in diesem Zusammenhang auf die 2021 verstorbene US-Soziologin Sara McLanahan, die den Begriff diverging destinies – also „auseinandergehende Schicksale“ – fĂŒr diese Entwicklung prĂ€gte.

In Europa ist dieses Muster ebenso anzutreffen. Doch insgesamt ist die Landschaft zumindest noch vielfĂ€ltiger. „Wir haben uns die ZusammenhĂ€nge zwischen Bildung und Familienleben in acht LĂ€ndern und ĂŒber mehrere Jahrzehnte angesehen: in Österreich, Italien, Irland, Großbritannien, Polen, Frankreich, Deutschland und Norwegen“, schildert Berghammer. „Wir haben dazu Daten aus den sogenannten Labour Force Surveys ausgewertet – große DatensĂ€tze, die ĂŒber die europĂ€ischen LĂ€nder hinweg konsistent erhoben werden und fĂŒr weit zurĂŒckreichende ZeitrĂ€ume verfĂŒgbar sind. Zum Teil haben wir diese auch mit Zensus-Daten der statistischen Ämter der jeweiligen Staaten kombiniert.“ Zum Teil sei es aufgrund unterschiedlicher Regelungen in den einzelnen Staaten auch schwierig gewesen, an die Daten heranzukommen.

Einfluss der Bildung auf den Partnerschaftsstatus

Ein allgemeiner Trend, der die gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Geschlechterrollen in Europa widerspiegelt, betrifft den Bildungshintergrund alleinerziehender Frauen. „In den 1970er-Jahren sehen wir einen positiven Bildungsgradienten bei Alleinerziehenden. Ein Kind allein aufzuziehen, war damals ein neues Familienverhalten, mit dem man sich gegen landlĂ€ufige Normen durchsetzen musste und das einen hohen Ressourcenaufwand bedeutet hat. Diesen Weg gingen damals eher höher Gebildete“, erklĂ€rt die Soziologin. „In den 1980er-Jahren hat sich der Trend dann umgedreht. Immer mehr niedrig Gebildete wurden zu Alleinerziehenden.“ Allein Norwegen verweigert sich diesem Muster. Dort waren es auch frĂŒher schon die niedrig Gebildeten, die eher alleinerziehend waren, woran sich bis heute kaum etwas geĂ€ndert hat.

In Staaten wie Großbritannien oder Irland ist der Trend zu eher niedrig gebildeten Alleinerziehenden – wie in den USA – bis heute stark ausgeprĂ€gt. Kaum Bildungsunterschiede bei Alleinerziehenden gibt es beispielsweise in Italien oder in Österreich, so ein LĂ€ndervergleich Berghammers. Und auch die UmstĂ€nde, die zu einer Situation fĂŒhren, in der eine Person alleinerziehend ist, unterscheiden sich: „In Großbritannien, Irland oder Polen sind sehr hohe Anteile schon ab der Geburt des Kindes alleinerziehend, wobei auch die Zahl von Teenager-Mutterschaften eine Rolle spielt. In Österreich sind diese PhĂ€nomene weniger stark ausgeprĂ€gt“, erklĂ€rt die Soziologin. „Insgesamt sind die Kinder im Durchschnitt rund sieben Jahre alt, wenn ein Elternteil alleinerziehend wird.“ Neben kulturellen Unterschieden könnten auch sozialpolitische Gegebenheiten fĂŒr die Unterschiede verantwortlich sein. Berghammer: „Wir vermuten, dass ein Grund fĂŒr die Differenzen der unterschiedliche Ausbau des Wohlfahrtssystems ist.“

Genug Zeit fĂŒr die Kinder?

Angaben von MĂŒttern, die gerne mehr Zeit fĂŒr ihre Kinder hĂ€tten (in Prozent), und die durchschnittlichen Stunden fĂŒr Kinderbetreuung pro Woche. (n=5.898) © European Quality of Life Survey 2016/17

Eine weitere Studie, die im Zuge des Projekts entstand, widmet sich der Frage, ob Eltern den Eindruck haben, dass sie genug Zeit mit ihren Kindern verbringen. „Über ganz Europa hinweg sagen VĂ€ter bei Weitem hĂ€ufiger, dass sie zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen. Doch auch bei den MĂŒttern ist diese Aussage keineswegs rar“, betont Berghammer. „In Österreich sagt etwa ein Viertel der MĂŒtter, dass sie zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen. Das ist wenig im Vergleich zu SĂŒd- und Osteuropa, wo die ArbeitsmĂ€rkte rigider sind und wenig Teilzeit- oder Homeoffice-Varianten zulassen.“ Auffallend ist, dass sich höher Gebildete höhere Anforderungen setzen: „Ihre Ideale und Verhaltensnormen zeigen eine Kindererziehung, die viel intensiver und ressourcenaufwendiger ist als frĂŒher“, sagt die Soziologin. „Dazu passt, dass die höher Gebildeten auch öfter sagen, dass sie zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen – selbst wenn es ebenso viel ist wie bei den niedriger gebildeten Vergleichspersonen.“


Zur Person

Caroline Berghammer ist Assistenzprofessorin am Institut fĂŒr Soziologie der UniversitĂ€t Wien und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut fĂŒr Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Bisherige Forschungsaufenthalte fĂŒhrten sie an die Princeton University, die University of California, Berkeley und die University of Toronto. Ihr Projekt „Familien und Ungleichheit: Trends in Bildungsunterschieden im Familienverhalten“, das im Rahmen des Elise-Richter-Programms des Wissenschaftsfonds FWF mit 230.000 Euro gefördert wird, endet im Juni 2022.

Projekt-Website: https://fate-project.at


Publikationen

Berghammer C., AdserĂ  A.: Growing inequality during the Great Recession: Labour market institutions and the education gap in unemployment across Europe and in the United States, in: Acta Sociologica, 2022

Berghammer C. & Milkie MA: Felt deficits in time with children: Individual and contextual factors across 27 European countries, in: The British Journal of Sociology, 72, 1168–1199, 2021

Berghammer C., Matysiak A., Lyngstad T., Rinesi F.: Change in the educational gradient of single mothers since the 1970s across European countries: a family life course approach. Conference presentation at “II Data Forum on Harmonization and Uses of European LFS Microdata”, Barcelona, 2020 (PDF)