Stillende Mutter mit Baby am Arm
Wenn Mütter stillen, senkt das ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das ist das Ergebnis einer Metaanalyse, in der Daten von über einer Million Frauen mit Kindern ausgewertet wurden. © Paulo Sousa/Noun Project

Wenn Frauen im Laufe ihres Lebens gestillt haben, erleiden sie seltener eine koronare Herzkrankheit, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Das zeigt eine Publikation der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI). Allerdings ist unklar, auf welche Weise das Stillen die Herzgesundheit verbessert. Lena Tschiderer, Erstautorin der Studie, nennt als möglichen Grund die „Reset-Hypothese“, der zufolge Stillen den weiblichen Stoffwechsel wieder in den Zustand vor der Geburt zurücksetzt. „Während der Schwangerschaft werden Fettreserven im Körper angelegt, die die Frau in dieser Zeit braucht. Durch das Stillen erreichen die Mütter schneller wieder ihre früheren Werte, zum Beispiel beim Risikofaktor Cholesterin“, sagt Tschiderer.

Die meisten Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Die Mathematikerin am Institut für Gesundheitsökonomie der MUI untersucht Datensätze mit mehreren Hunderttausend Personen in statistischen Analysen. Damit will sie herausfinden, wie sich die Lebensphasen von Frauen auf das Herz-Kreislauf-System auswirken. Diese Frage ist besonders relevant, da die Erkrankungsgruppe seit Jahrzehnten die Liste der Todesursachen in Österreich anführt und für jeden dritten Todesfall verantwortlich ist.

Tschiderers Projekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Postdoc-Programms Hertha Firnberg gefördert. So konnte die Wissenschaftlerin neben dem Faktor Stillen auch andere Einflüsse auf die Herzgesundheit von Frauen entdecken, etwa das Auftreten von Bluthochdruck während der Schwangerschaft oder das Alter bei Eintritt in die Wechseljahre (Menopause).

Wen treffen Herzinfarkt & Co.?

Lange Zeit ging man davon aus, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen typischerweise Männer betreffen. Wer sich einen Menschen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall vorstellt, hat deshalb vermutlich einen Mann mit den klassischen Risikofaktoren vor Augen: Übergewicht, Rauchen, Alkohol, Stress. Dabei sind Frauen genauso gefährdet. „Global gesehen sterben sowohl ein Drittel der Frauen als auch der Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber die Krankheiten entwickeln sich oft in anderer Form“, betont Tschiderer. Im Zentrum ihrer Analysen standen Lebensabschnitte, die aus biologisch-medizinischer Sicht „typisch weiblich“ sind und mit der Fruchtbarkeit oder Schwangerschaft zu tun haben.

Junge Frau mit langen blonden Haaren vor zwei Computerbildschirmen
Die Mathematikerin Lena Tschiderer untersucht an der Medizinischen Universität Innsbruck riesige Datensätze für statistische Analysen, um herauszufinden, wie sich die verschiedenen Lebensphasen von Frauen auf das Herz-Kreislauf-System auswirken. © MUI

Schwangerschaft als ultimativer Stresstest

Vor allem die Monate, in denen sich der weibliche Körper auf ein Kind einstellt, können laut Tschiderer als „Stresstest“ für den Organismus verstanden werden. Das zeigt zum Beispiel ihre Studie über die Krankheit Präeklampsie, eine Komplikation in der Schwangerschaft, die mit Bluthochdruck und anderen Symptomen einhergeht. Tschiderers Berechnungen ergaben, dass Präeklampsie mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im späteren Leben der Frau zusammenhängt.

Noch wichtiger ist jedoch die Erkenntnis, dass es sich dabei um einen kausalen Zusammenhang handelt. „Deshalb ist diese Zeit auch eine Chance, um zu erkennen, ob eine Frau später Probleme mit ihrem Herz-Kreislauf-System haben wird. Es ist wichtig, betroffene Frauen nach der Geburt unter Beobachtung zu halten und andere Risikofaktoren zu minimieren“, erläutert Tschiderer die praktische Relevanz der Ergebnisse.

