Alter und junger Mann spielen Schach im Freien auf einem Stadtplatz.
Das internationale Projekt GENPATH fragt nach der LebensqualitĂ€t und sozialen Eingebundenheit von Menschen nach ihrem Erwerbsleben. © AP x 90 Unsplash

Warum fĂ€llt es manchen Menschen schwerer als anderen, im Alter ein aktives Sozialleben zu fĂŒhren? Die GrĂŒnde dafĂŒr sind vielfĂ€ltig: weniger MobilitĂ€t, der Verlust von Freunden und Bekannten, gesundheitliche Probleme oder auch die zunehmende Altersarmut zĂ€hlen zu den Faktoren. Die Corona-Pandemie hat diese Problematik deutlich sichtbar gemacht, indem Ă€ltere Menschen von heute auf morgen isoliert wurden. Obwohl die Maßnahmen dem Schutz dieser sogenannten Risikogruppe galten, zogen AusgangsbeschrĂ€nkungen, Besuchsverbote und fehlende Betreuung alleine in Österreich fĂŒr rund 20 Prozent der Bevölkerung – das entspricht dem Anteil der ĂŒber 65-JĂ€hrigen – zum Teil dramatische Effekte nach sich.

Intaktes Sozialleben im Alter besonders wichtig

„Soziale Exklusion ist ein facettenreiches Problem mit tiefgreifenden Konsequenzen fĂŒr die Betroffenen, aber auch fĂŒr die Gesellschaft insgesamt“, bestĂ€tigt Anna Wanka. Die Soziologin mit dem Schwerpunkt Altersforschung arbeitet derzeit an dem internationalen und vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt GENPATH mit, das sich mit der LebensqualitĂ€t und sozialen Eingebundenheit von Menschen nach ihrem Erwerbsleben beschĂ€ftigt. „In diesem Lebensabschnitt wird ein funktionierendes Sozialleben zu einem noch zentraleren Faktor fĂŒr Gesundheit und Wohlbefinden“, erlĂ€utert Wanka. Forschungsteams aus sechs europĂ€ischen LĂ€ndern plus Israel werten aktuell LĂ€ngsschnittdaten aus, unter anderen aus der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE). Hier werden regelmĂ€ĂŸig Daten zu Gesundheit, sozio-ökonomischem Status, aber auch zu sozialen und familiĂ€ren Netzwerken von Personen ab 50 Jahren erhoben. Die letzte Erhebungswelle erfolgte 2018. Diese Daten werden im Projekt mit vertiefenden qualitativen Interviews ergĂ€nzt.

LĂ€ndervergleiche, Genderaspekte und Lebensphasen im Fokus

Europaweit ist soziale Exklusion unter Älteren unterschiedlich stark ausgeprĂ€gt mit einem GefĂ€lle zwischen osteuropĂ€ischen LĂ€ndern und Nordwesteuropa. Die Bandbreite reicht von 10 Prozent in Deutschland bis zu 52 Prozent in Bulgarien wie Datenerhebungen zu Einsamkeit belegen. Im Schnitt liegen die Raten unter den 70- bis 80-JĂ€hrigen zwischen dem Doppelten und Dreifachen jener der Jungen zwischen18 und 30 Jahren. „Warum es so große Unterschiede zwischen den einzelnen LĂ€ndern gibt, ist bis jetzt kaum untersucht“, erklĂ€rt Anna Wanka. Auch bleibt der Geschlechteraspekt hĂ€ufig außer Acht, der ein zentraler Fokus der aktuellen Untersuchungen in GENPATH ist. Das Projekt untersucht entsprechend, wie sich soziale Exklusion im Alter zwischen MĂ€nnern und Frauen unterscheidet und welchen Einfluss dabei die unterschiedlichen Wohlfahrtssysteme und die in ihnen eingeschriebenen Geschlechterbilder, von konservativ bis zu progressiv, haben. Die Hypothese lautet: Die Grundlagen fĂŒr soziale Exklusion im Alter werden ĂŒber den gesamten Lebensverlauf gelegt und Faktoren wie (Gender)-Normen und Werte spielen dabei eine zentrale Rolle. „Wir wissen, dass es in besser entwickelten Wohlfahrtsstaaten weniger Exklusion gibt“, erklĂ€rt die Soziologin und ergĂ€nzt: „Individuelle Lebenslagen und deren Entwicklungen hĂ€ngen unmittelbar mit der Gesellschaft zusammen und diese wiederum geben Gender-Wege vor.“ In den einzelnen LĂ€ndern gibt es dementsprechend auch große Geschlechterunterschiede in Bezug auf Zufriedenheit und Inklusion, wobei Österreich laut Wanka im Mittelfeld liegt. „In Österreich spielen die starken Pensionistenvertretungen eine entscheidende Rolle. Daher gibt es relativ viele Angebote fĂŒr Seniorinnen und Senioren und wichtige UnterstĂŒtzungsmaßnahmen, von Freizeitangeboten bis zum betreuten Wohnen.“

