KreativitĂ€t spielt im Fußball eine wichtige Rolle. Neurologische Tests zeigen nun erstmals, wie komplex die Denkprozesse beim Fußballsport ablaufen. © Jeffrey F Lin/unsplash

AlltagsgegenstĂ€nde wie etwa eine Konservendose sind vielfĂ€ltig nutzbar. Welche Ideen einem dazu in den Sinn kommen, wird in einem klassischen KreativitĂ€tstest, dem „ungewöhnlichen Verwendungstest“ erfasst. Obwohl dieser Test gut erprobt und einfach umzusetzen ist, hat er einen Haken: Der Alltagsbezug fehlt. „Wenn ich dabei gut abschneide, was sagt das ĂŒber meine KreativitĂ€t in speziellen Situationen im realen Leben aus?“, kritisiert der Psychologe und Neurowissenschafter Andreas Fink vom Institut fĂŒr Psychologie der UniversitĂ€t Graz.

Schon seit Jahren wird dort das Forschungsfeld KreativitĂ€t und Neurowissenschaft aufgebaut. Gemeinsam mit Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln entstand die Idee, die GehirnaktivitĂ€ten von Fußballerinnen und Fußballern zu messen, wenn sie sich eine kreative Lösung im Spielverlauf ausdenken. Im Forschungsprojekt „Neuronale Mechanismen kreativer Lösungen in komplexen Aufgabenstellungen“, das vom Wissenschaftsfonds FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, entwickelten sie nun neue, spezifische Aufgaben, um das KreativitĂ€tspotenzial im Fußballsport messbar zu machen.

Erweitertes Bild von KreativitÀt

„Fußballerinnen und Fußballer sind heute physisch sehr gut trainiert und in Sachen Fitness und Konstitution gibt es kaum Unterschiede. Um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, ist daher KreativitĂ€t sehr wichtig. Dabei geht es darum, originelle, ĂŒberraschende und neuartige Lösungen zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen“, erklĂ€rt Fink. Will man KreativitĂ€t beobachten, nĂŒtzen Forschende heute oft Methoden wie die Elektroenzephalografie (EEG), womit die elektrische AktivitĂ€t im Gehirn mess- und grafisch darstellbar wird, und die Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), die die Gewebsdurchblutung sichtbar macht.

Überlegt sich eine Testperson nun eine kreative Lösung fĂŒr ein Problem, kommt es zu charakteristischen GehirnaktivitĂ€ten. So ist etwa belegt, dass Zunahmen der elektrischen AktivitĂ€t des Gehirns im Frequenzbereich zwischen 8 und 12 Hertz, auch „EEG-Alpha-AktivitĂ€t“ genannt, bei KreativitĂ€t eine große Rolle spielen. Im Alltag bedeutet dies: Man schottet sich von störenden EinflĂŒssen ab, ist nach innen gerichtet und höchst konzentriert. „Im Fußballsport ist es jedoch enorm wichtig, das ganze Rundherum wahrzunehmen und einfließen zu lassen. Man benötigt also eine gegenteilige Denkrichtung, um kreativ zu sein. Das war fĂŒr uns ĂŒberraschend“, so der Forscher. Je nachdem, um welchen Bereich es sich handelt, werden bei KreativitĂ€t offenbar spezifische Aktivierungsmuster im Gehirn aktiv – die Zunahmen der EEG-Alpha-AktivitĂ€t sind also nicht die alleinige Grundlage.

Komplexe Aufgaben im Scanner

Auf der Suche nach Aussagen ĂŒber das echte Leben, der sogenannten „ökologischen ValiditĂ€t“, hat man laut Fink den Schritt gewagt, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, um KreativitĂ€t in alltagsnĂ€heren Bereichen zu erforschen und in den Scanner reinzubringen. Die Grundlage von insgesamt vier Studien bildeten kurze Videosequenzen von Spielsituationen, die nach maximal 12 Sekunden gestoppt wurden. Die rund 150 Testpersonen vom Hobbyfußball bis zur Bundesliga bei den Frauen sollten den Spielzug gedanklich fortsetzen und danach verbal beschreiben.

Mittels fMRT und EEG wurde die Denkzeit analysiert und verglichen, wie sich die GehirnaktivitĂ€ten bei kreativen und weniger kreativen EinfĂ€llen unterscheiden. Im Vorfeld war es zudem sehr wichtig, sich etwa genau zu ĂŒberlegen, welche und wie viele Aufgaben geeignet sind oder wie die Testpersonen vorbereitet werden mĂŒssen. „Die Laborsituation ist weit weg von dem, wie man sonst kreativ ist. Man liegt am RĂŒcken im Scanner, der Kopf ist fixiert, damit die Bilder scharf sind und dann soll man auf Knopfdruck kreativ sein“, erklĂ€rt der Psychologe die Herausforderung der KreativitĂ€tsforschung.

KreativitÀt ist Erfolgsfaktor

Die durchgefĂŒhrten Studien zeigten, dass je nach Bereich der KreativitĂ€t spezifische Denkprozesse aktiv sind. Im Fußball sind das eine sehr gute visuelle Informationsverarbeitung, sprich Mitspielende und nĂ€chste SpielzĂŒge erkennen und einschĂ€tzen können, oder sich BewegungsablĂ€ufe gedanklich vorstellen zu können; zwischen Frauen und MĂ€nnern waren hier keine Unterschiede erkennbar. Die FĂ€higkeit zur mentalen Simulation, also Lösungsmöglichkeiten gedanklich durchspielen und Gedanken ordnen, typische Denkschemata unterdrĂŒcken und Bestehendes hinterfragen zu können sowie eigene Ideen zu bewerten, zĂ€hlen zudem zu den Grundlagen von KreativitĂ€t, bei der generell etliche Denkprozesse zusammenwirken.

In der KreativitĂ€tsforschung, die in den vergangenen Jahren große Fortschritte machte, geht es heute vermehrt um ErklĂ€rungssuche. „Um die komplexen PhĂ€nomene sinnvoll zu untersuchen, mĂŒssten Disziplinen viel stĂ€rker zusammenarbeiten. Was im Gehirn passiert, können wir aber vermutlich nie ganz entschlĂŒsseln“, betont der Wissenschafter. Im Fußballsport zĂ€hlen jedenfalls nicht nur Technik, Erfahrung, Wissen und physische Kraft –, sondern vor allem auch KreativitĂ€t. Wie gut jemand darin wirklich ist, lĂ€sst sich mit den neuen Aufgaben nun auch realitĂ€tsnah im Labor testen.

Zur Person

Andreas Fink ist Psychologe und Neurowissenschaftler am Institut fĂŒr Psychologie der Karl-Franzens-UniversitĂ€t Graz. Er erforscht unter anderem die ZusammenhĂ€nge von GehirnaktivitĂ€ten und kognitiven FĂ€higkeiten wie der KreativitĂ€t. Außerdem beschĂ€ftigt er sich mit der Beziehung zwischen Sport und Gehirn.

Publikationen

Fink, A., Rominger, C., Benedek, M., Perchtold, C. et al.: EEG alpha activity during imagining creative moves in soccer decision-making situations, in: Neuropsychologia, 114, 2018

Fink, A., Bay, J.U., Koschutnig, K. et al.: Brain and soccer: Functional patterns of brain activity during the generation of creative moves in real soccer decision-making situations, in: Human Brain Mapping, 40, 2018

Kempe, M., & Memmert, D.: “Good, better, creative”: the influence of creativity on goal scoring in elite soccer, in: Journal of Sports Sciences, 36 (21), 2018