Die Archäologin Barbara Horejs widmet ihre Forschung der Sesshaftwerdung und der Urbanisierung – jenen zwei wichtigen Schritten der Menschheitsgeschichte, auf denen unsere heutige Zivilisation basiert. © Ch. Schwall

2015 ließ Barbara Horejs die Forschungswelt aufhorchen: Sie hatte herausgefunden, dass die Sesshaftwerdung wesentlich älter ist, als man bis dahin vermutet hatte. Der Schritt von nomadisierenden Jägern und Sammlern zu ackerbautreibenden Gemeinschaften in dauerhaften Dörfern prägt die Entwicklung der Menschheit bis heute. Sesshaftwerdung und Urbanisierung – auf diesen beiden Schritten der Menschheitsgeschichte basiert die heutige Zivilisation. Und diesen beiden Themen widmet die Wiener Archäologin ihre Forschung.

Vom Nomadentum zum Ackerbau

Im Rahmen ihres sechsjährigen vom FWF geförderten START-Projektes, das Barbara Horejs Ende 2016 abgeschlossen hat, fand sie heraus, dass sich bereits vor 8.700 Jahren in der Westtürkei Migrantinnen und Migranten aus dem Nahen Osten angesiedelt hatten, die den Ackerbau in ihrer neuen Heimat etablierten. Von dort breitete sich die neue Lebensweise über den Balkan nach Europa aus. Das heißt: Die Menschheit wurde nicht nur schon wesentlich früher sesshaft, sondern diese Entwicklung kam auch durch Migration aus dem Orient nach Europa –, zu einer Zeit als es in der Ägäis noch Jäger- und Sammlerkulturen gab. „Migration bringt Zivilisation“, bringt Barbara Horejs den Erkenntnisgewinn auf den Punkt.

„Migration bringt Zivilisation.“ Barbara Horejs

Hitzige Debatten

Diese neue Erkenntnis führte in der Archäologie zu hitzigen Debatten, ist man doch bis dahin davon ausgegangen, dass die Entwicklung vom Jagen und Sammeln zum Ackerbauer lokal stattgefunden hat. Horejs konnte das Gegenteil beweisen: Pioniere aus der Levante und dem Nahen Osten haben das Know-how für diese neue Lebensform mitgebracht und etabliert. Eine neue Frage, an der Horejs nun weiter arbeiten wird, ist: Wie kam die neue Lebensform auf den europäischen Kontinent? Hier scheint der Balkan Dreh- und Angelpunkt gewesen zu sein.

Barbara Horejs mit türkischen Arbeitern beim Ausgraben der neolithischen Schichten vom Çukuriç Höyük, Westanatolien, Türkei. © M. Börner

Geschichte neu schreiben

Die Direktorin des 2013 gegründeten Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konnte mit ihrer Arbeit zeigen, dass die Wurzeln der beiden entscheidenden Schritte der Menschheit – die Sesshaftwerdung und Urbanisierung – im Orient liegen. Dazu hat sie mit ihrer Forschungsgruppe in den vergangenen Jahren 52 Papers und zwei Bücher publiziert, drei weitere Bücher sind in Druckvorbereitung. „Die Geschichte für diesen Raum muss umgeschrieben werden“, so das Resümee der Archäologin.

START-Preis als Initialzündung

Ermöglicht hat ihr diese bahnbrechende Arbeit der vom FWF verliehene START-Preis, den Horejs 2010 erhalten hat. Das START-Programm ermöglicht exzellenten Nachwuchsforscherinnen und -forschern, auf längere Sicht ihre Forschungsarbeiten finanziell abgesichert durchzuführen. Im selben Jahr bekam die Archäologin auch einen vom Europäischen Forschungsrat geförderten ERC Starting Grant. „Damit konnten wir eine hochspezialisierte Forschungsgruppe aufbauen zu Themen, die vorher noch nie in Österreich behandelt worden sind“, freut sich Horejs. Diese Forschungsgruppe umfasst zwölf verschiedene Wissenschaftsdisziplinen. – Eine logistische Herausforderung für die Projektleiterin, hat sie doch den Anspruch, die Daten auch gemeinsam auszuwerten.

„Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass unsere Zivilisation unendlich ist.“ Barbara Horejs

Migration aus der Levante …

Seit zehn Jahren führt Horejs inzwischen systematische Untersuchungen in Westanatolien durch –  auf dem Çukuriçi Höyük „Hügel der Senke“ – und stieß dabei auf neue Daten und neue Erkenntnisse. Die mit 8.700 Jahren älteste jungsteinzeitliche Ansiedlung im ägäischen Raum entdeckte sie eher zufällig bei einer Grabung in der Umgebung von Ephesos. Hier stieß sie auf jene harten Fakten, die ihre These untermauerten: fest gebaute Häuser, Feuerstellen und Tierknochen, die auf domestizierte Schweine hinwiesen. „Das Hausschwein gab es zu dieser Zeit nicht im Inneren Anatoliens, aber in der Levante und in Obermesopotamien“, erklärt Horejs die Bedeutung dieses Fundes. Auch die materielle Kultur und Techniken dieser ersten Siedlung weisen darauf hin, dass jene Pioniere, die domestiziertes Getreide mitbrachten, aus dem Orient kamen.

Barbara Horejs beim Sieben von Siedlungsmaterial der Fundstelle Kakovatos, Peloponnes, Griechenland. © M. Börner

… über das Meer

Wie Paleogeografen herausgefunden haben, war „Çukuriçi Höyük“ zu dieser Zeit ein Küstenort mit direktem Zugang zur Ägäis, das antike Ephesos lag noch unter dem Meeresspiegel. Auch deshalb geht man davon aus, dass die Migrantinnen und Migranten mit Booten über das Meer kamen. Die Gründe für diese Wanderbewegung möchte Horejs in den nächsten Jahren erforschen. Sie vermutet klimatische Veränderungen oder einen Populationsdruck durch höhere Lebenserwartung und geringere Kindersterblichkeit bei den sesshaften Bauern.

Stellenwert der Forschungsförderung

Barbara Horejs ist dem FWF „unendlich dankbar“ für den START-Preis: „Ich wäre heute nicht Direktorin dieses riesigen Institutes, und ich hätte nicht die Möglichkeit gehabt, diese Forschungsgruppe aufzubauen und die Projekte, die sich angeschlossen haben, zu realisieren“, betont sie. Gerade für die Geistes- und Sozialwissenschaften schätzt sie diese FWF-Förderung als besonders wichtig ein. „Hätte ich 2010 nicht den START-Preis bekommen, wäre ich ins Ausland gegangen“, sagt Horejs.

Von Athen, über Berlin …

Erst 2005 war die gebürtige Wienerin in ihre Heimatstadt zurückgekehrt­ ­– nach sieben Jahren Studium in Athen und der Freien Universität Berlin. Das Studium der Ur- und Frühgeschichte in Wien war ihr zu stark auf Europa konzentriert. Sie interessierte sich damals schon mehr für den Raum Griechenland, Anatolien und den Orient, weshalb sie schon zu Beginn des Studiums nach einem Erasmus-Aufenthalt in Griechenland an die Freie Universität Berlin wechselte. „Der Deutsche Akademische Austauschdienst hatte tolle Programme und damit kamen viele junge Leute nach Berlin“, erinnert sich Horejs an das offene, internationale Klima.

