Historiker Dominik Gutmeyr-Schnur
Historiker und Schrödinger-Stipendiat Dominik Gutmeyr-Schnur erforscht die Vielfalt Kaukasiens anhand seiner Fotografiegeschichte. © privat

Die Zuerkennung eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums ermöglichte es mir, mich in November 2021 nach Los Angeles zu begeben und für zwei Jahre am Zentrum für Nahoststudien an der University of California, Los Angeles (UCLA) mitzuarbeiten. Das 1957 vom österreichischen Historiker Gustav von Grunebaum gegründete Center for Near Eastern Studies (CNES) wird aktuell von Ali Behdad, einem führenden Experten für die Fotografiegeschichte des Mittleren Ostens, geleitet. Über das CNES, das darüber hinaus mit zahlreichen ähnlichen Zentren im International Institute der UCLA verbunden ist, kommen Vertreter:innen unterschiedlichster Fachrichtungen in Austausch. Dadurch verschwimmen disziplinäre Trennlinien und ich fühle mich mit meiner Forschung zu transimperialen Netzwerken fotografischer Praktiken gut aufgehoben.

In meinem aktuellen Projekt zur „Camera Caucasica“ befasse ich mich dabei mit einer Verflechtungsgeschichte der Fotografie im Kaukasus im „langen 19. Jahrhundert“. Ich gehe den Fragen nach, wie Fotografien über diverse (u. a. territoriale, soziale, ökonomische) Grenzen hinweg produziert, rezipiert und ausgetauscht werden und welche Akteur:innen diese Prozesse prägen. Dabei profitiere ich sehr von der hiesigen Expertise zu armenischen Netzwerken und zur (Fotografie-)Geschichte im Iran.

Ausland, Austausch, Amerika

Ich hatte im Rahmen meines bisherigen wissenschaftlichen Weges das große Glück, zahlreiche Auslandserfahrungen machen zu dürfen. Mehrmonatige Aufenthalte führten mich, teils mehrmals, nach Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Russland, Kroatien, Montenegro, Serbien und Estland. Diese Erfahrungen waren für meine Forschung äußerst prägend. Und auch wenn die akademische Wanderschaft in der Postdoc-Phase nicht immer einfach ist, bietet das Erwin-Schrödinger-Stipendium mit seinen Freiheiten in der Wahl der Gastinstitution für mich die großartige Gelegenheit, einen tiefer gehenden Einblick in die akademische Kultur der USA zu gewinnen. Ausgehend von meiner institutionellen Heimat – dem Arbeitsbereich für Südosteuropäische Geschichte der Universität Graz, an den ich im Anschluss an die Auslandsphase in Los Angeles auch zurückkehren werde – und über die Erfahrungen am CNES kann ich eine erweiterte Perspektive auf die Geschichte des (süd-)östlichen Europa entwickeln und für zukünftige Kooperationen auf ein breites Netzwerk von Kolleg:innen zwischen Kalifornien und dem Kaukasus zurückgreifen.

Autonomie, Auflagen, Aufstände

Das Erwin-Schrödinger-Stipendium erlaubte mir eine gänzlich autonome Arbeitsplanung, was insbesondere aufgrund der anfänglich noch strengen Covid-Auflagen an der UCLA von Bedeutung war. Das akademische Jahr 2021/22 war dank Distance-Learninginsgesamtvon einem ruhigen Campus geprägt. Die Bibliotheken mit ihren Sondersammlungen waren jedoch durchgehend geöffnet und die Ruhe war für das Verfassen meiner Habilitationsschrift kein Nachteil. Los Angeles ist außerdem die Heimat des Getty Research Institute, einer Forschungseinrichtung mit äußerst umfangreichen visuellen Sammlungsbeständen, wo ich meine bereits erfolgten Archivarbeiten in der Kaukasusregion (und darüber hinaus) wunderbar ergänzen konnte. Spätestens mit Herbst 2022 ist aber wieder Normalität im Campusleben eingekehrt, was zum einen zufällige Begegnungen ermöglichte und zum anderen einen Einblick in wochenlange Proteste gegen die auch hier augenscheinlichen Missstände in der akademischen Welt erlaubte.

Abgase, Ausflüge, Anfeuerungen

An manche Dinge in Los Angeles muss man sich erst gewöhnen, etwa an Erdbebensicherungen in Bücherregalen oder die schier unfassbare Autolastigkeit der Stadt. Für ein authentisches LA-Erlebnis kommt man daher nicht um die Absolvierung einer theoretischen und praktischen Führerscheinprüfung herum (das österreichische Äquivalent berechtigt nach nur 10 Tagen nicht mehr zum Lenken eines Kfz). Man möchte außerdem auch mitreden können, wenn über den Stau auf der 405er ins Valley oder dieses und jenes Autobahnkreuz gefachsimpelt wird.

Gleichzeitig ist die Fahrradkultur kein Eckpfeiler des Campuslebens (siehe Foto) und die Reaktion der Kolleg:innen auf meine tägliche fünfminütige Anfahrt auf zwei Rädern schwankt zwischen Ungläubigkeit und sorgenvollen Gesichtern. Die kalifornische Dreifaltigkeit (Meer-Berge-Wüste) macht dafür jeden Wochenendausflug zu einem Highlight und der milde Winter wird mir fehlen. Auch die Identifikation der (ehemaligen) Studierenden und ihrer Angehörigen mit der Universität, insbesondere im Stadtteil Westwood, ist für mich ungewöhnlich und faszinierend. Letztlich kann man sich dem auch nicht ganz entziehen, zumindest wenn man wie ich durchaus sportaffin ist. In diesem Sinne: Go Bruins!

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