Wie misst man, wie nachhaltig die heimische Landwirtschaft ist?

Was ist nachhaltige Landwirtschaft? Es ist gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten. Denn Nachhaltigkeit ist vielschichtig, landwirtschaftliche Produktionssysteme und Handel sind regional divers und global vernetzt. Christian Folberth hat es dennoch versucht. Der Umweltwissenschaftler forscht am Internationalen Institut fĂŒr Angewandte Systemanalyse (IIASA). Im Projekt âIndikatorenmatrix fĂŒr landwirtschaftliche Nachhaltigkeitâ ging er mit internationalen Kolleg:innen von 2021 bis 2023 den Fragen nach: Was macht landwirtschaftliche Nachhaltigkeit in einzelnen LĂ€ndern aus? Und: Wie kann man das messen? Gefördert wird das Projekt durch das Belmont Forum â einen Zusammenschluss internationaler Forschungsinstitutionen, dem auch der Wissenschaftsfonds FWF angehört.
Von Indien in die USA: ein internationales Konzept
In dem Forschungsprojekt arbeiteten Institutionen (UniversitĂ€ten, NGOs und Privatwirtschaft) aus Ăsterreich, Brasilien, Marokko, der TĂŒrkei, den USA und SĂŒdafrika unter der Leitung einer Wissenschaftlerin der University of Maryland zusammen. Neben dem IIASA war auch das Ăsterreichische Institut fĂŒr Wirtschaftsforschung (WIFO) mit dem Ăkonomen Franz Sinabell beteiligt.
Als ĂŒbergeordnetes Konzept griffen die Wissenschaftler:innen auf die Sustainable Agricultural Matrix (SAM) zurĂŒck, die der indische Agrarwissenschaftler Monkombu Swaminathan entwickelt hatte. âSwaminathan definierte drei Dimensionen: Umwelt, Wirtschaft und Soziales. Er meinte, dass man sie alle gleichzeitig berĂŒcksichtigen muss und sich auch deren Zusammenwirken ansehen sollteâ, erklĂ€rt Christian Folberth.
In einem VorlĂ€uferprojekt identifizierte eine Gruppe internationaler Forschungsteams fĂŒr jede der drei Dimensionen sechs landwirtschaftliche Nachhaltigkeitsindikatoren. Sie basieren auf Daten der Vereinten Nationen (UN) oder anderer internationaler Datenbanken und lassen sich ĂŒber lĂ€ngere ZeitrĂ€ume in mindestens 120 LĂ€ndern messen. So lĂ€sst sich das Zusammenwirken der einzelnen Indikatoren feststellen.
Was macht landwirtschaftliche Nachhaltigkeit aus? Und wie kann man das messen? Internationale Forscherteams erarbeiteten gemeinsam mit Personen aus der Praxis einen âIndikatorenmatrix fĂŒr landwirtschaftliche Nachhaltigkeitâ (2021â2023).
Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft auf einen Blick
âEin Indikator der Umweltdimension ist beispielsweise der Ăberschuss von StickstoffdĂŒnger. Das landwirtschaftliche Bruttoinlandsprodukt pro Person ist ein Wirtschaftsindikator und der Zugang zu Landrechten ein sozialer Indikatorâ, erklĂ€rt Christian Folberth.
Diese ĂŒberarbeitete Matrix lĂ€sst sich als Kreis mit zwei darum liegenden Ringen darstellen. Die 18 Indikatoren liegen auf dem Ă€uĂeren Ring und sind â je nachdem, ob und/oder wie weit vorgegebene Grenzwerte ĂŒberschritten werden â grĂŒn, gelb oder rot eingefĂ€rbt. Im inneren Ring liegen die drei Dimensionen, die je nach den Werten der dazugehörigen Indikatoren eingefĂ€rbt sind. Der Kreis im Ring zeigt farblich die Gesamtheit der landwirtschaftlichen Nachhaltigkeit. So veranschaulicht die Matrix, wie LĂ€nder in welchen Bereichen abschneiden. Doch sie hat auch SchwĂ€chen.

