Wissenschaft lebt vom Austausch ĂŒber Grenzen hinweg. Besonders Forschende am Beginn ihrer Karriere profitieren von Auslandsaufenthalten. © Shutterstock

In Bezug auf die Wissenschaft zeigte die Pandemie ambivalente EinflĂŒsse. Auf der einen Seite machte die grĂ¶ĂŸte Gesundheitskrise seit Generationen die elementare Bedeutung von Forschung in unseren Gesellschaften sichtbar. Das Virusgenom wurde binnen Tagen entschlĂŒsselt und mit Wissenschaftler:innen weltweit geteilt, nicht einmal ein Jahr danach stand ein Impfstoff bereit. Auf der anderen Seite wurden aber die Routinen des Wissenschaftsbetriebs empfindlich gestört. Labore und HörsĂ€le blieben ĂŒber lange Zeit leer.

In besonderer Weise waren dabei jene Wissenschaftler:innen betroffen, die in den Jahren der Pandemie lĂ€ngere Forschungsaufenthalte im Ausland absolvierten. Sie fanden sich oft in einer frustrierenden Situation wieder: Sie waren in einer neuen Stadt, an einer neuen UniversitĂ€t, doch anstelle eines regen persönlichen Austauschs verbrachten sie die Zeit mit Online-Meetings in kleinen Mietwohnungen. 

Gerade junge Wissenschaftler:innen traf diese neue Situation hart. Das zeigt ein Blick auf die Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendien des Wissenschaftsfonds FWF – eines der wichtigsten Austauschprogramme seiner Art in Österreich. Das Förderprogramm ermöglicht es, dass jĂ€hrlich Dutzende junge Forschende nach ihrem Doktoratsabschluss an internationale Top-ForschungsstĂ€tten ihrer Wahl gehen können. „Die Anzahl der bewilligten Schrödinger-Stipendien verringerte sich 2021 um mehr als ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr, obwohl die Bewilligungsquote relativ gleichbleibend war“, umreißt Barbara Zimmermann, Leiterin der Fachabteilung Strategie – Karriereentwicklung des FWF, die Pandemiefolgen. „Die AntrĂ€ge sind stark rĂŒcklĂ€ufig, obwohl die Stipendien – wie Programmevaluierungen deutlich zeigen – nachweislich großen Einfluss auf die Karriereentwicklung haben.“

Forschen mit der Weltspitze

Wie gewinnbringend ein Auslandsaufenthalt durch ein Schrödinger-Stipendium sein kann, zeigt unter anderem Martin Reiss, der heute am Institut fĂŒr Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tĂ€tig ist. Der Spezialist fĂŒr die Modellierung des Sonnenmagnetfelds und des Weltraumwetters ging 2018 fĂŒr zwei Jahre ans NASA Goddard Space Center in Maryland in den USA. „Ich finde es großartig, dass das Schrödinger-Stipendium freie Hand lĂ€sst, wo man seinen Auslandsaufenthalt absolvieren möchte – auch wenn man sein Budget vor Ort sehr gut einteilen muss“, hebt Reiss hervor. „So kann man gezielt dem eigenen Karriereziel entsprechend jene Expert:innen aussuchen, mit denen man zusammenarbeiten möchte.“

Die Motivation fĂŒr Reiss war einerseits, wie er formuliert, dort „Wissenschaft beyond state of the art“ betreiben zu können – also tatsĂ€chlich dazu beizutragen, den aktuellen Forschungsstand wesentlich zu erweitern. Andererseits hat er in besonderem Maße auch die Gelegenheit genutzt, sich mit der Forschungscommunity vor Ort – und weltweit – zu vernetzen. „Die menschliche Komponente vor Ort war in meinem Fall besonders wichtig. Man kann sich am Gang tĂ€glich mit fĂŒhrenden Expert:innen im Fachbereich austauschen und intensiv Ideen besprechen“, veranschaulicht der aus der Steiermark stammende Physiker den Mehrwert des internationalen Austauschs auf persönlicher Ebene.

