Die Wissenschaftler:innen Olga Sekurova und Sergey Zotchev in ihrem Labor in Wien.
Olga Sekurova und Sergey Zotchev in ihrem Labor in Wien. Den Forschenden ist es gelungen, einen Mechanismus zu knacken, der den Stoffwechsel von Bakterien und damit deren Antibiotikaproduktion hochfĂ€hrt. © UniversitĂ€t Wien

In den SpitĂ€lern ringt man mit antibiotikaresistenten Infektionen, weshalb neue Antibiotika dringend gebraucht werden. Dieser Umstand beschĂ€ftigt auch Sergey Zotchev von der UniversitĂ€t Wien. Er leitet ein Labor fĂŒr Pharmazeutische Biotechnologie am Department fĂŒr Pharmazeutische Wissenschaften. Dort werden noch unentdeckte Wirkstoffe aus der Natur erforscht. Daneben beschĂ€ftigen den Molekulargenetiker pragmatische Fragen: „Wie stellen wir die Substanzen in ausreichenden Mengen her?“ Denn natĂŒrlicherweise produzieren Organismen gerade genug, um ihren eigenen Bedarf zu decken. Die geringe Ausbeute bereitet nicht nur der industriellen Herstellung Probleme. Sie verhindert auch, dass bislang unbekannte Antibiotika gefunden werden. Im Projekt „StrepStress“ konnte Zotchevs Gruppe nun drei Gene identifizieren, die die Entdeckung und Herstellung von Antibiotika revolutionieren könnten. Dazu ahmten die Forschenden schĂ€digende UmwelteinflĂŒsse via Gentechnik nach und zĂŒchteten so hochproduktive Bakterien.

Schwierigkeiten bei der Herstellung

UrsprĂŒnglich meint der Begriff „Antibiotika“ schlicht Substanzen, die einen Organismus an seinem Wachstum hindern oder ihn abtöten (griechisch: anti = gegen, bios = Leben). Produziert werden sie von Pilzen – wie beim bekannten Beispiel Penicillin –, aber auch von Bakterien und Pflanzen. Das macht sich die Pharmazie zunutze.

Allerdings gibt es bei dem Unterfangen gewisse EinschrĂ€nkungen. „NatĂŒrlicherweise stellen Bakterien nur einige Milligramm Antibiotikum pro Liter Zellkultur her. Das ist deutlich zu wenig fĂŒr die industrielle Produktion, da braucht es mehrere Gramm pro Liter“, so Zotchev. Noch schwieriger sei es in einem Labor, wo sich die natĂŒrlichen VerhĂ€ltnisse nicht vollstĂ€ndig nachstellen lassen. Antibiotika dienen ihren Herstellern ĂŒblicherweise zum Schutz vor Konkurrenten oder zur Kommunikation mit benachbarten Organismen. Im Labor fehlen Ă€ußere EinflĂŒsse – dementsprechend gering ist die Ausbeute.

Ein zweites Problem ist der Zeitaufwand beim ZĂŒchten hochproduktiver Bakterien. FrĂŒher brauchte es dafĂŒr reihenweise Selektionsschritte. Zotchevs Projekt soll eine AbkĂŒrzung bieten. „Wenn wir von Beginn an spezifische Gene identifizieren und mutieren, dann dauert das ZĂŒchten bloß einen Monat.“

Dazu untersuchten die Forschenden das Bakterium Streptomyces venezuelae. Neben anderen Wirkstoffen stellt diese Art das Antibiotikum Chloramphenicol her. Und das Bakterium hat eine Besonderheit. Wenn S. venezuelae dem Alkohol Ethanol ausgesetzt wird, dann fĂ€hrt es seine Antibiotikaproduktion drastisch hoch. Bekannt ist dieser Umstand seit 1994. Doch bislang wusste man nicht, wie der Mechanismus funktioniert. Zotchevs Team gelang es nun, die beteiligten SchlĂŒsselgene zu identifizieren.

Da waren’s nur noch drei

„FĂŒr den ersten Schritt unserer Experimente arbeiteten wir mit der Forschungsgruppe von Thomas Rattei zusammen“, erzĂ€hlt Zotchev. Diese ist ebenfalls an der UniversitĂ€t Wien tĂ€tig und spezialisiert sich darauf, biologische Systeme computergestĂŒtzt zu analysieren. „Gemeinsam untersuchten wir, wie sich Ethanol auf genetischer Ebene auswirkt.“ Wie in allen Zellen werden bei S. venezuelae einzelne Gene je nach Anforderung hinauf- oder herunterreguliert. Durch diese Feinjustierung kann das Bakterium situationsangepasst reagieren. Etwa, wenn es einem Stressreiz wie Ethanol ausgesetzt wird. „Wir waren selbst ĂŒberrascht, als wir sahen, dass 1246 Gene durch den Umweltreiz beeinflusst wurden“, berichtet Zotchev. „Das macht 18 Prozent aller Gene aus, die fĂŒr S. venezuelae beschrieben sind.“

