Helga Nowotny
© FWF/Marc Seumenicht

FWF: Bilderbuchkarriere in der Wissenschaft, Bilderbuchkarriere in der Wissenschaftspolitik, Ihre ERC-PrĂ€sidentschaft als sichtbarster Punkt in dieser Karriere. Wie sieht Ihr Blick zurĂŒck aus? Was ist gelungen und wo sehen Sie Baustellen?

Helga Nowotny: Die Entwicklung des ERC geht weiter. Der Anfang war eine Pionierphase und Neuland auf Seiten der Kommission, bedingt durch den radikalen Wechsel, welchen Stellenwert die Grundlagenforschung auf europĂ€ischer Ebene haben sollte. Vor dem ERC war Grundlagenforschung ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten. Zum ersten Mal hat die Kommission im Jahr 2007 mit 7,4 Milliarden Euro und einer neuen Institution die Möglichkeit geschaffen, einen paneuropĂ€ischen Wettbewerb durchzuziehen. Es war auch sehr ungewöhnlich, die strategischen Entscheidungen 22 handverlesenen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zu ĂŒberlassen. Wir konnten das in großer UnabhĂ€ngigkeit tun. Die Kommission hat nie versucht, uns dreinzureden. Insofern trĂ€gt der ERC die Handschrift der Wissenschaft. Der Start selbst war ein echter „clash of cultures“ mit der Kommission auf der einen und der Wissenschaft auf der anderen Seite. Kontrollkultur trifft auf Vertrauenskultur. Es gab etliche mehr oder weniger dramatische Auseinandersetzungen, aber letzten Endes ist es doch gelungen, ein EinverstĂ€ndnis

„Wir suchen die Besten der Besten – nur wissenschaftliche Exzellenz zĂ€hlt!“ Helga Nowotny

herzustellen: Die duale Governance-Struktur mit Scientific Council und Executive Agency kann nur funktionieren, wenn beide am gleichen Strang ziehen. Jetzt herrscht eine gute AtmosphĂ€re. Die Exekutivagentur ist professionell sehr gut aufgestellt und die Probleme der Pionierphase sind ĂŒberwunden. Von Anbeginn war uns klar: Wir können diesen Anspruch auf wissenschaftliche Exzellenz nur einlösen, wenn wir GlaubwĂŒrdigkeit in der Scientific Community haben. Wir mussten Mechanismen so etablieren, dass zweifelsfrei wahrgenommen wird: „Wir suchen die Besten der Besten nur wissenschaftliche Exzellenz zĂ€hlt!“ Die Panels mussten diese offene, qualitĂ€tsgetriebene Kultur von Beginn an glaubwĂŒrdig leben. Deren Zusammensetzung war anfangs unsere Hauptaufgabe und diese TĂ€tigkeit ist im Grunde nie abgeschlossen. Wir haben das mit großer Beharrlichkeit gemacht.

FWF: Also durchaus, wenn Sie es so nennen, ein Sieg „mit Beharrlichkeit“?

Nowotny: Beharrlichkeit braucht man. Absolut. Und vor allem darf man ein Nein nicht als ein Nein akzeptieren. Dazu eine kleine Anekdote: Es war klar, dass wir fĂŒr die Starting Grants Interviews machen wollten, da bei Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforschern die Publikationsliste allein oft nicht genug aussagt. Kurze Zeit vor dem Termin kam die Antwort der Kommission: „Das geht leider nicht; rechtlich ist das nicht möglich.” Zum GlĂŒck begann dann im Juli 2007 die portugiesische PrĂ€sidentschaft; als Scientific Council sind wir immer in das Land der PrĂ€sidentschaft gereist um dort auch die Scientific Community zu treffen. In diesem Fall war KommissionsprĂ€sident Barroso zur selben Zeit auch in Lissabon. Mein VorgĂ€nger Fotis Kafatos und ich hatten dann ein GesprĂ€ch mit Barroso. Er hat uns angehört und dann seinen Beamten gesagt: „Solve the problem!“ Lösen Sie das Problem!

FWF: Das ist gewissermaßen ein Machtwort, oder?