… zurück nach Wien

Der Anstoß, schließlich doch wieder an ihren Geburtsort zurückzukehren, kam von ihrem Doktorvater. Er meinte, Wien wäre als Tor zum Balkan ein idealer Ort, um ihren eigenen Forschungszweig aufzubauen. Und er animierte sie dazu, ein Einzelprojekt beim Wissenschaftsfonds FWF zu beantragen. So konnte sie mithilfe des FWF ihre Ausgrabungen in Westanatolien beginnen. „Das war ein Pilotprojekt, denn damals hatte man in Ephesos nur die Antike untersucht und wusste nichts über die Zeit davor“, erinnert sie sich. Dann folgte das zweite Einzelprojekt, das START-Projekt und die Forschungsarbeit bekam eine eigene Dynamik.

Metallurgisches Ensemble der Frühbronzezeit 1 vom Çukuriçi Höyük. © N. Gail

Förderschiene für Junge fehlt

Horejs bedauert, dass es junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter heute schwerer haben. „Unter den heutigen Bedingungen hätte ich kein Einzelprojekt beantragen können. Mir hätte damals der Track Record (eine Art persönliche Referenzliste, Anm.) gefehlt“, sagt die heute 40-Jährige. Die strengen Kriterien für Einzelprojekte des FWF findet sie zwar gut, fürchtet aber, dass damit junge Postdocs weniger Chancen haben. „Das führt dazu, dass wir Alten für die Jungen beantragen, und damit sind wir in einem System der 1950er Jahre, das wir eigentlich abschaffen wollten. Es fehlt eine Schiene, wo die Jungen ihren Namen über ihre Ideen schreiben können“, wünscht sich Horejs.

Interesse an Archäologie ungebrochen

Die prekäre Situation, in der junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter oft sind, kennt sie aus eigener Erfahrung. „Ich hatte bis zu meiner Anstellung an der Akademie der Wissenschaften 2013 keinen einzigen echten Dienstvertrag“, erinnert sie sich. Dennoch: An der Zahl der

„Die Diskussion um Orchideenfächer ist kurzsichtig.“ Barbara Horejs

Studierenden der Ur- und Frühgeschichte sieht man, dass das Interesse für Archäologie ungebrochen ist. Horejs rät jungen Leuten auch, ihre Studienwahl nicht von kurzfristigen Arbeitsmarktprognosen abhängig zu machen, sondern ihrer Leidenschaft und ihrem Interesse zu folgen. „Wenn man gut ist, setzt man sich auch durch“, ist sie sich sicher. Außerdem rät sie Studierenden, sich eine Mentorin oder einen Mentor zu suchen. „Man muss sich sehr früh jemand Hochkarätigen suchen, der international vernetzt ist und sich bei dem anhängen“, sagt sie.

Spätchalkolithische (links) und frühbronzezeitliche (rechts) Marmorfigurinen vom Çukuriçi Höyük. © N. Gail

Frauen Mut machen

Eine weitere wichtige Aufgabe, die Horejs auch in ihrer eigenen Funktion als Mentorin sieht, ist die Themenauswahl. Gerade bei Frauen beobachtet sie häufig die Tendenz zu Bescheidenheit. „Die männlichen Alphatiere wählen gerne die großen Themen, die sich auch gut in den Medien verkaufen lassen, und die Frauen machen gerne die wichtige Arbeit im Hintergrund.“ Hier ortet sie einen Mangel an Selbstbewusstsein bei jungen Studentinnen und sieht ihre Aufgabe als Mentorin auch darin, dieses zu stärken. „Ich sage nicht, dass Frauen im Wissenschaftsbetrieb aktiv behindert werden. Aber das System der besonders lauten, ellbogenaffinen und selbstbewussten alten Männer funktioniert sehr gut“, stellt Barbara Horejs fest. Was braucht es also im Wissenschaftsbetrieb? „Man muss selbstbewusst sein und darf sich nicht von aggressiveren Tönen einschüchtern lassen.“ Diese Aspekte versucht Horejs auch in der Lehre einzubringen: In ihren Seminaren lernen Studentinnen zum Beispiel, sich durchzusetzen, indem sie ihre Ideen verteidigen müssen.

