Damals habe Russland ganz besonders auf die Reaktion des Westens geachtet. SpĂŒrbare Konsequenzen blieben aus. âIn den letzten Jahren fĂŒhlte sich Putin im Zenit der Machtâ, stellt Jobst fest. Es gab âerfolgreicheâ Aktionen in Syrien, der neue US-PrĂ€sident Joe Biden wurde als wenig gefĂ€hrlich eingestuft und die Welt ist seit zwei Jahren mit der Coronapandemie beschĂ€ftigt. Lauter Faktoren, die laut Jobst eine Rolle spielen. âDieses Zeitfenster hat Putin genutztâ, sagt die Historikerin.
Woher der Kampfgeist der Ukraine kommt
Dass der russische Staatschef einige Faktoren falsch eingeschĂ€tzt hat, davon ist die Expertin ĂŒberzeugt. Zum einen habe Putin den Widerstand in der Ukraine unterschĂ€tzt. Aber woher kommt deren Kampfgeist? Nomen est omen. Ukraina heiĂt u. a. âam Randeâ. Es ist geografisch und topografisch ein Gebiet, das gut zu durchwandern ist, wo sich immer Menschen getroffen, Handel miteinander getrieben, KĂ€mpfe ausgefochten haben und wieder weitergewandert sind. Weiteres kam hinzu: Seit der frĂŒhen Neuzeit bildete sich in der Ukraine ein Protonationalismus aus.
Diese Entwicklung ist universal. âEine Nation ist nicht einfach da und sie wĂ€hrt auch nicht ewigâ, sagt Jobst. Die römischen Kaiser hatten etwa eine andere Vorstellung davon, was Deutsch ist, als wir das heute haben. Auch der Begriff âĂsterreichâ hat in der Geschichte einen groĂen Bedeutungswandel erlebt. Wie wir zu solchen auch nationalen Konstrukten stehen, hat sich mit der Zeit gewandelt. Der Prozess der kollektiven Konstruktion von GroĂgruppenzugehörigkeit ist komplex und wird manchmal durch Katastrophen wie das Eindringen von Feinden befördert. Das ist es, was jetzt gerade in der Ukraine passiert: âEine gröĂere StĂ€rkung des ukrainischen Nationalbewusstseins als durch diesen Unrechtskrieg Putins hĂ€tte es gar nicht geben könnenâ, ist sich die Historikerin sicher.