Eine der ersten spürbaren Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus war ein Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft. Der Großteil der Erntehelfer/innen kommt aus Osteuropa. Grenzschließungen machen deren Einreise schwierig bis unmöglich. Im Bild: Spargelernte im niederösterreichischen Marchfeld. © Harald Schneider/APA

Die globale Konjunktur steht derzeit ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Die Ausbreitung von Covid-19 und die Maßnahmen zur Eindämmung führen weltweit zu beträchtlichen Wirtschaftseinbrüchen. In Österreich liegt die Zahl der Arbeitslosen mit über 12 Prozent auf historischem Höchststand seit 1945. Diese Zahl wäre noch viel höher, wäre nicht jeder dritte Beschäftigte in Kurzarbeit. Das Wiener Institut für Höhere Studien (IHS) und das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) gehen mit Stand 21. April 2020 davon aus, dass die österreichische Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr um zumindest 6 Prozent zurückgehen wird. Dabei haftet laut IHS allen gegenwärtigen Prognosen ein Abwärtsrisiko an, denn das Ausmaß des Wirtschaftseinbruchs hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie und von den wirtschafts- und gesundheitspolitischen Maßnahmen und deren Auswirkungen ab. „Wir haben im Moment sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite ein Defizit, weil einerseits weniger produziert und andererseits weniger konsumiert wird. So eine Konstellation hatten wir zuletzt während des Ölpreisschocks in den 1970er-Jahren“, erläutert Marion Rauner, Wirtschaftswissenschaftlerin der Universität Wien.

„Einen zweiten Shutdown können wir uns wirtschaftlich nicht leisten.“ Marion Rauner

Zweiter Shutdown wirtschaftlich nicht leistbar

Besonders in Mitleidenschaft gezogen sind Bereiche wie Handel, Verkehr, Beherbergung, Gastronomie, Kunst und Kultur sowie persönliche Dienstleistungen wie beispielsweise Friseure. Wie stark viele österreichische Klein- und Mittelbetriebe unter Druck geraten sind, zeigt eine Umfrage des Österreichischen Kreditschutzverbands von Mitte April: 30 Prozent der damals 1.100 befragten Unternehmen gaben an, ihre liquiden Mittel würden nur noch für drei Monate reichen, bei 14 Prozent gar nur noch für 4 Wochen. Zwei Drittel der befragten Betriebe hat der Shutdown der Bundesregierung wirtschaftlich stark getroffen. „Einen zweiten Shutdown werden wir uns wirtschaftlich nicht leisten können“, warnt Rauner. Deshalb sieht die Expertin für Gesundheits- und Katastrophenmanagement hier dringenden Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen: zum einen durch Beibehaltung wichtiger Maßnahmen wie Handhygiene, Abstandhalten sowie das Tragen von Schutzmasken in engen und geschlossenen Räumen, wobei die Expertin darauf hinweist, dass ein zu langes Tragen auch gesundheitsschädigend sein kann. Außerdem sollte das Abhalten von Großveranstaltungen auf engem Raum weiterhin evaluiert werden. Und man müsse in Zukunft auch ein großes Augenmerk auf anti-virensichere Be- und Entlüftung sowie Klimatisierung legen.