„Wir brauchen die Quote“

Ihre Meinung zu einer Frauenquote in Entscheidungsgremien hat Barbara Horejs im Laufe der Jahre geändert. „Wir brauchen die Quote! Konsequenz, Überzeugung und Leistung reichen alleine nicht“, fordert sie. „Frauen sind einfach noch in der Minderzahl.“ Hier sieht sie auch ihre Geschlechtsgenossinnen in der Pflicht und fordert sie auf, die Stimme zu erheben, wenn wieder einmal in einem Entscheidungsgremium eine einzige Quotenfrau sitze. Darüber hinaus würde Horejs sich auch mehr konkrete Frauenförderungspläne wünschen, wie zum Beispiel finanzielle Anreize, durch die Institute Frauen in Entscheidungspositionen bringen können. Ihre Vision für den Wissenschaftsbetrieb ist, dass ein Geschlechterkampf nicht notwendig ist, weil das Netzwerk über Kompetenzen, wissenschaftliche Fragestellungen und Ziele läuft und das Geschlecht keine Rolle spielt. „Aber dafür braucht es eine Geschlechtergerechtigkeit und die haben wir noch nicht“, so Horejs.

„Auf die Fragen, die uns heute als Gesellschaft beschäftigen, wird die Ökonomie uns keine Antworten geben können.“ Barbara Horejs

Zeit der Transformation

Für die Wissenschafterin selbst stand schon im Alter von 14 Jahren fest, dass sie Archäologin werden möchte. Woher kommt diese Faszination? „In der Vergangenheit liegt der Schlüssel zur Gegenwart“, sagt Horejs, „diese scheinbar banale Erkenntnis wird umso wichtiger, je komplexer die Gegenwart wird.“ Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich in ihrer Arbeit mit einer Zeit der gesellschaftlichen Transformation. Auch in unserer heutigen Zeit ortet sie viele Anzeichen für gesellschaftliche Veränderungen wie etwa soziale Spannungen. Gerade deshalb sei es auch so wichtig, die Geistes- und Sozialwissenschaften zu fördern. „Bei den Themen, die uns heute als Gesellschaft beschäftigen, geht es um die Essenz des Lebens. Die Ökonomie wird uns auf diese Fragen keine Antwort liefern können“, sagt Horejs, die die Diskussion um Orchideenfächer für sehr kurzsichtig hält. „An der Orientalistik konnte man gut sehen, wie schnell ein sogenanntes Orchideenfach an Bedeutung gewinnen kann“, nennt sie schmunzelnd ein Beispiel.

Alles ist endlich

„Gesellschaftsveränderungen gab es in der Menschheitsgeschichte schon viele, wir haben Fakten dazu und analysieren sie. Aber was wir noch klarer kommunizieren müssen: Alles ist endlich! Geschichte ist ein Auf und Ab! Man soll sich nicht der Illusion hingeben, dass unsere eigene Zivilisation unendlich ist“, warnt die Wissenschafterin. Wobei: Horejs sieht Veränderung grundsätzlich positiv, war sie in der Geschichte doch oft ein Schritt in eine neue zivilisatorische Leistung. Was sie mit ihrer Arbeit anhand der Pioniere aus dem Orient auch eindrucksvoll zeigen konnte.

Zur Person

Barbara Horejs ist Direktorin des Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie OREA der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professorin an der Universität Tübingen. Sie studierte Prähistorische Archäologie in Wien, Athen und Berlin. Nach ihrer Promotion an der Freien Universität Berlin 2005 kehrte sie nach Wien zurück und begann mit ihrem ersten vom FWF geförderten Einzelprojekt ihr Forschungsgebiet aufzubauen. 2010 wurde sie mit dem START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF ausgezeichnet und erhielt den vom Europäischen Forschungsrat finanzierten ERC Starting Grant. Sie unterrichtet an den Universitäten Wien und Tübingen.