Nowotny: Ja. Die Details waren ihm egal, aber er hat verstanden: Das ist eine neue Institution und wenn es schon am Anfang Probleme gibt, ist das kein gutes Zeichen. SpĂ€ter haben wir entdeckt, was das Problem war: Man kann nur jemanden nach BrĂŒssel einladen und die Reise bezahlen, wenn die Person als Experte eingeladen wird, und man kann, wenn man zu einem Interview eingeladen wird, noch kein Experte sein, weil man ja der Interviewte ist. Das war also der wahre Grund und die Lösung war ganz einfach. Es war nur ein Amendment notwendig, um eine Ausnahme fĂŒr den ERC zu bewirken. Diese Art von Beharrlichkeit war oft notwendig, also nachfragen, nicht aufgeben und ĂŒberlegen, wie man vorankommt. Es war auch zu keinem Zeitpunkt Böswilligkeit im Spiel. Die Beamten in BrĂŒssel haben sich nur an das gehalten, was immer schon so war.

FWF: Und die Baustellen?

Nowotny: Ich sehe die Arbeit an diesen als einen kontinuierlichen Prozess. Im Februar gab es eine sehr schöne Verabschiedung von mir in BrĂŒssel, die zugleich Übergabe und Willkommen an meinen Nachfolger war. Also KontinuitĂ€t, symbolisch wie inhaltlich. Es gibt Probleme, die wir bisher bewusst nicht angegangen haben und die jetzt mein Nachfolger angehen muss. Dazu gehört etwa die Intensivierung der Beziehungen zu den nationalen Förderinstitutionen. Wo gibt es Gemeinsamkeiten, KomplementaritĂ€t und vielleicht auch Synergien? Auch ein neues Parlament wird gewĂ€hlt, zu dem Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden mĂŒssen, wie wir das in der Vergangenheit getan haben. Eine andere offene Baustelle ist die Diskrepanz zwischen den neuen Mitgliedstaaten und dem alten „Kerneuropa”.

„Was ich in Österreich manchmal zu wenig sehe, ist die Motivation unter den JĂŒngeren, sich der ERC-Herausforderung und dadurch dem internationalen Wettbewerb zu stellen.“ Helga Nowotny

Wir waren alle ĂŒberrascht, dass ein großes Land wie Polen mit einer sehr guten Tradition in Physik, Ingenieurswissenschaften, Mathematik et cetera beim ERC einfach nicht prĂ€sent war. Wir waren in Polen, wurden vom PrĂ€sidenten empfangen, besuchten die Akademie der Wissenschaften und haben uns mit der Scientific Community getroffen, die ihre Probleme geschildert hat. Ein Befund: Die GehĂ€lter waren einfach lĂ€cherlich. Umso ĂŒberraschender war dann Polens Ansage: Sie werden jetzt eine Forschungsförderungseinrichtung in Polen einrichten, die eine Kopie des ERC ist, um die polnische Community auf Europaniveau zu bringen. Der Start in Polen ist gemacht. Wir hatten unmittelbar nichts damit zu tun, außer dass wir dort waren, zugehört und unterstĂŒtzt haben. Und unsere beharrliche Frage war: Wo ist euer wissenschaftlicher Nachwuchs? Was wollt ihr fĂŒr ihn tun, um zu vermeiden, dass alle abwandern? Bedauerlicherweise gibt es andere Beispiele, wo die Vorzeichen nicht so gĂŒnstig sind. In RumĂ€nien oder Bulgarien sind erste positive AnsĂ€tze gescheitert. Das ist tragisch fĂŒr diese LĂ€nder und schade fĂŒr Europas Forschung, denn das Resultat ist: Unter den RumĂ€nen, die ERC Starting Grantees sind, arbeitet kein einziger in RumĂ€nien. Von außen können wir nichts machen, es muss im Land selbst etwas geschehen. Wir haben einen jungen, sehr ambitionierten Wissenschaftsminister getroffen. Er hĂ€tte selbst ein ERC Starting Grantee sein können und kam von Jean- Marie Lehn aus Straßburg zurĂŒck nach RumĂ€nien. Als Wissenschaftsminister gibt es ihn inzwischen nicht mehr. Seine beiden Nachfolgerinnen haben inzwischen alles rĂŒckgĂ€ngig gemacht, was er an richtigen Reformen durchgesetzt hatte. So hart es klingen mag: diese LĂ€nder selbst mĂŒssen zuerst ihr eigenes Haus in Ordnung bringen.

