Los Angeles
#Metoo-Demonstration in Los Angeles. © Johanna Braun

Als ich vor ziemlich genau zwei Jahren begann, erste konkrete Überlegungen meines Forschungsprojekts zum Thema Hysterie und US-Populärkultur zu formulieren, konnte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erahnen, welche aktuellen Dimensionen der Begriff Hysterie in dieser kurzen Zeit annehmen würde. Vergangenen Herbst, kurz nachdem ich nach Los Angeles übersiedelt bin, löste der Harvey Weinstein Fall und die damit verknüpfte #metoo-Bewegung eine Welle medialer Diskussionen aus. Das Private geriet mit vehementer Dringlichkeit erneut auf die politische Tagesordnung, denn es zeigte sich unweigerlich, dass der Alltag unzähliger Personen noch immer von sexistisch, homo- und transphoben sowie rassistisch und antisemitisch motivierten Angriffen bestimmt wird. Täglich wurde, egal wo ich hinkam, über neue Geschichten und deren Auswirkungen heiß debattiert. War zu Beginn die Euphorie des Aufbruchs der Bewegung noch groß, ließ der Backlash jedoch nicht lange auf sich warten.

Beyond Your Wildest Screams

Der Begriff Hysteria (siehe: #hysteria, #masshysteria) ist derzeit dermaßen populär, dass er von allen Seiten des politischen Spektrums gewählt wird, um die Opposition als „Geisteskrank“ zu diffamieren; dennoch trifft die Diagnose Hysterie überwiegend jene, die öffentlich soziale Ungerechtigkeiten anklagen (#metoohysteria #witchhunt #liberalhysteria). Dieser Diskurs ist für mich als Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin höchst spannend. Das Erwin-Schrödinger-Stipendium ermöglicht es mir, „Feldforschung“ in täglichen Gesprächen am Campus, in Vorträgen, Kunst-und Kulturveranstaltungen, an der Verkaufskassa im Supermarkt, im Aufzug und anderen privaten wie öffentlichen Orten  zu betreiben und dieses Phänomen der Massenhysterie nicht nur aus der Ferne, sondern hautnah und ganz konkret zu untersuchen. Diese Nähe eröffnet meiner Forschungsarbeit ganz neue Dimensionen.

Da sich mein Projekt vorrangig mit den Auswirkungen der Hysteriestudien um 1900 – von Jean-Martin Charcot und in weiterer Folge von Josef Breuer und Sigmund Freud – auf eine Vielzahl von höchst populären Horrorfilmen aus den 2010er-Jahren beschäftigt, ist Los Angeles als Produktionsort ungemein spannend. Während ich in Wien meist ziemlich alleine mit meiner Begeisterung für die Bezugnahme auf aktuelle politische Ereignisse im Horrorgenre war, gibt es hier ein ganz anderes Bewusstsein für den kulturellen Wert dieser Produktionen. Das Schicksal hat mich zudem in das „Ravenswood“ geführt – ein Art déco-Apartmenthaus, das von Paramount Studios gebaut wurde und später Mae West gehörte. Hier kann ich dank „rent control“ ganz im Sinne der frühen Hollywoodjahre am Wochenende am Pool meiner Lektüre folgen und im fünften Stock mit Ausblick über Los Angeles meine Primärquellen analysieren.

The Best Nightmares Never End

Gleich zu Beginn meiner Arbeit an der University of California, Los Angeles (UCLA) habe ich eine Veranstaltungsreihe organisiert, die sich mit dem Hysterischen und dessen historischen, gesellschaftlichen und politischen Implikationen auseinandersetzt. Die rege Resonanz und das starke Publikumsinteresse an diesen Veranstaltungen waren für mich überraschend und zugleich Beweis für die aktuelle Brisanz meines Forschungsprojekts. Aus dieser Veranstaltungsreihe haben sich spannende Kooperationen ergeben, ich konnte namhafte Forscherinnen an die UCLA holen und mich produktiv in den Forschungsdiskurs einbringen. Das große Interesse an meinem Forschungsprojekt führte schließlich zu einer Einladung an die Stanford University, an der ich die Veranstaltungsreihe im nächsten Jahr fortführen werde. Angesichts der aktuellen Lage und dem „push back“ der „New Hysterics“ bleibt es daher spannend, wohin (mich) die „Hysterie“ noch führt, eins ist jedoch schon sicher: Die Zukunft sieht hysterisch vielversprechend aus.