Zerebrale Organoid (Mini-Hirn): zwei Millimeter kleines Exemplar unter dem Fluoreszenzmikroskop
Der Querschnitt eines 90 Tage alten Mini-Gehirns aus Stammzellen zeigt erstmals, dass Organoide altern können. Diese Erkenntnis ist bahnbrechend fĂŒr das VerstĂ€ndnis des Alterungsprozesses des menschlichen Gehirns und fĂŒr Lösungen, diesem Prozess entgegenzuwirken. © Gabassi/Edenhofer

Wenn wir in die Jahre kommen, bleibt auch das Gehirn nicht verschont: Neues zu lernen, fĂ€llt schwerer und das GedĂ€chtnis hat gelegentlich Aussetzer. Nicht immer bleibt es bei harmlosen Symptomen. Altern ist ein Risikofaktor fĂŒr neurodegenerative Krankheiten wie etwa Parkinson und Alzheimer, bei denen die Nervenzellen besonders schnell und in großer Zahl absterben. Wichtige Gehirnfunktionen gehen dabei unwiederbringlich verloren. Denn einmal abgestorbene Neuronen kann der Körper – im Unterschied etwa zu Hautzellen – nicht ersetzen.

Weltweit sind Forschende daher auf der Suche nach Interventionen, die die Gehirnalterung verlangsamen oder ihre Folgen abmildern. Doch der Weg dahin ist weit, weiß Frank Edenhofer, Leiter der Forschungsgruppe Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative Medizin an der UniversitĂ€t Innsbruck: „Die molekularen Prozesse, die bei neuronaler Alterung eine Rolle spielen, liegen noch weitgehend im Dunkeln. Erst wenn wir diese besser verstehen, sind möglicherweise Therapien denkbar, die Alzheimer und Co. ursĂ€chlich entgegenwirken.“

Alterungsprozesse im „Mini-Gehirn“

Auf dem Weg dahin ist dem Stammzellforscher und seinem Team ein wichtiger Erfolg geglĂŒckt: Der Gruppe gelang es, typische Alterungsprozesse in sogenannten Gehirn-Organoiden nachzuweisen. Das sind 3D-Miniaturgehirne, die dem Aufbau des menschlichen Denkorgans nĂ€herkommen als MĂ€usegehirne und 2D-Zellkulturen. Zum ersten Mal steht damit ein humanes Gewebemodell zur VerfĂŒgung, das es ermöglicht, dem Gehirn beim Altern zuzusehen. „Wir sehen typische degenerative VorgĂ€nge: oxidative und andere altersbedingte SchĂ€den an der DNA sowie verringerte mitochondriale AktivitĂ€t“, berichtet Edenhofer.

Bemerkenswert sei auch die „epigenetische Erosion“, so der Stammzellbiologe: „Epigenetische Marker geben Zellen ihre IdentitĂ€t. Wir haben gesehen, dass diese Markierungen graduell verloren gehen. Dadurch ‚vergessen‘ die betroffenen Neuronen, was sie sind, und hören auf zu funktionieren.“ Diese Beobachtung unterstreicht, wie wichtig epigenetische VerĂ€nderungen im Zusammenhang mit dem Altern sind.

VerjĂŒngungskur fĂŒr Nervenzellen

LÀsst sich die Gehirnalterung hinauszögern oder gar umkehren? Einer Forschergruppe um den Stammzellforscher Frank Edenhofer an der UniversitÀt Innsbruck ist es gelungen, in Mini-Gehirnen aus menschlichem Gewebe Alterungsprozesse zu beobachten. Als nÀchstes wollen die Wissenschaftler:innen alte Neuronen in junge umprogrammieren.

Kreativer Forschungsansatz belohnt

Das Forscherteam hat die vielversprechenden Ergebnisse vor Kurzem zur Publikation eingereicht – ein erster Lohn fĂŒr zahlreiche Herausforderungen: „Die Organoide zum Altern zu bringen, war schwierig. Da sie aus Stammzellen erzeugt werden, befinden sie sich in einem ‚jungen‘ Entwicklungsprogramm“, erklĂ€rt Frank Edenhofer. „Daher mussten wir die Zellen zur Expression eines Proteins namens Progerin zwingen, welches das Altern induziert. DafĂŒr hat es viele AnlĂ€ufe gebraucht.“ Im Menschen löst Progerin das Hutchinson-Gilford-Syndrom aus, das zu extrem frĂŒhzeitiger Alterung fĂŒhrt.