FWF: Gab es darĂŒber hinaus Beobachtungen, von denen Sie ĂŒberrascht wurden?

Nowotny: Ja, es kam auf einer Ebene zu ĂŒberraschenden Dynamiken, mit denen wir nicht gerechnet hĂ€tten, nĂ€mlich den UniversitĂ€ten. Niemand hatte daran gedacht, dass ein Wettbewerb auf europĂ€ischer Ebene sich direkt auf das Verhalten der UniversitĂ€ten auswirken wĂŒrde. Heute stellen sie sich dem Wettbewerb um die besten jungen Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Sie positionieren sich als Institutionen, die in der Lage sind, die beste Forschung zu entwickeln, zu halten und neue Talente anzuziehen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sehr ERC Grants zum „Goldstandard”, also zu einer WĂ€hrung der Exzellenz, wurden. Das, glaube ich, funktioniert sehr gut, ohne dass jemand sich von Beginn an ĂŒberlegt hat, wie es funktionieren soll.

FWF: Da steckt kein Masterplan dahinter?

Nowotny: So ist es. Das hat uns alle ĂŒberrascht, wie gut das funktioniert. Auf der einen Seite gibt es die Konzentration, die zu erwarten ist. 50 Prozent der Grants gehen an ungefĂ€hr 50 Institutionen; die andere HĂ€lfte ist breit gestreut und verteilt sich auf mehr als 550 Standorte. Es gibt die Zufallstreffer, das heißt, es sitzt irgendwo an einer kleinen ProvinzuniversitĂ€t der talentierte ERC Grantee, der dort wahrscheinlich nicht sehr glĂŒcklich ist, weil alle um ihn herum sehr neidisch sind. Seine UniversitĂ€t kann mit ihm und seinem Grant nicht wirklich etwas anfangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dort bleiben wird, ist daher gering. Das ist das eine Extrem. Aber dann gibt es das interessante Mittelfeld, wo UniversitĂ€tsleitungen sagen: „Wir mĂŒssen uns mehr anstrengen; es ist uns bisher ganz gut gelungen, uns zu positionieren, aber wir könnten mehr machen.“ Diese Erkenntnis bringt einen Schub innerhalb der UniversitĂ€t; es entstehen zum Beispiel neue Serviceeinrichtungen, um ERC Grantees zu unterstĂŒtzen. Inzwischen greifen fast alle UniversitĂ€ten Starting-Grants-Bewerbern unter die Arme, laden sie zu einem Interview und Ähnliches mehr. Der Wettbewerb macht Erfolge und Misserfolge sichtbar. Das Motiv, hart zu trainieren, wird individuell wie auch institutionell stĂ€rker, und das ist gut so.

FWF: Wie, glauben Sie, kann sich Österreich auf den Wettbewerb und den doch grĂ¶ĂŸer gewordenen Kuchen im Rahmen von Horizon 2020 vorbereiten, um die an und fĂŒr sich ganz gute Statistik und die ganz gute Leistungsbilanz weiter zu verbessern?