Von der Forschung in die Praxis
âLandwirtschaftliche Nachhaltigkeitsindikatoren wie SAM werden meist von internationalen Organisationen oder im akademischen Bereich entwickeltâ, erklĂ€rt Folberth. Er und seine Kolleg:innen wollten herausfinden, ob die Matrix auch in den jeweiligen LĂ€ndern funktioniert. âDafĂŒr arbeiteten wir mit einem Bottom-up-Ansatz und holten uns die EinschĂ€tzungen von Expertinnen und Experten aus der Praxis einâ, so Folberth.
Die Wissenschaftler:innen brachten Vertreter:innen von 14 landwirtschaftlichen Stakeholdern zu zwei Workshops zusammen. Die Teilnehmenden waren (Nebenerwerbs-)Landwirt:innen, Vertreter:innen aus dem Privatsektor, von NGOs, Behörden, der Landwirtschaftskammer oder Ausbildungsinstitutionen. Sie halfen, die 18 Indikatoren auf ihre Praxistauglichkeit in Ăsterreich abzuklopfen.
âEs war spannend zu sehen, wie unser Top-down-Ansatz die RealitĂ€t der Landwirtschaft vor Ort trifft. Wir haben kritisches und damit umso relevanteres Feedback bekommenâ, resĂŒmiert Christian Folberth. Der Wissenschaftler war begeistert von der Expertise der Stakeholder.
Nachbesserungsbedarf
Unter anderem kritisierten die Expert:innen aus der Praxis sogenannte gesamtaggregierte Zahlen, beispielsweise fĂŒr die ArbeitsproduktivitĂ€t. âSie wird quantifiziert, indem man das landwirtschaftliche Bruttoinlandsprodukt durch die Anzahl an Personen teilt, die in der Landwirtschaft arbeitenâ, erklĂ€rt Folberth. Dieser Wert zeigt allerdings nicht, wo die Menschen produktiver werden oder ob weniger Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, wie es in Ăsterreich der Fall ist. Die Wissenschaftler:innen lernten folglich von den Stakeholdern, welche Indikatoren oder Daten aussagekrĂ€ftig fĂŒr landwirtschaftliche Nachhaltigkeit in den jeweiligen LĂ€ndern sind.
In vielen tropischen LĂ€ndern sagt etwa die Entwaldungsrate viel ĂŒber landwirtschaftliche Nachhaltigkeit hinsichtlich der BiodiversitĂ€t aus. âIn Europa hingegen ist die BiodiversitĂ€t vor Ort ein viel wichtigerer Indikatorâ, erklĂ€rt Christian Folberth.
Auch die Grenzwerte, die fĂŒr die Indikatoren angenommen werden, mĂŒssten an die LĂ€nder angepasst werden. FĂŒr den Indikator StickstoffĂŒberschuss liegt dieser bei 50 Kilogramm pro Hektar â viel zu hoch, um laut einem EU-Reglement in LĂ€ndern der EuropĂ€ischen Union vertretbar zu sein.

Regionale Zuschnitte
Aus der Zusammenarbeit mit den Stakeholdern haben die Wissenschaftler:innen mehr als 30 VorschlĂ€ge fĂŒr passende lokale Indikatoren gesammelt. Ein Beispiel: In Ăsterreich sagt die Anzahl der Höfe, die an Nachfolger:innen ĂŒbergeben werden können, viel ĂŒber soziale Nachhaltigkeit aus. Diese VorschlĂ€ge glichen die Wissenschaftler:innen mit der Datenlage ab. Denn um international vergleichbar zu sein, braucht es globale Daten und lange Zeitreihen.
Ein Jahr nach dem ersten Workshop fĂŒhrten die Forschenden erneut mehrstĂŒndige GesprĂ€che mit den Praxis-Vertreter:innen. âWir wollten erheben, ob das, was wir wissenschaftlich aus dem ersten Workshop erarbeitet hatten, auch seine LegitimitĂ€t hatâ, erklĂ€rt Folberth.
Bleibt die Frage: Welche konkreten Vorteile haben die regionalen Adaptierungen? Eine lokal angepasste landwirtschaftliche Nachhaltigkeitsmatrix macht ZusammenhĂ€nge sichtbar. âSo lassen sich etwa schon heute Szenarien modellieren, wie sich Umweltindikatoren Ă€ndern, wenn es ökonomische Ănderungen gibt und umgekehrtâ, sagt Folberth. Die Matrix kann so als Tool fĂŒr politische EntscheidungstrĂ€ger:innen dienen.
Wie geht es weiter?
Aktuell publizieren die Wissenschaftler:innen ihre Ergebnisse. âWir hoffen, auf dieser Forschung aufbauen zu könnenâ, betont Folberth. So wĂ€re es denkbar, die Matrix regional anzupassen. Um den Ring mit den 18 globalen Indikatoren könnte man einen weiteren mit regionalen Indikatoren legen. Passende Datenreihen dazu gibt es â etwa ĂŒber den Faktor zur Umwandlung landwirtschaftlicher FlĂ€chen in andere Nutzungsarten.
Es gibt also noch einiges weiterzuentwickeln. Dennoch war das Feedback der Stakeholder positiv, sagt Projektleiter Folberth: âViele haben wertgeschĂ€tzt, dass jemand ein international vergleichbares Indikatorensystem entwickelt hat und das nun an die Anforderungen in der Praxis anpassen möchte.â Die Zusammenarbeit aus Forschenden und Praktiker:innen hat also FrĂŒchte getragen â und zwar auf beiden Seiten.
Zur Person
Christian Folberth ist Senior Research Scholar in der Forschungsgruppe fĂŒr Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ăkosystemdienstleistungen am Internationalen Institut fĂŒr Angewandte Systemanalyse (IIASA). Er studierte Gartenbauwissenschaften sowie Umweltplanung und Ingenieurökologie an der Technischen UniversitĂ€t MĂŒnchen und promovierte im Jahr 2014 am Fachbereich Umweltsystemwissenschaften der ETH ZĂŒrich. Das internationale Projekt âIndikatorenmatrix fĂŒr landwirtschaftliche Nachhaltigkeitâ (2021â2023) wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit rund 71.000 Euro kofinanziert.
Publikationen
Folberth C., Wood S.A., Wironen M. et al.: Exploring the potential for nitrogen fertilizer use mitigation with bundles of management interventions, in: Environmental Research Letters 19, 2024
Folberth C., Sinabell F., Schinko T., & Hanger-Kopp S.: Co-evaluating and -designing a Sustainable Agriculture Matrix for Austria in an international context, in: EGU General Assembly 2022
Zhang X., Yao G., Vishwakarma S. et al.: Quantitative assessment of agricultural sustainability reveals divergent priorities among nations, in: One Earth 4, 2021