In einem zweiten Schritt musste Zotchevs Team all die von Ethanol beeinflussten Gene mit den Stoffwechselprodukten abgleichen, die das Bakterium unter diesen Bedingungen produziert. Dazu kollaborierten sie mit Martin Zehl vom Zentrum fĂŒr Massenspektrometrie, ebenfalls an der UniversitĂ€t Wien. Massenspektrometrie erlaubt es, die Mengen von Stoffwechselprodukten – unter anderem von Antibiotika – zu bestimmen. Die Forschenden kombinierten diese Technik mit ihrem vorigen Datensatz auf genetischer Ebene. So konnten sie feststellen, welche Änderungen in der Antibiotikaproduktion mit welchen Genregulierungen einhergingen. Am Ende blieben von den 1246 Genen, die die Ethanolzugabe betroffen hatte, nur drei ĂŒbrig. Der Mechanismus war geknackt.

Sigma-Faktoren treten auf die Bremse

„Anhand der drei Gene werden spezialisierte Sigma-Faktoren hergestellt“, erklĂ€rt Zotchev. „Ihre Funktion ist es, Umweltreize wahrzunehmen und Gene an- oder auszuschalten.“ Es stellte sich heraus, dass im Falle der Antibiotika eben diese Sigma-Faktoren wie eine angezogene Handbremse wirken. „Offenbar ĂŒberwachen sie die Verwendung von Genen, die die Antibiotikaproduktion hemmen. Sobald das Bakterium einen bestimmten Umweltreiz wahrnimmt, wird das von der Membran ins Zellinnere kommuniziert“, erlĂ€utert Zotchev. Das reguliert die Sigma-Faktoren herunter, wodurch wiederum die Repressor-Gene ausgeschalten werden. Die Bremse löst sich. Der Syntheseapparat rattert los und das Bakterium verwandelt sich in eine wahre Antibiotikafabrik.

ZurĂŒck im Labor lĂ€sst sich die Bremse dauerhaft lösen, indem man die Gene der drei Sigma-Faktoren kĂŒnstlich entfernt. Das funktioniert mittels Gentechnik, durch die sich Gene spezifisch mutieren lassen. Diese Methode nutzten die Forschenden, um ihre Ergebnisse zu ĂŒberprĂŒfen. Sie entfernten die identifizierten Gene eines nach dem anderen und konnten beobachten, wie die Antibiotikaproduktion hochschnellte. „Das waren beeindruckende Ergebnisse“, berichtet Zotchev. „FĂŒr Chloramphenicol erhöhte sich die Produktion bei einem der Sigma-Faktoren um das bis zu 1700-Fache.“

Ein konservierter Mechanismus?

Zotchevs Team will sich nun der Frage widmen, ob der Effekt auch in anderen Bakterienarten evolutionĂ€r erhalten ist. „Wir wollen bestĂ€tigen, dass wir keine einzigartigen Gene fĂŒr diese eine Bakterienspezies gefunden haben, sondern einen generellen Mechanismus.“ Wirken diese Typen von Sigma-Faktoren auch in anderen Bakterien regulierend, dann lĂ€sst sich der Effekt industriell wie auch fĂŒr wissenschaftliche Entdeckungen nutzen. Bakterielle Substanzen könnten in betrĂ€chtlichen Mengen kostengĂŒnstig hergestellt werden. Das betrifft nicht nur herkömmliche Antibiotika, die bereits in Verwendung sind. Die Methode könnte auch die Entdeckung neuer Antibiotika befördern, deren Produktion unter natĂŒrlichen Bedingungen gehemmt wird. Letztlich ließen sich damit auch gĂ€nzlich andere bioaktive natĂŒrliche Wirkstoffe aus Bakterien identifizieren. Das könnte den Weg fĂŒr die Entwicklung neuartiger Medikamente gegen Krebs und andere Krankheiten bereiten. Alles mithilfe der fleißigen Einzeller.


Zur Person

Sergey Zotchev studierte Molekulargenetik in Moskau und arbeitet als Professor fĂŒr pharmazeutische Biotechnologie an der UniversitĂ€t Wien. Bevor er 2015 nach Wien wechselte, lehrte er an der Technisch-Naturwissenschaftlichen UniversitĂ€t Norwegens. Das von 2018 bis 2022 laufende Projekt „Stressinduzierte Antibiotikaproduktion in Bakterien“, kurz „StrepStress“, wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 327.046 Euro gefördert.


Publikation

Sekurova O. N., Zehl M., Predl M., Hunyadi P., Rattei T., Zotchev S. B.: Targeted Metabolomics and High-Throughput RNA Sequencing-Based Transcriptomics Reveal Massive Changes in the Streptomyces venezuelae NRRL B-65442 Metabolism Caused by Ethanol Shock, in: Microbiology Spectrum 10(6), Dez. 2022