Ein gut funktionierendes Logistiksystem spielt in KrisenfĂ€llen eine zentrale Rolle. Private Unternehmen und humanitĂ€re Organisationen sollen kĂŒnftig enger zusammenarbeiten. © Chris Warham/shutterstock.com

Weltweit hĂ€ufen sich Katastrophen und Notsituationen, und oft haben diese dramatische Auswirkungen auf lange Zeit. HumanitĂ€re Organisationen sind dadurch mehr denn je gefordert, den Betroffenen Hilfe effizient und effektiv zukommen zu lassen. Gleichzeitig gilt es fĂŒr sie auch, Aspekte der Nachhaltigkeit zu berĂŒcksichtigen. Die logistischen Herausforderungen sind dabei groß: Zeitdruck, Unsicherheit, zerstörte Infrastruktur und BĂŒrokratie zĂ€hlen dazu.

Von den Privaten lernen

Mit ihrem Know-how und internationalen Netzwerken können private Logistikunternehmen wichtige Partner in KrisenfĂ€llen sein. Wissenschafterinnen der WirtschaftsuniversitĂ€t Wien untersuchen in einem aktuellen Projekt des Wissenschaftsfonds FWF, wie sich die Expertise der privaten Dienstleister in den humanitĂ€ren Bereich ĂŒbertragen lĂ€sst. Ein Team rund um Tina Wakolbinger vom Institut fĂŒr Transportwirtschaft und Logistik analysiert mit Hilfe von spieltheoretischen Modellen, welche LogistikaktivitĂ€ten von Hilfsorganisationen an kommerzielle Unternehmen ausgelagert werden können und welche Vertrags- und Preisformen sicherstellen, dass dies fĂŒr alle Beteiligten zu positiven Ergebnissen fĂŒhrt. BerĂŒcksichtigt werden dabei die Art der Katastrophe, die Charakteristiken der Hilfsorganisationen und die jeweiligen Phasen von KrisenfĂ€llen. „Logistik hat traditionell in vielen Non-Profit-Organisationen eine untergeordnete Rolle gespielt, obwohl dieser Bereich einen Großteil der Kosten verursacht“, erklĂ€rt Tina Wakolbinger, die sich auf den stark wachsenden Forschungsbereich der HumanitĂ€ren Logistik spezialisiert hat.

Profitable Hilfe

Die humanitĂ€re Hilfe ist ein riesiger Markt fĂŒr den privaten Sektor. Im Moment gebe es aber noch viele Schwierigkeiten in der Kollaboration in der internationalen Katastrophenhilfe, wie Wakolbinger betont. Die Befragungen, die im Rahmen des noch laufenden Forschungsprojektes durchgefĂŒhrt wurden, zeigen, dass auf beiden Seiten oft Skepsis besteht. Schwierigkeiten liegen im Bereich des fehlenden Vertrauens, der Leistungsmessung sowie des Informationsaustausches. Speziell kleinere Non-Profit-Organisationen haben Angst vor der AbhĂ€ngigkeit von einem Unternehmenspartner. FĂŒr Unternehmen ist die Sicherstellung der Mitarbeitersicherheit ein wichtiges Thema. Es benötigt Zeit und Ressourcen, erfolgreiche Kooperationen aufzubauen. Ein erfolgreiches Beispiel fĂŒr die Teilnahme von Unternehmen an der Katastrophenhilfe sind Katastropheneinsatz-Teams von DHL, die bei der Abwicklung der HilfsgĂŒterströme an FlughĂ€fen unterstĂŒtzen.

Zusammenarbeit professionalisieren

„Bis jetzt ist sehr viel ad hoc passiert und ohne Evaluation“, erklĂ€rt die Wirtschaftswissenschafterin. „Jetzt beginnen Unternehmen gezielter zu ĂŒberlegen, was sinnvoll ist, und was der langfristige Nutzen der Zusammenarbeit sein kann.“ Neben wirtschaftlichen Überlegungen und Erschließung neuer MĂ€rkte, zĂ€hlen auch Reputationsgewinn und Mitarbeitermotivation dazu. Unternehmen entsenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krisengebiete, wovon die Hilfsorganisationen besonders profitieren. Aber auch fĂŒr die Logistik-Profis können das motivierende und lehrreiche Erfahrungen sein. Denn von den NGOs lernen sie viel ĂŒber Arbeiten unter Zeitdruck mit limitierten Ressourcen sowie auch ĂŒber die lokalen MĂ€rkte. „Auf lange Sicht muss sich die Zusammenarbeit fĂŒr alle Partner rechnen“, betont Wakolbinger. Daher sei es wichtig, Vertragsbedingungen auszuformulieren und zu gestalten, die wichtige Fragen wie Umfang, Fristen und gebietsbezogene Abgrenzungen fĂŒr gemeinnĂŒtzige Services klĂ€ren. Auch die UniversitĂ€ten reagieren inzwischen auf den wachsenden Markt der humanitĂ€ren Logistik und bieten Lehrprogramme fĂŒr das Katastrophen-Management an, so auch die WirtschaftsuniversitĂ€t Wien.

Nachhaltiges Engagement

Aus dem wachsenden Bedarf an humanitĂ€ren EinsĂ€tzen mĂŒssen sich die Hilfsorganisationen inzwischen auch der Frage der Nachhaltigkeit ihrer AktivitĂ€ten stellen. Die so genannte „RĂŒckfĂŒhrungslogistik“ im Katastrophenfall sei aus wissenschaftlicher Sicht ein noch zu wenig beachtetes Thema, so Wakolbinger, die auch diesen Bereich in ihrem Forschungsprojekt untersucht. Die Frage ist, was mit medizinischen AbfĂ€llen, Chemikalien, Verpackungen oder GebrauchsgegenstĂ€nden nach Beendigung des Hilfseinsatzes passiert. Das Thema des nachhaltigen Produktdesigns, zum Beispiel bei Zelten, spielt hier eine große Rolle. Firmen und NGOs wie etwa „Disaster Waste Recovery“ (www.disasterwaste.org) haben sich auf den Bereich des Abfallmanagements im Katastrophenfall spezialisiert, und Organisationen verpflichten sich zusehends nicht nur rasch, sondern auch nachhaltig Hilfe zu leisten.


Zur Person

Tina Wakolbinger ist Professorin fĂŒr Supply Chain Services and Networks und Leiterin des Forschungsinstituts fĂŒr Supply Chain Management der WirtschaftsuniversitĂ€t Wien. Sie hat internationale Wirtschaftswissenschaften an der UniversitĂ€t Innsbruck und Management Science in den USA studiert. In ihrer Forschung widmet sich Wakolbinger besonders dem Bereich der humanitĂ€ren Logistik und des nachhaltigen Supply Chain Managements. Das FWF-Forschungsprojekt „Optimale Preis- und Vertragsgestaltung in der humanitĂ€ren Logistik“ lĂ€uft noch bis 2016.