Strategisches Katastrophenschutz-Wiki

Rauner weiß, wovon sie spricht, beschäftigt sie sich doch seit 27 Jahren mit Epidemien und Katastrophenschutz. Im Rahmen des EU-Projektes S-Help (Securing Health.Emergengy.Learning.Planning) entwickelte sie gemeinsam mit Forschungsgruppen aus Irland, Schweden, Großbritannien und Israel zwischen 2014 und 2017 ein computerbasiertes Katastrophenschutz-Organisationstool für die gezielte länderübergreifende, EU-weite Bekämpfung von gefährlichen Ereignissen, insbesondere Überflutungen, chemischen Unfälle sowie Epidemien. Dabei wurde ein Tool programmiert, in das alle im Katastrophenfall wichtigen Informationen gespeist werden: involvierte Stakeholder, Entscheidungsträger und Institutionen sowie Kommunikationsstrukturen bis hin zu geografischen und demografischen Daten, inklusive Wettervorhersagen. Das Team der Universität Wien unter der Leitung von Rauner entwickelte ein strategisches Katastrophenschutz-Wiki sowie eine Taxonomie der unterschiedlichen national involvierten Stakeholder, der benötigten Hauptressourcen sowie der zur Verfügung stehenden EU-Katastrophenschutzmodule im Hinblick auf die Bekämpfung und Bewältigung von Überflutungen, chemischen Unfällen und Epidemien.

Länderspezifisch große Unterschiede

Das ist äußerst komplex, da es länderspezifisch große Unterschiede gibt, wie sich Katastrophensysteme entwickelt haben und wie Länder aufgrund ihrer geografischen und demografischen Struktur Ereignissen ausgesetzt sind. So liegt ein Grund für die hohe Zahl der Covid-19-Toten in Italien auch in der Demografie des südeuropäischen Landes. „Einerseits gehört die italienische Bevölkerung zur ältesten in Europa. Andererseits sind Großfamilien noch stärker verbreitet, wodurch die Ansteckung höher ist“, erläutert die Gesundheitsökonomin. „Daneben ist die Anzahl an stationären Krankenhausbetten – vor allem Intensivbetten – sowie die zur Verfügung stehenden Kapazitäten von Beatmungsgeräten in Italien massiv geringer als in Österreich oder Deutschland“, weiß Rauner.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Marion Rauner beschäftigt sich seit fast drei Jahrzehnten mit Katastrophenmanagement. Im Rahmen eines EU-Projektes entwickelte sie gemeinsam mit internationalen Partnerinnen und Partnern ein strategisches Katastrophen-Wiki, das bei der Bewältigung von Krisen wie der aktuellen Corona-Pandemie helfen soll. © Universität Wien

Seuche in Israel – ein Déjà-vu

Drei Katastrophenfälle wurden mit dem Tool durchgespielt: eine Überschwemmung, eine chemische Explosion und der Ausbruch einer unbekannten Seuche. Dabei wurden alle wichtigen Daten eingespeist, Kommunikationsstrukturen mit Drohnen aufgebaut und ein Kommunikationstool zwischen den Einsatztruppen und den Ländern programmiert. Wenn Rauner an das Seuchenbeispiel denkt, das im September 2016 in Israel durchgespielt wurde, erlebt sie ein Déjà-vu: Das Szenario war eine unbekannte Krankheit, die mit dem Flugzeug ins Land gekommen war. Die israelischen und irischen Kolleginnen und Kollegen haben die Fälle eingegrenzt, die Medien informiert und alle relevanten Informationen und Ressourcen wie Krankenhäuser, Intensivbettenkapazitäten, Schulen usw. ins Tool eingespeist. „Als ich damals im Bunker der israelischen Rettungsorganisation gesessen bin, hätte ich nicht gedacht, dass diese Situation nicht einmal vier Jahre später eintritt“, erinnert sich Rauner.

Erste Maßnahmen

Die ersten Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie, die das strategische Katastrophenschutz-Wiki vorsieht sind: nicht-panikmachende Aufklärung der Bevölkerung, erforderliche Evakuierungsmaßnahmen, die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung, die Kommunikation von Hygienemaßnahmen, die Identifizierung der involvierten nationalen und internationalen Stakeholder sowie deren benötigter Hauptressourcen, Tragen von Schutzmasken sowie die Sperre von Schulen und Kindergärten. Das sind jene Maßnahmen, welche die meisten europäischen Regierungen beim Kampf gegen Covid-19 gesetzt haben.

