Herzzellen überdauern das ganze Leben
Die Entstehung der Erkrankung ist eng mit der besonderen Beschaffenheit der Herzzellen – auch Kardiomyozyten genannt – verknüpft. Während sich viele andere Körperzellen oft teilen, um schadhaftes Gewebe zu reparieren, passiert das im Herzmuskel nur in einem sehr überschaubaren Ausmaß. Weit weniger als 50 Prozent der Kardiomyozyten teilen sich einmal im Leben, die meisten bleiben ein ganzes Leben lang bestehen. „Weil sie sich kaum vermehren können, sind die Herzzellen auf eine gute Instandhaltung angewiesen“, veranschaulicht Abdellatif. „Doch die Autophagie der Kardiomyozyten lässt im Alterungsprozess nach. Übergewicht, Bluthochdruck oder Nierenerkrankungen kommen als weitere Risikofaktoren dazu.“ Durch Zellalterung, verminderte Autophagie, chronische Entzündungen und weitere Faktoren sterben Herzzellen ab, und es lagert sich immer mehr Bindegewebe im Herzmuskel ab – was zu Steifheit und der gestörten Fähigkeit des Herzens, sich mit Blut zu füllen, führt.
Abdellatif hat in der Vergangenheit schon an einigen Wirkstoffen geforscht, die die Autophagie in den Herzzellen positiv beeinflussen können, darunter die zelluläre Eigensubstanz Spermidin oder Nicotinamid, die auch als Vitamin B3 bekannt ist. „Bei diesen Substanzen gibt es vielversprechende Resultate“, erklärt der Kardiologe. „Doch das Problem ist, dass sie alle in Prozesse der Zelle oder sogar des Zellkerns eingreifen, um die Autophagie anzustoßen. Dabei können sie auch Effekte auslösen, die nicht spezifisch oder erwünscht sind, was die Übertragung der Erkenntnisse in eine Therapie erschweren könnte.“
Ansatzpunkte außerhalb der Herzzellen
Deshalb gehen Abdellatif und Team im Projekt „Ener-LIGHT“ grundsätzlich neue Wege. „Wir suchen außerhalb der Zellen im Blutkreislauf nach Einflussgebern für die Autophagie in den Herzzellen“, betont der Wissenschaftler. „Wenn es gelingt, auf extrazelluläre Faktoren dieser Art einzuwirken, müssen wir keine Wirkstoffe mehr in die Zelle bringen – und das könnte die Verträglichkeit der therapeutischen Eingriffe stark verbessern.“ Gleichzeitig scannen die Forschenden die Blutinhaltsstoffe auch nach Biomarkern, die Auskunft über Zustand, Autophagie und Stoffwechsel in Herzzellen geben können.
Die Forschenden, die im Projekt einen präklinischen und klinischen Ansatz kombinieren, greifen auf eine Vielzahl von Methoden zurück, um die gesuchten Autophagie-modulierenden Ziele zu entdecken, passende Wirkstoffe zu entwickeln und diese zu testen. Die internationalen Teams bringen dabei ihre multidisziplinäre Expertise in den Bereichen experimenteller und klinischer Kardiologie, Zellbiologie und Immunologie ein. Daten werden aus Blut- und Herzgewebeproben extrahiert und mit jenen gesunder Patient:innen verglichen. Wirkstoffprototypen werden mit molekularbiologischen Werkzeugen geschaffen und in Zellkulturen und Tiermodellen erprobt.
Vielversprechende Ergebnisse
Erste Resultate im Projekt identifizieren auch bereits einen Zielkandidaten, anhand dessen man die Zellreinigung im Herzen ansprechen könnte. „Ein bestimmtes Protein, das an aktivierte Fettsäuren bindet und eine wichtige Funktion in der zellulären Energieversorgung einnimmt, hat sich als vielversprechender Faktor erwiesen“, skizziert Abdellatif. „Blockieren wir das Protein, etwa mit Antikörpern oder einer genetischen Ausschaltung, ist es möglich, die Autophagie im Herzen zu reaktiveren. Im Moment untersuchen wir, ob dieser Mechanismus auch tatsächlich vor der Entstehung von Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion bewahrt.“
Wenn die Forschungen erfolgreich verlaufen, wäre das auch eine gute Nachricht für die Behandlung weiterer Leiden, in denen die Autophagie eine Rolle spielt. Abdellatif hebt den Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen hervor: „Wie Herzzellen können auch Neuronen kaum ersetzt werden, weil ihnen die Fähigkeit zur Teilung fehlt“, sagt der Wissenschaftler. „Deshalb bestehen in diesem Bereich große Erwartungen, dass eine Aktivierung der Autophagie auch Krankheiten wie Demenz hinauszögern kann.“ Aber auch bei Stoffwechselerkrankungen und bestimmten Formen von Übergewicht könnten die Erkenntnisse neue Forschungswege eröffnen. Die Hoffnung besteht, dass mit der Aktivierung der zellulären Qualitätskontrolle ein wesentlicher Beitrag zu einem gesünderen Altern geleistet werden kann.