Frauen hÀufiger betroffen

„Soziale Kontakte erhöhen die Zufriedenheit und sind ein Puffer gegen viele EinschrĂ€nkungen im Alter“, betont Wanka. Zudem wĂŒrde die Gesellschaft viel Potenzial verlieren, unterstreicht die Soziologin, wenn Ă€ltere Menschen pauschal als defizitĂ€r (eingeschrĂ€nkt, krank, unproduktiv) eingeschĂ€tzt oder im Extremfall gar als „Risikogruppe“ isoliert werden, wie es wĂ€hrend der Corona-Pandemie passiert ist. Insgesamt betrachtet sind Frauen hĂ€ufiger von sozialer Benachteiligung betroffen, da die heutige Generation Ă€lterer Frauen durchschnittlich einen geringeren Bildungsstand, hĂ€ufig prekĂ€re und lĂŒckenhafte ErwerbsverlĂ€ufe und damit geringere Pensionen hat. Gleichzeitig weisen sie eine höhere Lebenserwartung auf, was dazu fĂŒhrt, dass Ă€ltere Frauen hĂ€ufiger partnerlos sind und alleine leben. Wichtig ist aber auch, die subjektive Wahrnehmung der Ă€lteren Generation miteinzubeziehen – so ist nicht jede Ă€ltere Person, die etwa alleine lebt, auch automatisch einsam. Deswegen sind Interviews mit Betroffenen ein wichtiger Teil der Studie, die derzeit aufgrund der Corona-Krise stocken, wie die Wissenschaftlerin berichtet. Aus den LĂ€ndervergleichen erhoffen sich die Forscherteams wichtige Erkenntnisse, die auch politisch Verantwortlichen als Entscheidungsgrundlagen dienen sollen. An LĂ€ndern wie Schweden zeigt sich etwa, dass es sich lohnt, in Gleichberechtigung zu investieren. Dort, wo Erwerbsarbeit zwischen Frauen und MĂ€nnern ausgeglichener ist, lĂ€sst sich hohe LebensqualitĂ€t und Gesundheit eher bis ins Alter sichern. „Über den ganzen Lebensverlauf genĂŒgend Möglichkeiten zu haben, soziale Kontakte zu pflegen, ist entscheidend“, sagt Wanka. Eine Voraussetzung dafĂŒr ist ausreichend Freiraum, den es in Zeiten von Turboarbeit und Gewinnmaximierung allerdings kaum noch gibt.


 Zur Person Anna Wanka ist Soziologin mit Schwerpunkt Alterssoziologie und hat am Institut fĂŒr Soziologie der UniversitĂ€t Wien promoviert. Derzeit habilitiert sie sich an der Goethe- UniversitĂ€t in Frankfurt. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des vom FWF geförderten europĂ€ischen ERA-Net-Projektes GENPATH, das noch bis 2021 lĂ€uft.


Publikationen

Aartsen, M., Hansen, T.: Social Participation in the Second Half of Life, in: Encyclopedia of Biomedical Gerontology, Rattan, Suresh (Ed.), p. 247-255, 2020
von Soest, T., Luhmann, M., Hansen, T., Gerstorf, D.: Development of Loneliness in Midlife and Old Age: Its Nature and Correlates, in: Journal of Personality and Social Psychology, 2020