Spurensicherung in den Resten der Feste

Globalisierung, Disruption durch neue Technologien und VIP-Zonen gab es schon in der Antike. Das zeigt sich bei Grabungen auf dem Monte Iato, einem Hochplateau in West-Sizilien. Seit 2010 arbeitet ein Team des Instituts fĂŒr ArchĂ€ologien der UniversitĂ€t Innsbruck, unterstĂŒtzt vom Wissenschaftsfonds FWF, im zentralen Kultbezirk der antiken Siedlung. Im Fokus des Projekts âZwischen Aphrodite-Tempel und spĂ€tarchaischem Haus IIIâ stehen Feste, Rituale, lokale MachtverhĂ€ltnisse und wie diese sich verĂ€ndert haben. âAb 525 vor Christus standen die Einheimischen in regem Austausch mit griechischen und phönizischen Siedlerinnen und Siedlern an der KĂŒste. Das lĂ€sst sich anhand von Technologie-, Kultur-, und Konsumspuren festmachenâ, beschreibt Erich Kistler im GesprĂ€ch mit scilog. Bereits freigelegt wurden ein griechisch geprĂ€gter Aphrodite-Tempel, ein Festplatz und ein Banketthaus mit exquisitem Wohnbereich. Neben den baulichen Strukturen sprechen vor allem die Reste von Festen zu den ArchĂ€ologinnen und ArchĂ€ologen. Was ausgeschenkt wurde, wo, worin, welche Teile eines Opfertiers gegessen, geopfert oder weggeworfen wurden, sind alles Indizien fĂŒr soziale und machtpolitische Interaktionen.
Konsumspuren als Indizien
Ausgangspunkt der aktuellen Forschung ist ein verblĂŒffender Fund: Mitten in der BlĂŒtezeit des Kontakts tĂ€uschen Reste von Kulthandlungen eine starke einheimische Tradition und die Abschottung von umgebenden EinflĂŒssen vor. So wurden vermeintlich althergebrachte GefĂ€Ăe gefunden, die jedoch eindeutig mit importierten Technologien erzeugt wurden. Die chemische Auswertung von organischen RĂŒckstĂ€nden ergab zudem, dass aus alten oder auf alt gemachten GefĂ€Ăen nicht nur das traditionelle Bier, sondern auch teurer, importierter Wein konsumiert wurde. In den baulichen Strukturen spiegelt sich gleichzeitig wider, dass ein paritĂ€tisches FĂŒhrungssystem, vermutliche eine Art Ăltestenrat, durch eine kleine Elite abgelöst wurde. Mangels schriftlicher Quellen, die Auskunft ĂŒber handelnde Personen geben, sprechen Lage und Beschaffenheit von Scherben, SteingerĂ€ten, Knochen, Pollen etc. zu den Forscherinnen und Forschern. Sie geben im Vergleich mit Funden aus anderen Zeiten und von anderen FundplĂ€tzen Aufschluss ĂŒber mögliche Konsum- und Handlungsmuster, hinter denen örtlich vorherrschende Wertorientierungen sichtbar werden: âWas bei Ritualen geschah, wer dabei war und wer von der NĂ€he zu fĂŒhrenden Personen profitierte, also ein VIP war, unterlag strengen Regeln. Diese wurden stets gemacht von Menschen, die das Sagen haben.â

Von der Verwurzelung zum FĂŒhrungsanspruch
Der Mittelmeerraum der Antike war ein âvorglobaler Megaraumâ, betont der Projektleiter. Was an einem Ort als lokaltypisch galt, war also auch damals schon in Reaktion auf das Globale immer wieder neu ausgehandelt worden. Erich Kistler zieht plastische Vergleiche zur Gegenwart: âStellen Sie sich vor, die Griechen hĂ€tten das Internet gebracht und einige Einheimische hĂ€tten sich durch Tauschhandel und GefĂ€lligkeiten den Zugang zu dieser neuen Technologie gesichert. Was bedeutet dieses Know-how fĂŒr ihren Status in der Gesellschaft? Bisherige Befunde zeigen an: Neue Machtaspiranten und Modernisierungsbetreiber lösen traditionelle AutoritĂ€ten und herkömmliche Lebensweisen ab.â Daher hĂ€lt der ArchĂ€ologe die paradoxe Pseudogeschichtlichkeit von aufkommenden Kulten, die auf einheimisch machen, nicht fĂŒr Zufall. Der Versuch, eine tiefe regionale Verwurzelung vorzutĂ€uschen, um Vertrauen zu gewinnen und einen neuen FĂŒhrungsanspruch aufzubauen, war wohl schon auf dem Monte Iato ĂŒblich. Noch im heutigen Europa besuchen ja rechtspopulistische Politikerinnen und Politiker in Tracht folkloristische AnlĂ€sse, in denen wochenends scheinbar altes Brauchtum neu belebt wird.

MultidisziplinÀre Spurensicherung
Um mögliche Verhaltens- und Konsummuster sowie dahinter verborgene Werte- und Gesellschaftssysteme besser zu ergrĂŒnden und eine breite Datenbasis fĂŒr Vergleiche zu bekommen, setzt das Team im aktuellen Projekt auf Spurensicherung am âTatort Monte Iatoâ: âWir lassen spezialisierte Fachleute nicht auĂen vor, sondern lernen von ihnen, zum Beispiel, wo wir genau suchen mĂŒssen, um verwertbare Knochen und botanische RĂŒckstĂ€nde zu finden. Die vielstimmige Diskussion unter Spezialistinnen und Spezialisten fördert noch stichhaltigere ErklĂ€rungen und verfeinert die Grabungsstrategie.â AuĂerdem wird noch mehr experimentiert (etwa an der Töpferscheibe) und alte Funde werden im Depot unter revidierten Gesichtspunkten neu befragt. Fachleute fĂŒr materielle Kulturanthropologie und Garbologie (die archĂ€ologische Analyse von MĂŒll) sollen noch stĂ€rker eingebunden werden. Da beim Ausgraben immer die jĂŒngeren vor den Ă€lteren Zeithorizonten freigelegt werden, weiĂ Projektleiter Erich Kistler schon, dass die Herrschaft der VIP nur etwa 50 Jahre andauerte und die modernen Architekturen rituell zerstört wurden. 300 vor Christus kam es erneut zu einer Phase (vor)globaler Verflechtung mit mehr BestĂ€ndigkeit: Sie endete erst wieder in der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus.
Zur Person Erich Kistler hat sich an der UniversitĂ€t ZĂŒrich habilitiert und war von 2008 bis 2010 Professor fĂŒr Klassische ArchĂ€ologie an der UniversitĂ€t Bochum. Seit 2010 ist er an der UniversitĂ€t Innsbruck Professor am Institut fĂŒr AchĂ€ologien. Zusammen mit einem internationalen Team erforscht er auf dem Monte Iato das Zusammenspiel von Konsum, Religion und Machtbildung. Weitere Schwerpunkte sind die Entstehung des frĂŒhen Griechenlands sowie visuelle Kommunikationsstrategien zur BegrĂŒndung und Tradierung von GruppenidentitĂ€ten in der griechischen und römischen Antike.
Projektwebseite: https://www.uibk.ac.at/projects/monte-iato/
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