Nowotny: Immer wieder wird das START-Programm des FWF als Äquivalent des ERC Starting Grant genannt, mit der EinschrĂ€nkung, dass nur wenige Top- Leute pro Jahr in das Programm aufgenommen werden. Wenn man das mit dem "Veni Vidi Vici-Programm" in den Niederlanden vergleicht, fĂ€llt auf, um wie viel grĂ¶ĂŸer diese Kaderschmiede dimensioniert ist. Das ist mit ein Grund, warum die Niederlande bislang bei ERC Grants sehr gut abgeschnitten haben. Vor allem in den Sozial- und Geisteswissenschaften ist es auffallend, wie gut sie sind. Mich hat das interessiert. Alle, mit denen ich gesprochen habe, sind ĂŒberzeugt, dass "Veni Vidi Vici" eine Vorreiterrolle hatte. Der Nachwuchs wusste einfach, wie man die Sache angeht, und hatte offensichtlich die Motivation, zu reĂŒssieren. Was ich in Österreich manchmal zu wenig sehe, ist die Motivation unter den JĂŒngeren, sich der ERC-Herausforderung und dadurch dem internationalen Wettbewerb zu stellen. Wenn das fehlt, fĂ€llt man in eine bequeme, vordergrĂŒndig angenehme Situation zurĂŒck, in der man sagt: „Naja, es geht so auch.“ Das kann auf mittlere Sicht nur unbefriedigend enden. Es braucht ein BĂŒndel an Maßnahmen, um diese Muster aufzubrechen. Es braucht Role Models, vielleicht auch Scouting. Die UniversitĂ€ten mĂŒssen aktiv werden, um vielversprechende junge Talente zu fördern und zu motivieren. Es fehlt in Österreich nicht an Begabungen, sondern es fehlt oft am Willen und an der Motivation: „Ich will in die internationale Liga aufsteigen!"

FWF: Frau Professor Nowotny, sind Sie eine ĂŒberzeugte EuropĂ€erin?

Nowotny: Die Frage kann ich eindeutig mit „ja“ beantworten.

FWF: Was wĂŒrden Sie einem Kritiker entgegenhalten, der argumentiert, Institutionen wie der ERC trĂŒgen mit ihrer Logik eher zu einem Auseinanderfallen Europas bei als zu seinem Zusammenwachsen? Kann man diesen Widerspruch auflösen?

Nowotny: Exzellenz zieht Exzellenz an. Es gilt das MatthĂ€us-Prinzip in der Wissenschaft; insofern trifft zu, dass der ERC eine Dynamik ausgelöst hat, die Konzentrationseffekte begĂŒnstigt. ERC Grants sind nicht fĂŒr alle. Im Rahmen von Horizon2020 gibt es ein breites Spektrum von anderen Fördermitteln. Der ERC ist wie ein Spiegel, in dem die Mitgliedstaaten, aber auch jede UniversitĂ€t und jedes Forschungsgebiet erkennen kann, wo es international steht.

„Exzellenz zieht Exzellenz an. Es gilt das MatthĂ€us-Prinzip in der Wissenschaft.“ Helga Nowotny

FWF: Und dort sind eben die Skalen anders zu bewerten, anders zu setzen, und dem Ziel zuarbeitend kann man den ERC auch definitiv als ein Element sehen, um Europa stÀrker zu positionieren oder stÀrker zu machen.

Nowotny: Sicher. Das politische Ziel ist, Europa in der Grundlagenforschung attraktiv zu machen. Wenn es gelingt, weltweit ein Signal zu setzen, dass es Spitzenforschung nicht nur in den USA gibt, sondern auch in Europa, dann ist schon einiges erreicht. Wenn junge Forscherinnen und Forscher, beispielsweise aus Asien, in Europa Fuß fassen, knĂŒpfen sie Netzwerke, die nach ihrer Heimkehr weiter wirken. Das haben ForschungsuniversitĂ€ten, wie etwa die ETH ZĂŒrich, lĂ€ngst verstanden. Internationalisierung ist der SchlĂŒssel zum Erfolg in der Wissenschaft, kommt aber auch, wie das Beispiel Schweiz zeigt, der Industrie zugute.

FWF: FĂŒr die globalisierten ZusammenhĂ€nge. Was Österreich in Europa anbetrifft, haben Sie eine neue Funktion ĂŒbernommen. Sie beraten Bundesminister Mitterlehner. Können Sie Ihre neue Rolle kurz beschreiben?