Gefahr Großevents

Rauner beurteilt die Performance der österreichischen Regierung positiv, hätte sich einige Maßnahmen jedoch früher gewünscht. „Ich wusste bereits im Jänner, dass etwas Böses auf uns zukommt, weil ich schon die SARS-Epidemie 2002/2003 genau verfolgt habe“, sagt sie. Die größte Gefahr bei allen Infektionskrankheiten sieht die Wissenschaftlerin in Großevents oder überfüllten Räumen wie Diskotheken und Bars, wo viele Menschen auf engem Raum konzentriert sind. So haben sich auch in Ischgl – dem österreichischen Corona-Hot-spot – viele Wintersporttouristinnen und -touristen bei Après-Ski-Partys angesteckt und das Virus in ihre Heimatländer exportiert. Rauner erinnert  sich an die SARS-Epidemie als eine infizierte Person im asiatischen Raum in einem Hotel ca. 17 Gäste angesteckt hat, was zu einem SARS-Hotspot mit ein paar Hunderten Kranken in Kanada durch einen rückkehrenden angesteckten Touristen aus diesem Hotel geführt hat. Auch in Deutschland sehe man anhand der Daten, dass in jenen Orten Covid-19 ausgebrochen sei, wo es Karnevalsveranstaltungen gegeben hat. „Der Karneval von Venedig, der Villacher Fasching, alle diese Veranstaltungen hätten abgesagt werden müssen“, ist sich die Professorin sicher.

Warum Covid-19 so gefährlich ist

Es sind diese von Epidemiologinnen und Epidemiologen als „Superspreader“ genannten Events, die besonders zur Ausbreitung einer Pandemie beitragen. Spezifische Eigenschaften des Covid-19-Virus machen es so gefährlich: Es gibt viele Asymptomatische – also Erkrankte ohne Symptome – sowie höchstwahrscheinlich sogar eine Akutphase mit hoher Ansteckung und auch eine sogenannte Window-Phase, innerhalb derer Tests noch nicht greifen. „Fallen zwei oder sogar drei zusammen, kann man in einem Superspreading-Event schnell ganz viele anstecken“, erläutert die Gesundheitsökonomin. Dazu kommt, dass die Reproduktionsraten von Corona anfangs bei zweieinhalb Tagen lagen, das heißt, dass sich die Zahl der Infizierten alle zweieinhalb Tage verdoppelte, was zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionen führte. „Bei so einer hohen Rate ist jeder Tag, an dem man keine Maßnahmen setzt, fatal“, betotnt Rauner. Was das bedeutet, sah man im Nachbarland Italien: Das Gesundheitssystem war am Rand eines Kollaps: zu wenige Intensivbetten und Beatmungsgeräte, zu wenig Einwegmaterial und Schutzkleidung für Krankenhauspersonal. Jeder hat die Bilder verzweifelter Ärztinnen und Ärzte aus der Lombardei noch im Kopf, die durch die Medien gingen.

Fehlende strategische Planung sowie Produktionsengpässe in China führten europaweit zu einem Mangel an Schutzkleidung und Einwegmaterial wie Masken. Am 30. April 2020 demonstrierte Krankenhauspersonal in Turin gegen die Zustände. © Alberto Ramella/AGF

Mangel an Schutzkleidung

„Italien wurde überrascht. Wir waren gewarnt und wussten, wir waren seuchentechnisch etwa neun Tage hinter Italien und müssen schnell handeln, um die Kurve abzuflachen“, erinnert sich Rauner an die Zeit Mitte März als Österreich „zusperrte“. Auch hierzulande beklagten niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhauspersonal einen Mangel an Schutzkleidung und Einwegmaterial. Rauner ortet hier neben Produktionsengpässen auch mangelndes Bewusstsein. „Es war nicht in den Köpfen – auch nicht bei Ärztinnen und Ärzten – genug Einwegmaterial lagernd zu haben.“

„Es war nicht in den Köpfen, genug Einwegmaterial lagernd zu haben.“ Marion Rauner

