Brian Nosek ist eine Schlüsselfigur in der Debatte um Transparenz und Reproduzierbarkeit von wissenschaftlichen Ergebnissen. Am 21. September 2016 war er zu Gast in Wien. © FWF

FWF: Was ist wichtiger in der Forschung, Transparenz oder das Ergebnis? Brian Nosek: Die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse hängt davon ab, wie sie erzielt wurden. Transparenz und Reproduzierbarkeit sind Grundwerte der Wissenschaft. Aussagen der Wissenschaft werden nicht deshalb glaubwürdig, weil eine Wissenschafterin oder ein Wissenschafter eine Autorität ist, sondern wenn die Belege zur Untermauerung seiner Aussage für jedermann zugänglich sind, wenn jedermann sehen kann, wie man zu ihnen gelangte, und wenn sie allgemein reproduzierbar sind. FWF: Das Center for Open Science (COS) entwickelt Anreize und Praktiken, um das Prinzip “truth over publishability” (etwa: Wahrheit ist wichtiger als Publizieren) zu fördern. Was war bis jetzt Ihr größter Erfolg?  Nosek: Unser größter Erfolg bisher sind die TOP Guidelines (http://cos.io/top/) zur Förderung von Transparenz und Offenheit. Diese Leitlinien können sowohl von Fachjournalen als auch von Fördergebern eingesetzt werden. Bereits jetzt haben sich mehr als 700 Journale und 60 Organisationen diese Leitlinien zu eigen gemacht, darunter Science, Nature, Wiley und andere große Verlage.

„Transparenz und Reproduzierbarkeit sind Grundwerte der Wissenschaft.“ Brian Nosek

FWF: Ihr erstes Forschungsprojekt bei COS untersuchte die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen in der Psychologie. Was sind Ihre Erkenntnisse? Nosek: Wir haben gesehen, dass das Reproduzieren von veröffentlichten Ergebnissen schwieriger ist, als die meisten gedacht hätten. Etwa 40 Prozent der 100 veröffentlichten Ergebnisse, die wir uns vorgenommen hatten, konnten wir erfolgreich nachvollziehen. Wir wissen allerdings nicht, warum es in so vielen Fällen nicht gelang. Möglicherweise liegt es daran, dass die ursprünglichen Ergebnisse falsch waren. Es könnte auch sein, dass die Wiederholungen nicht korrekt waren. Vielleicht führten aber auch subtile Unterschiede zwischen der Originalstudie und den Replikationsstudien zu anderen Ergebnissen. All diese Punkte machen Reproduzierbarkeit zur Herausforderung. FWF: In den vergangenen Jahren haben einige Deklarationen, wie etwa die San Francisco Declaration on Research Assessment (DORA), Metric Tide oder das Leidener Manifest sich gegen den Einsatz von vereinfachten Metriken in der Forschungsbewertung ausgesprochen. Aber was sind die Alternativen für die Überprüfung einer ständig steigenden Zahl von Forschungsergebnissen? Nosek: Das ist ein wirklich schwieriges Problem. Menschen brauchen eine Heuristik, das heißt, Regeln und Methoden. Die Welt ist so komplex, dass nicht alles bis in die Tiefe evaluiert werden kann. Wir können daher nicht erwarten, ohne Heuristik auszukommen. Der beste Ansatz ist es, die Qualität der Methoden, die wir einsetzen, zu maximieren. Und die Beschränkungen dieser Methoden transparent zu machen, um sicherzustellen, dass sie nicht übermäßig angewendet werden, wenn wichtige Entscheidungen anstehen, die eine systematischere Überprüfung erfordern. FWF: Fachzeitschriften und Förderorganisationen beobachten im Moment eine Überlastung des Peer-Review-Systems. Wie können wir einerseits die Vorteile des Systems bewahren und andererseits eine Verschlechterung der Lage vermeiden?