Nowotny: Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich diese neue Funktion zusammen mit einer kleinen Gruppe wahrnehme, die den Minister in Sachen EU Forschungsund Innovationspolitik berĂ€t. Ich sehe mich in keiner Weise als Chief Scientist und ich glaube, es gibt auch gute GrĂŒnde, warum es keine Chief Scientists in Kontinentaleuropa gibt. Das ERA Council Forum Austria besteht neben mir aus Hermann Hauser, einem Österreicher, der in London mit Venture-Capital-Firmen erfolgreich zu einem Unternehmer wurde; dann JĂŒrgen Mlynek, PrĂ€sident der Helmholtz-Gemeinschaft, der enorm viel Erfahrung mitbringt und den Übergang von Grundlagenforschung hin zur Anwendung sehr gut kennt. Jana Kolar ist Chemikerin aus Slowenien und Unternehmerin. Sie war auch Generaldirektorin im slowenischen Ministerium, kennt also die BĂŒrokratie von innen und hatte in dieser Eigenschaft sehr viel mit Europa zu tun. Reinhilde Veugelers ist Ökonomin und Fellow im Breughel Think Tank in BrĂŒssel. Sie ist in BrĂŒssel ausgezeichnet vernetzt. Eine unserer Aufgaben wird sein, wie sich Österreich in Sachen Forschungsund Innovationspolitik auf europĂ€ischer Ebene besser positionieren kann. Es geht aber auch darum, wie Österreich von einem ‚innovation follower’ zu einem ‚innovation leader’ werden kann.

FWF: Welche Rolle kommt in diesen Überlegungen Ihrer Meinung nach dem FWF zu?

Nowotny: Dem FWF kommt eine ganz wichtige Rolle zu. Grundlagenforschung ist das Um und Auf. Insofern ist es enorm wichtig, die Grundlagenforschung an den UniversitĂ€ten ĂŒber den FWF, also durch kompetitive Einwerbung, zu stĂ€rken. Mich ĂŒberrascht, wie wenige AntrĂ€ge der FWF erhĂ€lt.

FWF: Wir sind davon ĂŒberrascht, wie viele es sind, aber im Vergleich zur Gesamt-Community gebe ich Ihnen Recht. FWF-aktive Forscherinnen und Forscher sind eine Minderheit in Österreich.

Nowotny: Das gehört geĂ€ndert. Es geht nicht um ein kĂŒnstliches Ansteigen der AntrĂ€ge, sondern darum, einen Wachstumsmodus zu erreichen, bei dem das VerhĂ€ltnis zwischen AntrĂ€gen und Finanzierungsmöglichkeiten stimmt. FĂŒr all jene, die sich als Grundlagenforscherinnen und Grundlagenforscher definieren, mĂŒsste der FWF die erste Adresse sein.

FWF: Was wĂ€ren Ihrer Meinung die drei wichtigsten Maßnahmen, die man setzen sollte, um Österreich in diesem europĂ€ischen Wettbewerb erfolgreicher zu positionieren? Was wĂ€ren Ihre Empfehlungen?

Nowotny: Eine StĂ€rkung der Grundlagenforschung ist unabdingbar notwendig und somit muss der Wissenschaftsfonds besser dotiert werden. Zugleich ist das nur ein Teil dieses StĂ€rkungsprozesses. Die anderen Bestandteile sind, an den UniversitĂ€ten ein Bewusstsein dafĂŒr zu schaffen, dass es ein Privileg ist, Grundlagenforschung betreiben zu können. Dazu muss man aber vor allem den wissenschaftlichen Nachwuchs in die Lage versetzen, das zu tun. Es braucht eine Antragskultur, die weit ĂŒber technische Dinge des Antragschreibens hinausgeht. Es geht darum, fĂŒr den Begutachtungsprozess Inhalte zu entwickeln, die Substanz haben und die dann in eine Form gebracht werden, die helfen, die Substanz weiter zu heben. Es muss schnell erkennbar sein, dass hier Ideen vorliegen, die mehr beinhalten als elaborierte Floskeln. Dieser Ansatz muss an den UniversitĂ€ten viel stĂ€rker vermittelt werden; nicht nur operativ, sondern natĂŒrlich auch auf strategischer Ebene. Mein zweites Anliegen wĂ€re, die weit verbreiteten BerĂŒhrungsĂ€ngste, die großteils nicht nachvollziehbar sind, zwischen Wirtschaft und Wissenschaft in ein vernĂŒnftiges Aufeinanderzugehen zu