Einwegmaterial nicht als wichtig eingestuft

Dieser Effekt sei ihr das erste Mal im Jahr 2000/2001 aufgefallen, als sie mit Studierenden eine Untersuchung zum strategischen Technologiemanagement in Wiener Krankenanstalten machte. Dabei fragte sie in österreichischen Krankenhäusern nach, wie wichtig Einwegmaterial wie Spritzen und Handschuhe seien. Die Antwort war damals, „nicht wichtig“. In einer zweiten Umfrage etwa zehn Jahre später wurden diese Materialien schon als bedeutender eingestuft, aber das Bewusstsein für ausreichende Lagerbestände fehlte nach wie vor. Hier sieht Rauner klar ein strategisches Versäumnis.

Verwundbarkeit der globalisierten Wirtschaft

An Schutzausrüstung fehlte es in ganz Europa, weil der Großteil der Einwegmaterialien in China produziert wird. Die Coronakrise zeigt hier deutlich die Verwundbarkeit einer auf Globalisierung und Just-in-time-Produktion aufgebauten Wirtschaft. So war die erste Folge der Eindämmungsmaßnahmen und Grenzschließungen, die in Österreich zu spüren war, ein Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft und in der 24-Stunden-Pflege. Als die Spargelernte Mitte März begann, fehlten Erntehelferinnen und Erntehelfer aus Osteuropa. Erdbeerbauern bangen nun, ob ihre ausländischen Arbeitskräfte rechtzeitig kommen werden können – oder ob die Früchte auf den Feldern verrotten müssen.

„Jeder Schnapsbauer kann Desinfektionsmittel erzeugen.“ Marion Rauner

Autarkie wieder gefragt

Was wird man aus diesen Erfahrungen für die Zukunft lernen? „Landwirtschaft, Einwegmaterialien, Sauerstoffgeräte, Desinfektionsmittel, das sind strategisch ganz zentrale Punkte. Hier müssen wir wieder Autarkie zurückgewinnen“, sagt Rauner. „Wir sind ein Land des Weines und des Schnapses. Jeder Schnapsbauer hat eine Destillationsanlage und kann Desinfektionsmittel erzeugen“, nennt sie ein einfaches Beispiel. Auch sie selbst habe ein kleines Destillationsgerät zuhause. Die Ökonomin plädiert für mehr Flexibilität und Pragmatismus. So hat etwa ein österreichischer Hemdenhersteller Teile seiner Produktion auf Schutzmasken umgestellt. Sauerstoffgeräte könnten auch von heimischen Betrieben hergestellt werden. „In Großbritannien beispielsweise erzeugt ein Rasenmäherfabrikant Motoren für Atemgeräte“, nennt Rauner ein weiteres Beispiel. Und zwei österreichische Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen hätten ihre Expertise zusammengeschlossen, um hochwertige Mund-Nase-Schutzmasken zu produzieren.

„Lebensmittel müssen uns wieder mehr wert sein und mehr kosten.“ Marion Rauner

Renaissance der Landwirtschaft

Was die Landwirtschaft anbelangt, sieht die 50-Jährige die Notwendigkeit eines völligen Umdenkens: „Lebensmittel müssen uns wieder mehr wert sein und mehr kosten. Wir müssen zurück zu einem nachhaltigeren Leben.“ Und es bräuchte in den Bereichen Landwirtschaft und Pflege mehr österreichische Arbeitskräfte. Rauner rechnet damit, dass sich die stark von der Coronakrise getroffene Tourismusindustrie umstrukturieren wird müssen – was weitere Arbeitsplätze kosten wird. „Die Leute müssen flexibel sein und in der Landwirtschaft oder Pflege arbeiten“, sagt sie und sieht die Entwicklung durchaus positiv. „Wir werden eine Renaissance der Landwirtschaft und eine Aufwertung des Ehrenamts erleben.“