„Man kann sich tĂ€glich mit fĂŒhrenden Expert:innen austauschen und intensiv Ideen besprechen.“ Martin Reiss

Aus diesen Ideen entstanden unter anderem zwei internationale, von Reiss gegrĂŒndete Teams, die insgesamt 60 Forschende aus 25 LĂ€ndern zusammenbringen und die sich wichtigen Forschungsfragen im Bereich des Weltraumwetters widmen. „Zum einen geht es dabei darum, die Quellen des Sonnenwindes besser zu untersuchen, zum anderen darum, einen Konsens zu Validierungsstandards von Sonnenwindmodellen ĂŒber den Forschungsbereich hinweg zu erreichen“, erklĂ€rt Reiss die Themen der beiden Teams. Neben der Verbesserung von Weltraumwettermodellen wurde der Physiker auch fĂŒr diese Vernetzungsleistung 2021 mit der renommierten Alexander-Chizhevsky-Medaille ausgezeichnet.

Als die Coronapandemie ĂŒber die Welt hereinbrach, war Reiss gerade dabei, seine Zelte in den USA wieder abzubrechen. Wie er seinen Aufenthalt wĂ€hrend der Krise gemanagt hĂ€tte, kann sich der Physiker nur schwer vorstellen.

Online-Konferenz statt Treffen vor Ort

Eine der Wissenschaftler:innen, die sich diesem Problem stellen musste, ist Verena Kohler. FĂŒr die Biochemikerin, die an der UniversitĂ€t Graz ihr Doktorat absolviert hat, war schon frĂŒh klar, dass sie eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb anstreben möchte. Sie koordinierte mit ihrem Partner, der ebenfalls Wissenschaftler ist, einen gemeinsamen Aufenthalt in Schweden. „Wir waren schon ein Jahr in Stockholm, als die Pandemie Europa erreichte. Ich kannte also alle Menschen in meinem universitĂ€ren Umfeld bereits persönlich, was eine große Erleichterung war“, blickt Kohler zurĂŒck. „Auch wenn die Coronakrise in Schweden anders als in vielen europĂ€ischen LĂ€ndern gehandhabt wurde, war der persönliche Kontakt stark eingeschrĂ€nkt. Meetings wurden auch hier lediglich online absolviert. Informelle GesprĂ€che im CafĂ© oder beim Abendessen gab es nicht mehr.“

„Ich bin auf digitalen Kommunikationswegen verstĂ€rkt auf die Menschen zugegangen. “ Verena Kohler

Kohler reagierte schnell und versuchte, das Beste aus der herausfordernden Situation zu machen. „Um den Wegfall dieser Kontakte auszugleichen, habe ich versucht, mehr Initiative zu zeigen. Ich bin auf digitalen Kommunikationswegen verstĂ€rkt auf die Menschen zugegangen und habe auf diesem Weg bewusst Kontakte geknĂŒpft und gepflegt. Dabei helfen auch soziale Netzwerke wie Twitter, in denen man wissenschaftliche Inhalte posten und sich dazu austauschen kann“, erklĂ€rt die Biochemikerin. „Man braucht vielleicht mehr Mut, die Menschen online direkt anzusprechen, als bei einem zufĂ€lligen GesprĂ€ch am Gang. Letzten Endes hatte ich aber auch dank dieser Initiative nicht das GefĂŒhl, dass mir durch die Coronakrise wĂ€hrend meines Auslandsaufenthalts sehr viel entgangen ist.“

Erleichternd kam hinzu, dass der FWF eine dreimonatige VerlĂ€ngerung des Aufenthalts gewĂ€hrt hat, um VersĂ€umnisse wettzumachen. Schließlich bekam sie vom Leiter ihrer Arbeitsgruppe in Schweden die Gelegenheit, sogar noch fĂŒr ein weiteres Jahr zu bleiben. Zudem nutzt Kohler auch die RĂŒckkehrphase des Stipendiums, um ihre Projekte abzuschließen und gezielt nach einem Job zu suchen. Der FWF gewĂ€hrt zurĂŒck im Ausgangsland fĂŒr maximal ein Jahr monatliche Fortzahlungen. Auch Reiss betont, dass ihm dieses Angebot half, die Weiterfinanzierung der Forschungsarbeit zu ermöglichen und das gewonnene Know-how in Österreich einzubringen. 

