Der Künstler Ernst Logar lässt Besucherinnen und Besucher tief in den Spiegel unserer von Erdöl geprägten Umwelt blicken. © Ernst Logar

Erdöl ist bis heute eine der wichtigsten Grundlagen des weltweiten Wirtschaftssystems. Der Rohstoff ermöglichte den Wohlstand, den sich viele Staaten im 20. Jahrhundert aufgebaut haben. Er ist aber auch Auslöser für kriegerische Konflikte, Umweltverschmutzungen und die rapide Erwärmung des Planeten, was den Druck hin zu einer Einschränkung der Nutzung von Tag zu Tag erhöht. Erdölprodukte prägen den Alltag des Menschen bis in kleinste Details: in Form von aus Kunststoffen gefertigten Objekten, als Treibstoff im Auto oder als Wärme aus der Heizung. Gleichzeitig haben die meisten Menschen kaum einen Bezug zum Rohstoff – dem Rohöl, das aus Bohrlöchern gepumpt oder beim Fracking aus Sandsteinlagerstätten ausgeschwemmt wird.

Diese Ambivalenz, die den Umgang mit der Ressource Erdöl prägt, ist einer der Anknüpfungspunkte von Ernst Logar in seinem Projekt „Reflecting Oil“. Der Medienkünstler, der an der Universität für angewandte Kunst Wien tätig ist, setzt sich mit den Mitteln der künstlerischen Forschung – ein wissenschaftstheoretischer Ansatz, bei dem individuelle sinnliche Erfahrung in experimentellen Settings als Mittel der Erkenntnis dient – mit dem vielschichtigen Verhältnis des Menschen mit diesem im Alltag unsichtbaren Rohstoff auseinander.

„Einerseits ist Rohöl für den Großteil der Menschen etwas Abstraktes, und im Projekt möchten wir diese Substanz – die optische Erscheinung, den Geruch, die Haptik, auch die Toxizität – zugänglich und erfahrbar machen“, erklärt Logar. „Andererseits soll unsere von Erdöl geprägte Kultur – wir sprechen hier auch von Petrokultur – interdisziplinär aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.“ Im Projekt kooperieren Logar und sein Team auch mit den technischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Department Petroleum Engineering der Montanuniversität Leoben.  

Das wissenschaftliche Hele-Shaw-Zell-Experiment zeigt, wie sich Wasser, das über die Spritze eingeleitet wird, mit dem zähflüssigen Öl vermischt. © Ernst Logar

Erdöl als Teil der menschlichen Identität

Einer der Ursprünge des Projekts liegt im Kunstwerk „Reflecting Oil“ von Logar, das auch zu seinem Namensgeber wurde. Das Rohöl wurde hier, verpackt hinter Plexiglas, zum Spiegel. Gemeinsam mit seinem Spiegelbild zeigt das Werk den Betrachterinnen und Betrachtern, wie sehr das Öl Teil der menschlichen Identität ist. Eine der Arbeiten, die auf diesen Gedanken aufbauend nun gerade im Projekt entsteht, greift etwa ein Werkzeug der Erdölforschung aus Leoben auf – einen sogenannten Microfluidic Chip. Er dient dazu, das Durchflussverhalten von Rohöl in kleinsten geologischen Strukturen – etwa durch kleinste Sandsteinkanäle – zu untersuchen. Der Künstler greift hier ein und verändert die Porenstruktur der Materialprobe, indem er die Abbilder von Rückständen der Petrokultur in diese Sandsteinstruktur am Chip einfügt – zum Beispiel alte Plastikverschlüsse, einen Teil eines Kunststofflöffels oder andere Dinge, die man etwa als Abfall an einem Strand auflesen könnte.

Gleichzeitig stellt Logar dem Rohöl andere Flüssigkeiten gegenüber, wie Milch oder Honig. Indem diese anstelle des Öls durch den Chip geschleust werden – oder anstelle der Emulsion, die beim Fracking das Öl aus dem Sand waschen soll –, setzt der Künstler das Erdöl in ein neues, überraschendes Kontrastverhältnis zu weiteren kulturellen Substanzen aus den menschlichen Lebenswelten.