Produktion von Medikamenten näher heranholen

Bei Medikamenten ist eine Adaption schwieriger, weil viele Inhaltsstoffe aus China kommen oder größtenteils in Indien produziert werden. Aber laut Rauner müsse man auch hier eine Lehre aus der Coronakrise ziehen und die Produktion näher heranholen. „Es macht einen Unterschied, ob Medikamente in ein paar Stunden per LKW oder Schiene beispielsweise aus Tschechien kommen oder in einigen Stunden per Schiff aus den Donauländern oder ob man mehr als sechs Wochen auf einen Container aus China warten muss.“ Auch von der Just-in-time-Produktion müsse man abkommen. Bereits mit dem Lock-down in China haben in österreichischen Betrieben Werkstoffe gefehlt, die dort erzeugt werden. Zudem wurde evident, dass österreichische Klein- und Mittelbetriebe zu wenige Lagerbestände haben. Als positives Beispiel bringt Rauner ihren kleinen Elektrohändler in der niederösterreichischen Nachbar-Heimatgemeinde, der – auf Anraten seiner Kundin – 300 Staubsauger und andere Haushaltsgeräte gelagert hatte. „Beim Shutdown hat er als einer der wenigen in der Gegend Online-Handel betreiben können. Die anderen hatten bald nichts auf Lager.“

„Wir müssen uns auf mindestens zwei Jahre einstellen, die anders sein werden.“ Marion Rauner

„Schöpferische Kraft der Zerstörung“

Beispiele aus der Wirtschaftsgeschichte für Zeiten großer Herausforderungen gebe es genügend. So war Österreich am Anfang der Ersten Republik von einer rund 52 Millionen starken Doppelmonarchie auf eine 6 Millionen Einwohner zählende Republik geschrumpft. „Die Kornkammer in Ungarn ist weggebrochen, dafür war der Eisenbahnsektor zu groß für Restösterreich. Die Anpassung hat ein paar Jahre gedauert. Aber wenn jeder solidarisch seinen Beitrag leistet, schaffen wir das“, ist Marion Rauner überzeugt. Vom österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter stammt das geflügelte Wort von der „schöpferischen Kraft der Zerstörung“.

Müssen uns auf zwei Jahre einstellen

Die Expertin für Epidemien rechnet mit weiteren Krankheitswellen und rät dazu, sich darauf vorzubereiten und einige zentrale Maßnahmen einzuhalten. „Wir müssen uns auf mindestens zwei Jahre einstellen, die anders sein werden, müssen langfristige Maßnahmen setzen und dürfen nicht zu schnell lockern, weil wir auch noch nicht wissen, wie sich diese Krankheit epidemiologisch entwickelt.“

„Klima- und Belüftungsanlagen sind ein massives Gefahrenpotenzial.“ Marion Rauner

Zentrale Maßnahmen für die nächsten zwei Jahre

Als eine dieser zentralen Maßnahmen sieht Rauner das Tragen von Mund-Nasen-Masken. Sie plädiert für eine sinnvoll evaluierte Maskenpflicht immer und überall in der engen, geschlossenen Öffentlichkeit wie beispielsweise in Liften und bei Behörden und nicht nur in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln – inklusive richtigem Umgang damit, sprich: waschen und wechseln. „Unterhose hat man ja auch nicht nur eine“, lacht sie. Außerdem hält Rauner es für notwendig, Indoor-Schwimmbäder, Indoor-Fitnesscenter und eventuell Kinos geschlossen zu halten – „Seuchenherde“, wie sie es nennt. Die Rückkehr von zahlreichen Arbeitnehmerinnen und -nehmern in ihre Büros sieht die Wissenschaftlerin ebenfalls mit großer Sorge: „Klima- und Belüftungsanlagen sind ein massives Gefahrenpotenzial und haben meist keine Virenfilter.“ Deshalb ist sie für die Beibehaltung von Homeoffice, wo das möglich ist. Großevents sollte es zur Vorbeugung einer zweiten Pandemie noch lange nicht geben. Ebenso sollte man Reisebeschränkungen beibehalten – vor allem mit Zügen und Flugzeugen in Hinblick auf Klimatisierung und Raumenge.

