Julian Leonard ist START-Preisträger 2021. Der Physiker will Quantencomputer durch die Kommunikation mit Licht revolutionieren. © Screenshot

Ihr Projekt handelt von der Entwicklung von Quantencomputern für bestimmte Problemklassen. Was ist die Idee dahinter?

Julian Leonard: Die Forschung steht derzeit ganz knapp vor einem Punkt, an dem sich mit Quantensystemen Fragen beantworten lassen, die man mit einem normalen Computer nicht lösen könnte. Bis jetzt sind diese Quantensysteme meistens noch so klein, dass man eigentlich von vornherein exakt ausrechnen könnte, was herauskommen wird. Inzwischen können wir Quantensysteme aber immer besser kontrollieren, so dass wir in den kommenden Jahren mit Quantencomputern hoffentlich sinnvolle Probleme lösen können. Eine Klasse von Problemen, die dafür infrage kommt, sind Optimierungsprobleme, etwa die Verteilung von Elektronen in neuen Molekülen. Das ist schon bei Molekülen aus wenigen Atomen sehr komplex. Da hofft man, mit Quantencomputern demnächst Antworten zu finden, was immense gesellschaftliche Auswirkungen hätte. Man ist hier sehr nah dran an industriellen Anwendungen. Es ist ein unheimlich spannender Moment für die Quantenwissenschaft.

Vor Kurzem gab es ja Berichte von ersten industriell einsetzbaren Quantencomputern.

Leonard: Es gibt erste Quantencomputer, die in Bereiche vorstoßen, wo konventionelle Computer versagen. Bis jetzt gelingt das aber nur bei „künstlichen“ Problemen ohne nennenswerte Anwendungen. Wir versuchen das Umgekehrte: Wir wollen für anwendungsnahe Probleme wie Optimierungsprobleme einen Quantencomputer schaffen, der sie lösen kann.

Wo setzt Ihre Arbeit an?

Leonard: Die Idee ist, einen Quantencomputer so zu bauen, dass er maßgeschneidert ist, um Optimierungsprobleme zu lösen, also insbesondere die Berechnung der elektronischen Eigenschaften von Molekülen oder kombinatorische Probleme. Dazu müssen wir es schaffen, Verbindungen zwischen verschiedenen Teilen der Plattform herzustellen. Eine solche Plattform eines Quantencomputers ist aus einzelnen Bausteinen aufgebaut, Quantenbits. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die „Qubits“ miteinander zu verbinden. Die meisten bisherigen Quantencomputer können nur benachbarte Qubits miteinander verbinden. Das macht es so schwierig, Quantencomputer zu bauen, die mehr als nur ein paar Qubits haben, weil es immer schwieriger wird, Informationen an weit voneinander entfernte Qubits zu senden.

„Die Idee in meinem Projekt ist, die Kommunikation mit Licht zu machen.“ Julian Leonard

Wie lösen Sie das Problem?

Leonard: Die Idee in meinem Projekt ist, die Kommunikation mit Licht zu machen. Licht ist elegant, weil es einfach größere Strecken überwindet und ich es wandern lassen kann, wohin ich will. Ich kann also Verbindungen über die ganze Plattform hinweg schaffen.

Warum ist das so ein Vorteil?

Leonard: Man kann sich das als Gruppenarbeit in einer Schulklasse vorstellen. Wenn die Kinder nur flüsternd mit den Nachbarn kommunizieren dürfen, wird die Kommunikation von einem Ende der Klasse ans andere ungenau, weil man im Prinzip „stille Post“ spielt. Wenn man allerdings allen Kindern Handys gibt, ist die Vernetzung viel höher und die Kommunikation viel effizienter.

Welche Vorarbeiten waren für das Projekt nötig?

Leonard: In Zürich habe ich meine Doktorarbeit gemacht, und da habe ich viel mit Atom-Licht-Wechselwirkung gearbeitet. Es ging um die Frage, wie man Licht nutzen kann, um Verbindungen zwischen Atomen herzustellen, die weit voneinander entfernt sind. Aber wir hatten nicht das Maß an Kontrolle über die einzelnen Atome, das man für Quantencomputer braucht. Derzeit bin ich Postdoc in Harvard, und hier mache ich das Komplementäre davon. Ich beschäftige mich mit lokaler Wechselwirkung benachbarter Quantenbits, die sich aber extrem gut kontrollieren lassen. Wenn man diese beiden Dinge zusammenbringt, lässt sich das Licht benutzen, um sehr gut kontrolliert einzelne Atome über größere Strecken miteinander wechselwirken zu lassen.

Wie wird der erste Schritt aussehen?

„Manche sprechen derzeit von einer Quantenrevolution – ein wenig fühlt es sich so an.“ Julian Leonard

Leonard: Zuerst geht es darum, diese Plattform zu bauen. Dazu sind einige Vorarbeiten nötig. Diese Experimente passieren im Ultrahochvakuum, und wir müssen die Lasersysteme zur Manipulation der Atome bauen. Das Projekt ist auf sechs Jahre ausgelegt, wir sind sehr optimistisch, dass wir in ein paar Jahren Optimierungsprobleme damit lösen können.

Wie viele Quantenbits müsste die Plattform haben, damit sie leistungsfähiger ist als konventionelle Computer?

Leonard: Bei einigen Problemen liegt die Grenze bei etwa 50 Qubits, bei anderen etwas höher. Es wäre fantastisch, wenn es uns gelingt, diesen großen Schritt im Rahmen des START-Projekts zu machen.

Apropos START-Projekt: Welche Bedeutung hat der Gewinn des START-Preises insgesamt für Ihre Forschung?

Leonard: Es ist fantastisch, die Mittel und die Infrastruktur zu haben, um dieses Projekt anzugehen. Ich werde an der TU Wien eine Forschungsgruppe aufbauen können. An dieser Art von Quantenexperimenten arbeiten üblicherweise vier bis fünf Leute, diese Teamarbeit in kleinen Gruppen ist auch vom Menschlichen her superspannend. Manche sprechen derzeit von einer Quantenrevolution – ein wenig fühlt es sich so an. Vor 100 Jahren, als man Gesetze gefunden hat, war das etwas völlig Neues, jetzt ist man an dem Punkt, dass man Dinge tun kann, die tatsächlich nützlich sind.


Julian Leonard ist Physiker und forscht derzeit an der Harvard-Universität in Boston. Sein Interesse gilt der Quantenphysik, insbesondere stark korrelierten Quantensystemen, und Quanteninformation.


Zum Projekt

Ziel des auf sechs Jahre angelegten START-Projekts, das den Namen „OptimAL“ trägt, ist die Entwicklung eines Quantencomputers auf Basis neutraler Atome als Quantenbits, die mit Licht wechselwirken. Darin liegt die Besonderheit des Zugangs, denn bisher war die Kommunikation von Quantenbits aus neutralen Atomen nur in der näheren Umgebung verlässlich möglich. Mit Licht sollen auch entfernte Quantenbits miteinander kommunizieren können. Die so geplante „Plattform“ soll speziell Optimierungsprobleme behandeln können, die besonders schwierig zu lösen sind und bei denen Quantencomputer schon seit Längerem als große Hoffnungsträger gelten.


Der START-Preis

Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Das Förderungsprogramm ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.