Was von der Krise bleiben wird

Klar ist: Die Pandemie bringt VerĂ€nderungen, die auch auf Dauer bleiben werden. Ob auch eine verminderte MobilitĂ€t in den Wissenschaften zu den dauerhaften Folgen zĂ€hlt, wird sich zeigen. Immerhin haben Videotelefonie und Onlinekooperation große Akzeptanz und Verbreitung erfahren. Naheliegend ist, dass vor allem kurzfristige Reisen zurĂŒckgehen werden. „Konferenzen werden weiterhin in hybrider Weise stattfinden. Ob man online oder in Person teilnimmt, wird wohl nun stĂ€rker vom Budget einer Forschungsgruppe abhĂ€ngen. Professor:innen werden zudem vielleicht nicht mehr wegen einer Defensio fĂŒr einen Tag in eine andere Stadt fliegen“, gibt Kohler Beispiele. „Diese Einsparungen könnten sich zuletzt sogar positiv auf die Möglichkeit lĂ€ngerfristiger Auslandsaufenthalte auswirken.“

Indizien, dass Forschungsaufenthalte fĂŒr die Karrieren junger Wissenschaftler:innen kĂŒnftig weniger wichtig werden, liegen nicht vor. „Ich sehe, wie schwer es fĂŒr Kolleg:innen ohne Auslandserfahrung ist, eine gute Position zu bekommen“, sagt Kohler. „Nicht nur der Forschungsaufenthalt selbst ist wichtig. Mit dem Erhalt eines Stipendiums zeigt man auch, dass man sich um eine Finanzierung kĂŒmmern kann – eine FĂ€higkeit, die fĂŒr eine Wissenschaftskarriere besonders wichtig ist.“

Lebenslauf als KarriereschlĂŒssel

Ganz Ă€hnlich schĂ€tzt das Reiss ein: „NatĂŒrlich hoffe ich, dass die Auslandsaufenthalte wieder zumindest auf das alte Niveau zurĂŒckkehren. Den Spirit an einem Top-Forschungsinstitut kann man nur erfahren, wenn man persönlich vor Ort ist“, erklĂ€rt der Physiker und unterstreicht die Wichtigkeit fĂŒr die weitere Berufslaufbahn: „Ich habe gerade eine Bewerbung fĂŒr einen vom EuropĂ€ischen Forschungsrat vergebenen ERC Starting Grant verfasst. FĂŒr den Erfolg dabei ist der Lebenslauf des Einreichenden ebenso wichtig wie das konkrete Forschungsvorhaben.“

Die Sicht der beiden Stipendiat:innen deckt sich mit der EinschĂ€tzung von FWF-Karriereexpertin Zimmermann: „Man kann annehmen, dass die kurzzeitige Kongress- und KonferenzmobilitĂ€t aus Kosten- und nicht zuletzt KlimaschutzgrĂŒnden nicht mehr das Ausmaß vor der Pandemie erreichen wird“, resĂŒmiert sie. „Den Erfahrungsschatz eines Forschungsaufenthalts, wie ihn das Schrödinger-Stipendium ermöglicht, wird eine rein digitale MobilitĂ€t aber nicht ersetzen können. Kaum eine Zeit hat mehr Impact auf die Entwicklung des eigenstĂ€ndigen Forschungsprofils als die Postdoc-Zeit im Ausland.“


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