Wenn die Gletscher dunkel werden

An wenigen Orten manifestieren sich die Folgen der menschengemachten Klimakrise plakativer als auf den Gletschern in den Ostalpen. Laut Prognosen sind einige kleine Gletscher bereits in wenigen Jahren verloren. Selbst dann, wenn die ErderwĂ€rmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird, werden am Ende dieses Jahrhunderts nur mehr Reste der WeiĂen Riesen ĂŒbrig sein. Die Zukunft der heimischen Gletscher sieht also dĂŒster aus. Doch wie genau sagt man sie voraus?
Die Sonnenstrahlung, die auf die OberflĂ€che des Gletschers trifft, liefert Energie fĂŒr die Eisschmelze. âUm genauer zu verstehen, wie sich die Gletscher entwickeln werden, ist es wichtig, die Albedo besser zu verstehenâ, sagt Lea Hartl vom Institut fĂŒr InterdisziplinĂ€re Gebirgsforschung (IGF) der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften (ĂAW). Die Albedo ist ein Fachbegriff fĂŒr eine MessgröĂe, die bezeichnet, wie viel Sonnenstrahlung von der GletscheroberflĂ€che reflektiert wird.
Die Gletscher liegen blank
âWenn ein Gletscher schneebedeckt, also weiĂ ist, reflektiert seine OberflĂ€che Sonnenenergie. Je dunkler er ist, desto gröĂer ist der Anteil des Lichts, der absorbiert wird und so direkt die Gletscherschmelze vorantreibtâ, erklĂ€rt die Glaziologin. Das Problem? Wenn die schĂŒtzende Schneedecke fehlt, schreitet die Schmelze schneller voran. âDie Gletscher in Ăsterreich und in den Ostalpen sind im Sommer mittlerweile mehrheitlich blankâ, berichtet Lea Hartl. Sie erforscht im Projekt âGletscher-Albedo: In-situ-Prozesse und Fernerkundungâ, wie sich die ReflexionsfĂ€higkeit und damit die Zukunft der Gletscher besser darstellen und vorhersagen lĂ€sst.
Wie dunkel das Gletschereis ist und demnach, wie stark es schmilzt, wird von mehreren Faktoren beeinflusst, die zeitgleich auftreten können. FlĂŒssiges Wasser, das sich etwa in starken Schmelzjahren auf der GletscheroberflĂ€che sammelt, verdunkelt Teile der GletscheroberflĂ€che und treibt den Schmelzvorgang voran. Auch Teilchen, die sich auf Schnee, Firn oder Eis des Gletschers ablagern, verdunkeln die OberflĂ€che. Partikel, die Gletscher verdunkeln, können organisch sein, wie Pollen und Algen, oder anorganisch, wie Gesteinsstaub. Manche, wie Staubpartikel aus der Sahara, werden von weit her angeweht. Andere kommen aus der nahen Umgebung oder leben, wie die Eisalgen, sogar dort. Diese kleinen Mikroorganismen bilden ein braunes Pigment, das die GletscheroberflĂ€che aus der Ferne rosarot erscheinen lĂ€sst.
Das Projekt
Um die Zukunft der Gletscher besser vorhersagen zu können, braucht es Wissen ĂŒber die unterschiedlichen Faktoren, die die Schmelze vorantreiben. Ein Team um Lea Hartl kombiniert Messdaten von GletscheroberflĂ€chen mit Daten von Satellitenbildern, was mehr Wissen ĂŒber das Verschwinden der WeiĂen Riesen liefern soll.
Vom Kleinen zum GroĂen â und zurĂŒck
Der Gepatschferner im Tiroler Kaunertal ist Lea Hartl gut vertraut. Dort hat sie schon zahlreiche Feldforschungen durchgefĂŒhrt. Mit dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt will sie nun herausfinden, was konkret das Eis verdunkelt. In einer von der ĂAW betriebenen Langzeit-Messstelle samt Wetterstation werden am Gepatschferner Datenreihen erhoben. Diese Daten zeigen der Glaziologin, wie sich die ReflexionsfĂ€higkeit der EisoberflĂ€che verĂ€ndert. In Zusammenarbeit mit Kolleg:innen will Lea Hartl herausfinden, welchen Anteil diese Ănderung an der Gletscherschmelze hat. âEin weiteres Ziel des Projektes ist, herauszufinden, wie man lokal erhobenes Wissen in vorhandene Gletschermodelle einflieĂen lassen und eine bessere Verbindung zwischen örtlichen Messungen und globalen Modellen schaffen kannâ, erklĂ€rt sie.
Bilder aus dem All
ZusĂ€tzlich zu den Daten aus dem Kaunertal greift die Forscherin auch auf offen verfĂŒgbare Geo-Satellitendaten zurĂŒck. Etwa auf sogenannte Echtfarbenbilder, die die Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-2A und Sentinel-2B des EU-Raumfahrtprogramms Copernicus liefern. âAuf diesen Bildern kann man sehen, wie die reflektierte Strahlung ĂŒber dunklen Stellen in einem bestimmten WellenlĂ€ngenbereich absinkt. Das bedeutet, dass die Strahlung dort absorbiert wirdâ, erklĂ€rt Lea Hartl. Aus den Satellitendaten lĂ€sst sich die Albedo der GletscherflĂ€che ableiten.
