Ein molekularer Jungbrunnen fĂŒrs Gehirn
Wenn wir in die Jahre kommen, bleibt auch das Gehirn nicht verschont: Neues zu lernen, fĂ€llt schwerer und das GedĂ€chtnis hat gelegentlich Aussetzer. Nicht immer bleibt es bei harmlosen Symptomen. Altern ist ein Risikofaktor fĂŒr neurodegenerative Krankheiten wie etwa Parkinson und Alzheimer, bei denen die Nervenzellen besonders schnell und in groĂer Zahl absterben. Wichtige Gehirnfunktionen gehen dabei unwiederbringlich verloren. Denn einmal abgestorbene Neuronen kann der Körper â im Unterschied etwa zu Hautzellen â nicht ersetzen.
Weltweit sind Forschende daher auf der Suche nach Interventionen, die die Gehirnalterung verlangsamen oder ihre Folgen abmildern. Doch der Weg dahin ist weit, weiĂ Frank Edenhofer, Leiter der Forschungsgruppe Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative Medizin an der UniversitĂ€t Innsbruck: âDie molekularen Prozesse, die bei neuronaler Alterung eine Rolle spielen, liegen noch weitgehend im Dunkeln. Erst wenn wir diese besser verstehen, sind möglicherweise Therapien denkbar, die Alzheimer und Co. ursĂ€chlich entgegenwirken.â
Alterungsprozesse im âMini-Gehirnâ
Auf dem Weg dahin ist dem Stammzellforscher und seinem Team ein wichtiger Erfolg geglĂŒckt: Der Gruppe gelang es, typische Alterungsprozesse in sogenannten Gehirn-Organoiden nachzuweisen. Das sind 3D-Miniaturgehirne, die dem Aufbau des menschlichen Denkorgans nĂ€herkommen als MĂ€usegehirne und 2D-Zellkulturen. Zum ersten Mal steht damit ein humanes Gewebemodell zur VerfĂŒgung, das es ermöglicht, dem Gehirn beim Altern zuzusehen. âWir sehen typische degenerative VorgĂ€nge: oxidative und andere altersbedingte SchĂ€den an der DNA sowie verringerte mitochondriale AktivitĂ€tâ, berichtet Edenhofer.
Bemerkenswert sei auch die âepigenetische Erosionâ, so der Stammzellbiologe: âEpigenetische Marker geben Zellen ihre IdentitĂ€t. Wir haben gesehen, dass diese Markierungen graduell verloren gehen. Dadurch âvergessenâ die betroffenen Neuronen, was sie sind, und hören auf zu funktionieren.â Diese Beobachtung unterstreicht, wie wichtig epigenetische VerĂ€nderungen im Zusammenhang mit dem Altern sind.
VerjĂŒngungskur fĂŒr Nervenzellen
LÀsst sich die Gehirnalterung hinauszögern oder gar umkehren? Einer Forschergruppe um den Stammzellforscher Frank Edenhofer an der UniversitÀt Innsbruck ist es gelungen, in Mini-Gehirnen aus menschlichem Gewebe Alterungsprozesse zu beobachten. Als nÀchstes wollen die Wissenschaftler:innen alte Neuronen in junge umprogrammieren.
Kreativer Forschungsansatz belohnt
Das Forscherteam hat die vielversprechenden Ergebnisse vor Kurzem zur Publikation eingereicht â ein erster Lohn fĂŒr zahlreiche Herausforderungen: âDie Organoide zum Altern zu bringen, war schwierig. Da sie aus Stammzellen erzeugt werden, befinden sie sich in einem âjungenâ Entwicklungsprogrammâ, erklĂ€rt Frank Edenhofer. âDaher mussten wir die Zellen zur Expression eines Proteins namens Progerin zwingen, welches das Altern induziert. DafĂŒr hat es viele AnlĂ€ufe gebraucht.â Im Menschen löst Progerin das Hutchinson-Gilford-Syndrom aus, das zu extrem frĂŒhzeitiger Alterung fĂŒhrt.
