Die musikalische Landkarte Wiens

Was wĂ€re Wien ohne Musik? â Undenkbar! Musik prĂ€gt das Image Wiens wie keine andere europĂ€ische Stadt. Hier wird und wurde Musikgeschichte geschrieben, vom Walzer bis zum Wiener Lied. Am Beispiel Wiens lĂ€sst sich also gut demonstrieren, wie dieses sinnliche Medium als Gestaltungselement in einem urbanen Kontext fungiert. â Ebendiesem Vorhaben widmet sich ein vor Kurzem gestartetes wissenschaftlich-kĂŒnstlerisches Projekt, das seinen Fokus auf die Verbindungen von Musik, Politik und Gesellschaft legt. âIm Zentrum des Projekts steht die Frage, wie Musik zu stĂ€dtischer Symbolpolitik funktionalisiert wirdâ, erklĂ€rt Susana Zapke im GesprĂ€ch mit scilog. Sie ist Prorektorin an der Musik und Kunst PrivatuniversitĂ€t der Stadt Wien und leitet dort das noch junge Institut fĂŒr Wissenschaft und Forschung. Mit dem vom FWF geförderten kĂŒnstlerisch-wissenschaftlichen Projekt Interactive Music Mapping Vienna sollen komplexe (musik)-geschichtliche ZusammenhĂ€nge mit neuesten Technologien erfahrbar gemacht werden. Um das zu ermöglichen, hat Zapke die Technische UniversitĂ€t Wien mit ins Boot geholt. Am dortigen Institut fĂŒr Software-Technologien und Interaktive Systeme arbeiten Informatikerinnen und Informatiker an Visualisierungsmethoden, um groĂe Datenmengen in Raum und Zeit einzubetten und Geschichte âinteraktivâ erlebbar zu machen.
IdentitÀt und öffentlicher Raum
Auf Basis dieses computergestĂŒtzten Zugangs will das interdisziplinĂ€re Team, das sich aus den Bereichen Geschichte, Musikwissenschaft und Informatik zusammensetzt, das klanglich-akustische Wien von 1945 bis heute rekonstruieren. âIm Sinne einer GefĂŒhlspolitik erforschen wir Strategien und Prozesse dieser musikalischen Stadt-Konstitutionâ, erlĂ€utert Zapke. â GestĂŒtzt auf Archivmaterial von Text- und Bilddokumenten bis zu Film-, TV- und Hörfunkaufzeichnungen arbeitet das Projektteam die gesellschafts- und kulturpolitischen Dimensionen von Festveranstaltungen im öffentlichen Raum auf. Die Analysen reichen von den Feiern des 1. Mai und den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag ĂŒber die in den 1950er-Jahren gegrĂŒndeten Wiener Festwochen bis zu zeitgenössischen Events wie der Regenbogenparade, dem âFest der Freudeâ am Wiener Heldenplatz oder dem Popfest am Karlsplatz. âDas Projekt beginnt 1945, aber wir blicken auch noch weiter in die Vergangenheit zurĂŒck, um zu verstehen, worauf KontinuitĂ€ten und BrĂŒche zurĂŒckzufĂŒhren sindâ, betont Zapke.
Spurensuche in der âguten alten Zeitâ
Die ersten Recherchen haben bereits das eine oder andere FundstĂŒck zutage befördert, wie Projektmitarbeiterin Kathrin Raminger erzĂ€hlt. Unter anderem ist die Historikerin auf eine Rezension der Ăsterreichischen Musikzeitung zum Nationalfeiertag 1968 gestoĂen. In einer Zeit des Aufbruchs sollte die Feier, wenngleich dezente, so doch neue Impulse setzen. Die âFeier fĂŒr die Jugendâ wurde in der Stadthalle aufgefĂŒhrt und vom ORF ĂŒbertragen, das war ein Novum. Das Programm reichte von Jazz bis zu Schlager. Zur SchlussauffĂŒhrung eines StĂŒcks des Komponisten Robert Schollum sollte es jedoch aus zeitlichen Verzögerungen nicht mehr kommen. â Eine glĂŒckliche FĂŒgung? Denn dass Personen wie Robert Schollum, ein ehemaliger AnhĂ€nger des Nationalsozialismus, gerade im Kontext von 1968 eine Rolle spielen, sei erstaunlich, schildert Projektleiterin Zapke. Die zahlreichen emigrierten Wiener Komponisten blieben hingegen vergessen. Stattdessen war die âgute alte Zeitâ ein viel beschworenes Motiv nach dem Krieg: Sissi-Filme, Walzerseligkeit und Schlager sind die neuen alten Klangmotive. Die Markierung des Wir-Begriffs ist laut Zapke nach 1955 eklatant. âMan ist wieder unter sichâ, so die Musikwissenschafterin, wie es der Hit âWien, Wien nur du alleinâ zum Ausdruck bringt.
Der Klang des Praters
Ein spannendes Untersuchungslabor in Zeit und Raum stellt etwa auch der Wiener Prater fĂŒr die Forschergruppe dar. âVermutlich existieren von keinem vergleichbaren Ort in Wien so viele Liederâ, sagt Susana Zapke. Als VergnĂŒgungs- und Erholungsraum bietet er sich zur Untersuchung musikalischer Praktiken und ideologischer Kodierungen bis in die Gegenwart an. Von Robert Stolz âIm Prater blĂŒhân wieder die BĂ€umeâ ĂŒber die sozialdemokratischen Feste des SĂ€ngerbundes in den 1920ern bis zur modernen Interpretation des âPraterliedsâ vom Nino aus Wien. âDas Wiener Lied ist ein Paradebeispiel dafĂŒr, wie lange dieses schon als Gattung fĂŒr sich bestehtâ, erklĂ€rt Zapke. In anderen StĂ€dten finde man nichts Vergleichbares mehr. Der Slang als Erkennungszeichen einer Stadt ist ein Wien-Spezifikum.
Stadtentwicklung: ein Modellprojekt
Stadtentwicklung hat mit Image und Wahrnehmung zu tun. Musik sei ein wesentlicher Teil davon, ist Projektleiterin Zapke ĂŒberzeugt. Daher will das Projekt auch Fragen zur kĂŒnftigen Entwicklung von urbanen RĂ€umen beantworten und Modelle fĂŒr andere Metropolen liefern. Die Nutzung der virtuellen Plattform soll, vergleichbar mit einem Baukasten, verschiedene Zielgruppen ansprechen, die, je nach Thema und Interesse, unterschiedliche Klangbilder und deren ZusammenhĂ€nge in Raum und Zeit abrufen können. âInteractive Music Mapping Viennaâ verspricht ein mehrdimensionales sensorisches Erlebnis beim Durchwandern der klanglichen IdentitĂ€ten Wiens.
Zur Person Susana Zapke hat Musik- und Literaturwissenschaft sowie Klavier und Kontrabass in Deutschland, Ăsterreich und Frankreich studiert. Sie lehrt und forscht an der Musik und Kunst (MUK) PrivatuniversitĂ€t der Stadt Wien, war dort von 2014 bis 2018 Prorektorin und leitete bis 2019 das Institut fĂŒr Wissenschaft und Forschung.
Projekt-Website: http://www.musicmapping.at/ Publikationen