„Peer Review sollte nicht als Eingangsschranke zur Veröffentlichung eingesetzt werden.“ Brian Nosek

Nosek: Ich denke für Fachzeitschriften liegt die Lösung darin, Gutachten nicht mehr als Eingangsschranke zur Veröffentlichung einzusetzen. Wir haben darüber in Nosek and Bar-Anan (2012) publiziert. Wenn wir den Forscherinnen und Forschern die Entscheidung über das Datum der Veröffentlichung überlassen, nimmt das viel Druck von ihnen. Was sie für den Erfolg dann stattdessen benötigen, ist Interesse an ihrer Forschung nach der Publikation. Unter diesem Gesichtspunkt wird Peer Review eher zu einem Vorteil als zu einem Hindernis auf dem Weg zum Erfolg. Wenn man den Forscherinnen und Forschern also die Kontrolle darüber gibt, wann sie veröffentlichen, liegt das größte Risiko für sie darin, dass ihre Ergebnisse nicht beachtet werden. Somit lassen sie vielleicht etwas mehr Sorgfalt walten, bevor sie ihre Arbeit veröffentlichen. Für Fördergeber ist das Problem schon schwieriger. Eine einfache Maßnahme wäre es, Einreichfristen abzuschaffen. In einer Abteilung der National Science Foundation (NSF) hat man das ausprobiert, und ihre Einreichquote fiel dramatisch. Wenn Forscherinnen und Forscher nicht auf eine bestimmte Frist hinarbeiten müssen, werden sie dann einreichen, wenn sie bereit sind – die Entscheidung liegt dann bei ihnen. Gilt es eine Frist einzuhalten, werden Forscher das Material einreichen, das sie zu diesem Zeitpunkt haben, weil sie sonst gar nicht berücksichtigt werden.

Brian Nosek regt an, Forschungs- und Publikationsprozesse zu vereinfachen und neu zu denken. © FWF

FWF: Einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben Vorbehalte gegen Open Science. Welche sind die stichhaltigsten?

„Jede Veränderung in Richtung Offenlegung muss gleichzeitig berücksichtigen, wie man Forscherinnen und Forscher dafür belohnen kann.“ Brian Nosek

Nosek: Einige plausible Befürchtungen in Bezug auf Open Science haben damit zu tun, dass sich möglicherweise die Anreize für Forscherinnen und Forscher ändern, je mehr wir zu Open Science übergehen. Wenn beispielsweise Forscherinnen und Forscher ihre Daten zur Verfügung stellen müssen, aber keine Anerkennung für die Verwendung ihrer Daten durch andere erhalten, dann sind jene, die wertvolle Daten erzeugen benachteiligt. Jede Veränderung in Richtung Offenlegung muss also gleichzeitig berücksichtigen, wie man Forscherinnen und Forscher dafür belohnen kann. FWF: Was halten Sie von Patenten, die aus öffentlich geförderter Forschung hervorgehen? Nosek: Ich denke, dass es viele Bereiche gibt, in denen Patente aus öffentlich finanzierter Forschung zum Wohl der Gesellschaft sind. Das wichtigste dabei ist jedoch, seine Ziele von Anfang an klar zu kommunizieren. Einige geförderte Arbeiten werden zu Erkenntnisgewinn für die Allgemeinheit führen, andere werden kommerziell genutzt werden. Ich habe mit beidem kein Problem, solange die Fördergeber sich dessen bewusst sind, und die intendierte Richtung der geförderten Arbeit unterstützen. FWF: Abschließend gefragt, was kann ein Fördergeber wie der FWF tun, um Open Science wirksam zu unterstützen? Nosek: Zum Beispiel die TOP Guidelines übernehmen, um größere Öffnung und Wiederholbarkeit der geförderten Forschung anzuregen oder auch obligatorisch einzufordern. Weiters einen kleinen Anteil der Forschungsgelder (2 bis 3 Prozent) für die Unterstützung von Replikationsstudien von bahnbrechenden Forschungsprojekten reservieren und Metaforschung fördern, also das Erforschen des wissenschaftlichen Prozesses selbst, um Qualität und Effizienz des Erkenntnisgewinns zu erhöhen.


Brian Nosek ist Direktor des Centre for Open Science und Professor für Psychologie an der University of Virginia. Nosek ist eine der Schlüsselfiguren in der Debatte um Open Science im Allgemeinen, und speziell in Bezug auf die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen. Unter anderem veröffentlichte er im Jahr 2015 in dem Fachmagazin Science die Studien Estimating the reproducibility of psychological science und Transparency and Openness Promotion (TOP) Guidelines. Zuletzt war Brian Nosek unter anderem Mitautor von How open science helps researchers succeed, das in elife veröffentlicht wurde.


Auf Einladung des Wissenschaftsfonds FWF und IST Austria hielt Brian Nosek am 21. September 2016 einen Vortrag in Wien zum Thema Scientific Utopia – Improving Transparency in Scholarly Communication im Rahmen der Serie “New Trends in Scholarly Communications”. – Hier geht es zum Veranstaltungsrückblick inkl. Video.


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