Die MĂŒhen haben sich ausgezahlt: Einmal etabliert, ist das Organoid-Modell nun Ausgangspunkt fĂŒr Folgestudien, die das VerstĂ€ndnis vom neuronalen Altern verbessern werden. So hofft das Team, neue Gene zu identifizieren, die dabei eine Rolle spielen. Hinweise darauf waren bereits im Profil der GenaktivitĂ€ten der Organoide zu sehen: „Wir sehen einige unerwartete Gene, die noch nicht im Kontext von Gehirnalterung beschrieben wurden“, sagt Edenhofer.

Mini-Hirne: zwei Millimeter kleines Exemplar unter dem Fluoreszenzmikroskop
Zerebrale Organoide sind gehirnĂ€hnliche Gewebekulturen. FĂŒr Forschende sind die Mini-Hirne - hier ein zwei Millimeter kleines Exemplar unter dem Fluoreszenzmikroskop – ein bahnbrechendes Modellsystem der Neurobiologie: Zellkerne (blau), unreife Nervenzellen (kreisförmig in Magenta). Die gealterten Zellen weisen VerĂ€nderungen ihrer ZellkernhĂŒllen (cyan) auf. © Gabassi/Edenhofer

Ziel: eine Frischzellenkur fĂŒrs Gehirn

Auch ein brisantes Thema der Langlebigkeitsforschung nimmt Edenhofer ins Visier: „Wenn wir die Zellen kĂŒnstlich altern lassen können, können wir sie auch verjĂŒngen?“ Damit spricht der Biologe von der Idee, das Entwicklungsprogramm der Zellen zurĂŒckzustellen: Alte, ausdifferenzierte Neuronen wĂŒrden so in Gehirnstammzellen umprogrammiert – das gĂ€be dem Hirngewebe die FĂ€higkeit, sich zu erneuern. Diesem großen Ziel nĂ€hert sich das Forschungsteam jetzt in ersten Schritten, wie Edenhofer berichtet: „DafĂŒr nutzen wir einen Gen-Cocktail, von dem wir wissen, dass er Zellen in MĂ€usen umprogrammieren kann. Wir haben erste Hinweise, dass dieser ‚VerjĂŒngungscocktail‘ die epigenetische Erosion der Neuronen rĂŒckgĂ€ngig macht.“

Bis es eine VerjĂŒngungskur fĂŒr das Gehirn als Medikament gibt, wird noch viel Zeit vergehen, glaubt Edenhofer. Die Vorstellung, Altern als Krankheit zu betrachten, sieht er kritisch: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen normalen und krankhaften Alterserscheinungen.“ Ein Ziel der Wissenschaftler:innen ist, Letztere zu heilen, aber auch durch gezielte prĂ€ventive Maßnahmen das normale Altern zu verzögern. „Vielleicht ist es eines Tages möglich, gezielt die PrĂ€vention mit Medikamenten zu unterstĂŒtzen. Unsere Forschung hilft uns zu verstehen, wie unser tĂ€gliches Verhalten – zum Beispiel ErnĂ€hrung und Bewegung – die Epigenetik und die mitochondriale Fitness beeinflusst.“ Vorerst bleibt der beste „Jungbrunnen“ also ein aktiver Lebensstil – damit unser Gehirn möglichst gesund altert.

Zur Person

Frank Edenhofer ist Professor fĂŒr Genomik und stellvertretender Vorstand des Instituts fĂŒr Molekularbiologie an der UniversitĂ€t Innsbruck. Seine Arbeitsgruppe untersucht die molekularen Grundlagen von Krankheiten, mit Schwerpunkt auf Stammzellforschung und zellulĂ€rer Reprogrammierung, um neue regenerative Therapien zu ermöglichen. 2012 gelang seiner Gruppe an der UniversitĂ€t Bonn erstmals die Herstellung neuraler Stammzellen aus Hautzellen.

Das Projekt Ein Jungbrunnen fĂŒrs Gehirn wird 2025 abgeschlossen und vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des 1000-Ideen-Programms fĂŒr innovative Projekte mit hohem transformativem Potenzial gefördert. Edenhofer ist auch Mitglied im Leitungskonsortium des FWF-Spezialforschungsbereichs „Stammzellmodulation in neuronaler Entwicklung und Regeneration“ (2020–2028). 

Publikationen (Auswahl)

Spathopoulou A., Podlesnic M., De Gaetano L. et al.: Single-cell Profiling of Reprogrammed Human Neural Stem Cells Unveils High Similarity to Neural Progenitors in the Developing Central Nervous System, in: Stem Cell Reviews and Reports 2024

Beirute-Herrera J., LĂłpez-Amo Calvo B., Edenhofer F., Esk Ch.: The promise of genetic screens in human in vitro brain models, in: Biological Chemistry 2024