Frühe Menopause, mehr Schlaganfälle

Anders verhält es sich mit dem Faktor Menopause, also dem Zeitpunkt der letzten Regelblutung und dem Ende der Fruchtbarkeit im Leben einer Frau. Bekannt ist, dass die Lebensphase nach der Menopause mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Tschiderer konnte zudem zeigen, dass es auf den Zeitpunkt ankommt: Je früher die Menopause einsetzt, desto höher ist das Schlaganfall-Risiko – und zwar um 9 Prozent pro 5 Jahre. In diesem Fall ergaben die genetischen Analysen aber, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Menopause und dem Schlaganfall besteht. Der Schlüssel zu solchen Analysen liegt laut Tschiderer in der sorgfältigen Auswertung der Daten.

Statistik mit Samthandschuhen

„Mein Beispiel ist immer, dass es einen statistischen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Eisessen und Sonnenbrand gibt. Dabei wissen wir alle, dass an Tagen, an denen die Sonne scheint, natürlich auch öfter Eis gegessen wird“, erklärt Tschiderer die Schwierigkeit solcher Beobachtungsstudien. Ein zentraler Bestandteil ihres Hertha-Firnberg-Fellowships war daher ein Forschungsaufenthalt am Universitätsklinikum Utrecht in den Niederlanden, wo sie sich speziell mit Analyseverfahren rund um das Thema Kausalität beschäftigte.

Gemeinsam mit den holländischen Kollaborationspartnern stellte sie fest, dass eine frühe Menopause zwar ein Indikator für ein erhöhtes Schlaganfall-Risiko, aber nicht direkt dafür verantwortlich ist. „Das bedeutet, es könnte irgendwo einen dritten Faktor geben, der eine Rolle spielt – so wie im Beispiel mit dem Eis und dem Sonnenbrand die Sonne“, sagt Tschiderer.

Mehr Bewusstsein für die Gesundheit von Frauen

Aktuell finden geschlechtsspezifische Unterschiede immer mehr Beachtung in der Medizin. Unter dem Begriff „Gendermedizin“ werden sowohl biologische als auch soziokulturelle Einflüsse auf die Gesundheit sowie die Diagnose und Therapie von Krankheiten beschrieben. Auch für Tschiderer ist es ein zentrales Anliegen ihrer Forschung, das Bewusstsein für die spezifische Situation von Frauen zu schärfen.

Gleichzeitig veranschaulichen ihre Studien, wie wichtig es ist, große Datenmengen mit kritischem Blick auszuwerten. „Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien und Daten, die man für derartige Analysen nutzen kann. Damit lassen sich viele Fragestellungen beantworten, sofern man die statistischen Werkzeuge beherrscht, um mit ihnen zu arbeiten. Das gilt nicht nur für die Gendermedizin, sondern ganz grundsätzlich für alle Bereiche in der Medizin“, so Tschiderer abschließend.

Zur Person

Lena Tschiderer hat Technische Mathematik und Neurowissenschaften studiert. Derzeit ist sie als Assistenzprofessorin am Institut für Gesundheitsökonomie der Medizinischen Universität Innsbruck tätig, wo sie die spezifisch weiblichen Einflüsse auf die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems untersucht. Das Projekt „Geschlechtsunterschiede bei Atherosklerose und deren Folgen“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 243.000 Euro gefördert und läuft bis 2026. Durch die Aufnahme in das Postdoc-Programm Hertha Firnberg zur Förderung von Frauen am Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere konnte Tschiderer einen Forschungsaufenthalt am Universitätsklinikum Utrecht in den Niederlanden absolvieren. Für ihre Arbeit zum Thema Stillen wurde Tschiderer der „Preis für Gender-Medizin-Forschung“ der MUI für das Jahr 2022 verliehen.

Publikationen

Tschiderer L., Peters S.A.E., van der Schouw Y.T. et al.: Age at Menopause and the Risk of Stroke: Observational and Mendelian Randomization Analysis in 204 244 Postmenopausal Women, in: Journal of the American Heart Association 2023

Tschiderer L., van der Schouw Y.T., Burgess S. et al.: Hypertensive disorders of pregnancy and cardiovascular disease risk: a Mendelian randomisation study, in: Heart 2023

Tschiderer L., Seekircher L., Willeit P., Peters S.A.E.: Assessment of Cardiovascular Risk in Women: Progress so Far and Progress to Come, in: International Journal of Women’s Health 2023

Tschiderer L., Seekircher L., Kunutsor S.K. et al.: Breastfeeding Is Associated With a Reduced Maternal Cardiovascular Risk: Systematic Review and Meta-Analysis Involving Data From 8 Studies and 1 192 700 Parous Women, in: Journal of the American Heart Association 2022

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