Problembereiche Tourismus und Flugverkehr

Anpassungsprobleme sieht Rauner in Tourismus und Flugverkehr. „Im Tourismus kann man Konsum nicht nachholen, denn ein Hotelbett kann nicht doppelt belegt werden und die Fluglinien benötigen bereits jetzt massive Unterstützung. Eine zweite Welle würden viele nicht überleben. Aber wir brauchen Mindestkapazitäten, sonst haben wir keine Flugindustrie und Hotellerie mehr“, gibt sie zu bedenken.

Interdisziplinäre Zentren

In den Wochen der Isolation wurde auch deutlich: zu den ökonomisch wichtigen Bereichen, die unbedingt erhalten werden müssen, zählen nicht nur Ernährung und Gesundheit, sondern auch psychologische Betreuung. Eine aktuelle Studie der Donau-Universität Krems zeigt, dass die Ausgangsbeschränkungen sich deutlich auf die psychische Gesundheit auswirken. So hat sich die Häufigkeit depressiver Symptome von etwa vier auf mehr als 20 Prozent vervielfacht. „Burnout, Lagerkoller und vermehrte Gewalt in Familien sind drei Phänomene, die man beobachten konnte“, sagt Rauner, die auch ausgebildete Krankenhausseelsorgerin ist. Ihre Vision ist, mit Kolleginnen und Kollegen aus der Psychologie und Theologie sowie dem Sport und der Ernährungswissenschaft interdisziplinäre Zentren zu etablieren.

Strategische Weitsicht und Solidarität

Den umfassenden und strategischen Weitblick – den die Professorin für Public- und Non-Profit-Management als zentral für die Ökonomie sieht, möchte sie an ihre Studierenden weitergeben. „Sie sollen die wichtigen Bereiche Umwelt, Bildung, Sport und Energie sowie Gesundheit und Katastrophenschutz auf der strategischen Ebene gut überblicken.“ Wie wichtig dieser Weitblick ist, kann man in der aktuellen Krise evaluieren – aber auch die Bedeutung der Solidarität. „Wir müssen alle in dieser Zeit das Beste geben. Wenn jeder es schafft, nur ein, zwei Personen im Jahr zu unterstützen, dann haben wir in ein paar Jahren die Welt umgedreht“, ruft Rauner zu Zusammenhalt auf.

Zur Person

Marion Rauner ist außerordentliche Professorin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien. Sie studierte Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre, schloss ein Doktorat im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ab und habilitierte sich im Bereich der Betriebswirtschaftslehre. Ihre Forschungsgebiete sind Gesundheits- und Katastrophenmanagement, Innovations- und Technologiemanagement sowie Public- and Non-Profit-Management. Zwischen 2014 und 2017 entwickelte Rauner gemeinsam mit internationalen Partnern in dem von der EU geförderten Projekt S-Help ein Katastrophenunterstützungs-Tool, das Regierungen bei der strategischen Bewältigung von Katastrophen wie etwa Überschwemmungen, Chemieunfällen oder Seuchen helfen soll. Ihr Teil war ein strategisches Katastrophen-Wiki, Taxonomien von Katastrophenschutz-Stakeholdern sowie deren benötigten Hauptressourcen. Rauner beschäftigt sich seit fast drei Jahrzehnten mit Epidemien und war im Studienjahr 1999/2000 mit einem Erwin-Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF in Stanford, um dort u.a. zu der HIV/AIDS-Epidemie mit Margaret Brandeau zu forschen und sich im Bereich gesundheitsökonomischer Entscheidungsmodellierung weiterzubilden sowie international zu vernetzen.