„FĂŒr all jene, die sich als GrundlagenforscherInnen definieren, mĂŒsste der FWF die erste Adresse sein.“ Helga Nowotny

verwandeln. Die Wirtschaft ist vor allem an gut ausgebildeten Absolventinnen und Absolventen interessiert. Sie bringen ‚state of the art’ mit und wissenschaftliche Vernetzung. Österreich hat strukturell vorwiegend Klein- und Mittelbetriebe, aber auch hier gibt es Möglichkeiten. Auf der Seite der Wissenschaft ist der Bedarf einer Öffnung noch viel grĂ¶ĂŸer. Wir bewegen uns in eine Zukunft, wo ArbeitsplĂ€tze selbst organisiert und geschaffen werden mĂŒssen. Die Erwartungshaltung, dass uns vom Staat, von der Politik, von der Wirtschaft die ArbeitsplĂ€tze zur VerfĂŒgung gestellt werden, wird immer mehr zum Wunschdenken. Insbesondere junge, gut ausgebildete Menschen – und die Ausbildung in Österreich ist noch immer gut – sind als Absolventinnen und Absolventen zu ermutigen, selbst gestaltend an ihre Arbeitswelt zu denken. Wer sollte denn ArbeitsplĂ€tze schaffen, wenn nicht junge Leute, die das mitbekommen, was man in Zukunft braucht? Ich bin der Überzeugung, dass hier ein Umdenken in Richtung innovatives Gestalten stattfinden muss. Wir mĂŒssen der jungen Generation den Mut und die Voraussetzungen dafĂŒr mitgeben.

FWF: Das sind die beiden Blöcke, die Sie sehen.

Nowotny: Der dritte Block ist, die Stellung der Wissenschaft und deren Bedeutung im allgemeinen Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung viel prĂ€senter zu machen. Das kann nicht nur mit einer Langen Nacht der Forschung passieren oder anderen punktuellen Events. Das ist eine gute Sache, wenn es darum geht, Kinder, Jugendliche, Familien neugierig zu machen, aber was folgt darauf? Junge Leute kann man auf vielfĂ€ltige Weisen abholen und begeistern. Das Angebot mĂŒsste entsprechend breit gestreut sein. Das richtet sich nicht nur an eine Elite, sondern wir brauchen Möglichkeiten, die substanziell sind, um ganzen Generationen ein neues SelbstverstĂ€ndnis im Umgang mit Wissenschaft mitzugeben, das sich von tradierten Mustern unterscheidet, damit man eben nicht so reagiert, wie wir es in anderen Bereichen, Stichwort ‚genfreies’ Österreich, sehen. Insofern wĂŒnsche ich mir, dass ‚citizen science’, also Wissenschaft, die sich fĂŒr alle öffnet, auch in Österreich einzieht.

Helga Nowotny, ist seit JĂ€nner 2014 Beraterin von Wissenschafts- und  Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner im ERA Council Forum Austria. Sie ist zudem die Initiatorin der Petition „Wissenschaft ist Zukunft“. Von 2007 bis 2013 war sie VizeprĂ€sidentin, dann PrĂ€sidentin des European Research Council (ERC). Die promovierte Rechtswissenschafterin (UniversitĂ€t Wien) und Soziologin (Columbia University, New York) habilitierte sich an der FakultĂ€t fĂŒr Soziologie der UniversitĂ€t Bielefeld sowie an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen FakultĂ€t der UniversitĂ€t Wien. (Gast-)Professuren und Fellowships fĂŒhrten Nowotny neben der ETH ZĂŒrich und der UniversitĂ€t Wien unter anderem ans King’s College in Cambridge, nach Berlin, Budapest, Paris, Bellagio, Bielefeld und Twente. Helga Nowotny hat ĂŒber 300 Artikel in wissenschaftlichen Journalen sowie zahlreiche BĂŒcher publiziert.