Allerdings ist die rĂ€umliche Auflösung der Satellitendaten zu grob, um sehr kleinskalige Prozesse zu erfassen. Zudem ĂŒberfliegen die Satelliten nur etwa einmal die Woche spezifische Stellen wie den Gepatschferner. Zudem können Wolken die Sicht auf den Gletscher einschrĂ€nken. Doch die ReflexionsfĂ€higkeit der GletscheroberflĂ€che kann sich von Tag zu Tag und auch im Tagesverlauf Ă€ndern, etwa wenn sich an warmen, sonnigen Tagen oberflĂ€chliches Schmelzwasser bildet. Lea Hartl kombiniert deshalb verschieden aufgelöste Daten. Aktuell vergleicht sie die Satellitendaten mit jenen der Wetterstation am Gepatschferner. âMich interessiert, ob man mit den Daten der Wetterstation den Albedo-Wert der Satellitendaten validieren kannâ, erlĂ€utert die Glaziologin.

Daten aus dem Flugzeug
Ein Forschungsflugzeug der UniversitĂ€t ZĂŒrich, das im Herbst des Jahres 2024 den Gepatschferner ĂŒberflog, liefert weitere Hinweise. Mit einem darauf installierten bildgebenden Spektrometer machten die Forschenden eine Aufnahme des Gletschers. âIn jedem der einzelnen Pixel in diesem Bild ist eine gesamte spektrale Kurve abgebildet â also Werte von 300 bis 400 FarbbĂ€ndern pro Pixelâ, erklĂ€rt Lea Hartl. Zum Vergleich: die Sentinel-2-Satelliten liefern 13 FarbbĂ€nder.
Die Glaziologin evaluiert, inwiefern sich die Ergebnisse dieser hoch aufgelösten Daten von jenen der Satelliten unterscheiden. âDas ist wichtig zu wissen â denn wenn sich der Mehrwert in Grenzen hĂ€lt, können wir mit den offen und global verfĂŒgbaren Satellitendaten weiterarbeiten. Wenn es Unterschiede gibt, wissen wir, dass wir genauere Daten von der EisoberflĂ€che brauchen, um bestimmte Prozesse zu erfassenâ, erklĂ€rt sie.
In den Jahren, in denen Hartl bereits die heimischen Gletscher erforschte, hat sie miterlebt, wie dunkel diese schon geworden sind. Das Jahr 2022 war ein besonders schlechtes Jahr fĂŒr die Gletscher mit starker Schmelze. Das lag zum einen daran, dass Firn abschmolz und das Eis deshalb frei lag, zum anderen, dass die OberflĂ€che dunkel war. âSowohl anhand der Daten der Wetterstation als auch anhand der Satellitendaten haben wir gesehen, dass es in den vergangenen Jahren Phasen gab, in denen das Eis teilweise so dunkel war wie die Steine danebenâ, erzĂ€hlt Lea Hartl.
Puzzeln auf dem Eis
Diesen Sommer, wenn es die Schneelage zulĂ€sst, will die Glaziologin nun weitere Daten sammeln. Ein Spektroradiometer (ein LichtmessgerĂ€t) im Rucksack, wird sie auf dem Gepatschferner Punktmessungen durchfĂŒhren, um die Reflexionseigenschaften der EisoberflĂ€che detailliert zu erfassen. In Kombination mit Daten aus der Wetterstation lassen sich so Aussagen darĂŒber treffen, wie sich die Verdunkelung der GletscheroberflĂ€che ĂŒber den Tag verĂ€ndert.
âEs macht mir sehr viel SpaĂ, die verschiedenen Elemente zusammenzusetzenâ, erzĂ€hlt Lea Hartl. âManchmal hat man ein Bild im Kopf, aber in der Praxis passt es nicht. Dann muss man sich ĂŒberlegen, wo man falschlag und was uns die Messdaten stattdessen zeigen. Das ist wie ein groĂes, kompliziertes Puzzle.â Im Mai 2026 wird das Forschungsprojekt abgeschlossen und das Puzzle zu groĂen Teilen zusammengesetzt sein. Die erste Publikation aus dem Projekt wird in KĂŒrze erscheinen. Das Wissen, das Lea Hartl durch Daten am Gepatschferner sammelt, kann helfen, zu zeigen, wie dĂŒster die Gletscher und damit ihre Zukunft noch werden.
Zur Person
Lea Hartl hat Meteorologie, Geophysik und physische Geografie an der UniversitĂ€t Innsbruck studiert und dort zu Blockgletschern im Klimawandel promoviert. Die Glaziologin forscht als Senior Postdoc am Institut fĂŒr InterdisziplinĂ€re Gebirgsforschung (IGF) der Ăsterreichischen Akademie der Wissenschaften (ĂAW) in Innsbruck unter anderem zu Eis-Albedo und Blockgletschern und trĂ€gt zu Forschungen des Hyperspectral Imaging Laboratory der University of Alaska Fairbanks, USA, bei. Das Projekt âGletscher-Albedo: In-situ-Prozesse und Fernerkundungâ (2023â2026) wird vom Wissenschaftsfonds FWF im Förderprogramm ESPRIT mit 294.000 Euro gefördert.
Publikationen
Recent observations and glacier modeling point towards near-complete glacier loss in western Austria (Ătztal and Stubai mountain range) if 1.5â°C is not met, The Cryosphere 2025
Loss of accumulation zone exposes dark ice and drives increased ablation at WeiĂseespitze, Austria, EGUsphere 2025, Preprint