Logar greift Werkzeuge aus der Erdölforschung auf und stellt das Öl in Kontrast zu anderen wertvollen Rohstoffen unseres Lebens wie Honig und Milch. © Ernst Logar

In diesem Kontrast schwingt auch eine Betrachtungsweise Logars mit, wonach in der Nutzung des Erdöls durch den Menschen zwei Sphären aufeinandertreffen, die in völlig verschiedenen Zeitskalen existieren. Eine davon ist die geologische Sphäre des Erdöls, in der Dutzende Tonnen Biomasse über Hunderte Millionen Jahre unter extremen Druck- und Temperaturverhältnissen tief in der Erdkruste überdauern mussten, um einen Liter Erdöl zu generieren. „Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint das Öl von enormem Wert, der jedoch nicht ökonomisch abgebildet wird“, sagt Logar.

Der Wert des Rohstoffs wird genauso wenig beachtet wie die Konsequenzen seiner Nutzung für die Natur. „Der Mensch entreißt die Substanz aber der geologischen Sphäre, um sie seiner ökologischen Sphäre zuzuführen, die vom Entstehen und Vergehen von Leben etwa im Takt der Jahreszeiten geprägt ist – also auf einer vollkommen anderen Zeitskala existiert“, veranschaulicht der Künstler. Kein Wunder, dass das Öl, das außerhalb eines menschlichen Zeithorizonts entstanden ist, als giftig und unangenehm wahrgenommen wird, gleichzeitig aber ein so machtvolles Werkzeug ist. Der Honig mit seinem Ursprung in der ökologischen Sphäre erscheint als krasser Gegensatz dazu.

Soziale Transformation

Erdöl ist mit dieser Ambivalenz zu einem wesentlichen Teil der menschlichen Identität geworden. Nachdem der Energieträger etwa auch eine neue Grundlage der menschlichen Mobilität bereitstellte, betrifft das auch in starkem Maß die soziale Identität, betont Logar in diesem Zusammenhang. „Folgt man diesem Gedanken, erscheint es als zwingend notwendig, dass es auch soziale Veränderungen geben muss, um die Abhängigkeit von Erdöl zu vermindern“, führt der Künstler aus. Eine Reaktion auf den Klimawandel werde also auch mit einer sozialen Transformation einhergehen.

Das künstlerisch-wissenschaftliche Projekt „Reflecting Oil“ ist von gemeinsamen Workshops und Experimenten sowie von der Schaffung eines Netzwerks aus Forschenden und Kunstschaffenden geprägt. Sofern es die Pandemiesituation erlaubt, soll es im Herbst ein Kolloquium geben, in dem das Thema in verschiedenen Arbeitsgruppen weiter vertieft wird. Zum Projektende soll eine Ausstellung die entstandenen künstlerischen Arbeiten präsentieren, eine Publikation wird die erarbeiteten kulturellen Betrachtungsweisen systematisieren. Darüber hinaus werden die Inhalte künftig auch die technisch ausgerichtete Lehre der Montanuniversität Leoben um kulturelle Aspekte ergänzen.   

Projekt-Website: https://www.reflectingoil.info


Zur Person

Ernst Logar studierte Experimentelle Visuelle Gestaltung an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz sowie Medienübergreifende Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien, wo er heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lektor an der Abteilung Ortsbezogene Kunst tätig ist. Der Künstler setzte sich bereits in einer Reihe von Projekten, Ausstellungen und Publikationen mit der Bedeutung des Erdöls für den Menschen auseinander. Das Projekt „Reflecting Oil: Arts-based research on oil transitionings“ wird im Rahmen des PEEK-Programms des Wissenschaftsfonds FWF mit 390.000 Euro unterstützt und läuft noch bis 2023.


Ausstellungen und Projekte

2021 Statement #11 | Ernst Logar – Crude Oil Experiments, Kunstraum Lakeside, Klagenfurt
2017 Reflecting Oil, Vienna Art Week 2017, Studio - Ernst Logar, Wien
2016 Tar Sands – Approaching an Anthropocentric Site, PAVED Arts, Saskatoon (Kanada)
2010 Sustainable Transformation, GLOBArt Academy, Schloss Pernegg, NÖ
2008 Invisible Oil – Peacock Visual Arts, Aberdeen (UK)