Die MĂŒhen haben sich ausgezahlt: Einmal etabliert, ist das Organoid-Modell nun Ausgangspunkt fĂŒr Folgestudien, die das VerstĂ€ndnis vom neuronalen Altern verbessern werden. So hofft das Team, neue Gene zu identifizieren, die dabei eine Rolle spielen. Hinweise darauf waren bereits im Profil der GenaktivitĂ€ten der Organoide zu sehen: âWir sehen einige unerwartete Gene, die noch nicht im Kontext von Gehirnalterung beschrieben wurdenâ, sagt Edenhofer.
Ziel: eine Frischzellenkur fĂŒrs Gehirn
Auch ein brisantes Thema der Langlebigkeitsforschung nimmt Edenhofer ins Visier: âWenn wir die Zellen kĂŒnstlich altern lassen können, können wir sie auch verjĂŒngen?â Damit spricht der Biologe von der Idee, das Entwicklungsprogramm der Zellen zurĂŒckzustellen: Alte, ausdifferenzierte Neuronen wĂŒrden so in Gehirnstammzellen umprogrammiert â das gĂ€be dem Hirngewebe die FĂ€higkeit, sich zu erneuern. Diesem groĂen Ziel nĂ€hert sich das Forschungsteam jetzt in ersten Schritten, wie Edenhofer berichtet: âDafĂŒr nutzen wir einen Gen-Cocktail, von dem wir wissen, dass er Zellen in MĂ€usen umprogrammieren kann. Wir haben erste Hinweise, dass dieser âVerjĂŒngungscocktailâ die epigenetische Erosion der Neuronen rĂŒckgĂ€ngig macht.â
Bis es eine VerjĂŒngungskur fĂŒr das Gehirn als Medikament gibt, wird noch viel Zeit vergehen, glaubt Edenhofer. Die Vorstellung, Altern als Krankheit zu betrachten, sieht er kritisch: âEs gibt einen groĂen Unterschied zwischen normalen und krankhaften Alterserscheinungen.â Ein Ziel der Wissenschaftler:innen ist, Letztere zu heilen, aber auch durch gezielte prĂ€ventive MaĂnahmen das normale Altern zu verzögern. âVielleicht ist es eines Tages möglich, gezielt die PrĂ€vention mit Medikamenten zu unterstĂŒtzen. Unsere Forschung hilft uns zu verstehen, wie unser tĂ€gliches Verhalten â zum Beispiel ErnĂ€hrung und Bewegung â die Epigenetik und die mitochondriale Fitness beeinflusst.â Vorerst bleibt der beste âJungbrunnenâ also ein aktiver Lebensstil â damit unser Gehirn möglichst gesund altert.
Zur Person
Frank Edenhofer ist Professor fĂŒr Genomik und stellvertretender Vorstand des Instituts fĂŒr Molekularbiologie an der UniversitĂ€t Innsbruck. Seine Arbeitsgruppe untersucht die molekularen Grundlagen von Krankheiten, mit Schwerpunkt auf Stammzellforschung und zellulĂ€rer Reprogrammierung, um neue regenerative Therapien zu ermöglichen. 2012 gelang seiner Gruppe an der UniversitĂ€t Bonn erstmals die Herstellung neuraler Stammzellen aus Hautzellen.
Das Projekt Ein Jungbrunnen fĂŒrs Gehirn wird 2025 abgeschlossen und vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des 1000-Ideen-Programms fĂŒr innovative Projekte mit hohem transformativem Potenzial gefördert. Edenhofer ist auch Mitglied im Leitungskonsortium des FWF-Spezialforschungsbereichs âStammzellmodulation in neuronaler Entwicklung und Regenerationâ (2020â2028).
Publikationen (Auswahl)
Spathopoulou A., Podlesnic M., De Gaetano L. et al.: Single-cell Profiling of Reprogrammed Human Neural Stem Cells Unveils High Similarity to Neural Progenitors in the Developing Central Nervous System, in: Stem Cell Reviews and Reports 2024
Beirute-Herrera J., LĂłpez-Amo Calvo B., Edenhofer F., Esk Ch.: The promise of genetic screens in human in vitro brain models, in: Biological Chemistry 2024