Es braucht einen Systemwandel in der Wissenschaft, ist Gleichstellungsexpertin Edith Gößnitzer überzeugt. © Christine Miess/FWF

FWF: Der FWF plant eine Neuaufstellung seiner Programme im Bereich der Karriereförderung. Diese Umstrukturierung wirft Fragen zu Chancengleichheit und zur Frauenförderung auf. Aus diesem Grund hat der Fonds in den vergangenen Monaten einen intensiven Konsultationsprozess durchgeführt, in dem Sie sich als Expertin für Gleichstellungsfragen beteiligt haben. Wie ist es gelaufen?

Edith Gößnitzer: Ich bin in meiner Funktion als Vorsitzender der ARGE GLUNA (Arbeitsgemeinschaft für Gleichbehandlung und Gleichstellung an Österreichs Universitäten, Anm.) angesprochen worden, mich an diesem Gestaltungsprozess zu beteiligen, der aus mehreren Arbeitsgruppen besteht. Die Sprecherinnen und Sprecher der einzelnen Gruppen haben weitere Personen frei nominiert. Das war ein großartiges Angebot seitens des FWF. Dementsprechend ist auch die Auswahl der Teams aus meiner Sicht sehr gut gelungen und hat von Beginn an eine Vertrauensbasis geschaffen und auch motiviert, ein positives Ergebnis anzustreben. Wir konnten so einen intensiven Austausch auf hohem Niveau führen. Unsere Gruppe der Gleichstellungsexpertinnen war sehr virulent, unsere Ideen und Anregungen wurden gut aufgenommen und über die Sitzungen hinweg eingearbeitet. Ich fand es übrigens auch sehr gut, dass in unserer Gruppe das Ministerium vertreten war, sozusagen im Auftrag der Gesellschaft. In dieser strategischen Zusammenschau kann viel auf den Weg gebracht werden. Dabei war es spannend die Überlegungen des FWF zu sehen, der als Förderungsinstitution ein modernes Bild von Forschung hat und uns anhand von zeitgemäßen „Forschungstypen“, die uns beispielhaft durch den Prozess begleitet haben, vermitteln wollte, wie er auf aktuelle Herausforderungen im Wissenschaftsbetrieb reagieren möchte. Denn heute passiert Forschung vermehrt inter- und transdisziplinär, sie steht im globalen Wettbewerb und ist offener geworden. Da gibt es auch viele Frauen, die unkonventionelle Forschung anstoßen. Ich sehe die Bestrebungen des FWF in diesem Licht, also als Ermutigung, sich mehr zuzutrauen und die Forschungsinstitutionen mehr in die Verantwortung zu nehmen.

FWF: Inzwischen ist die erste Phase dieses Prozesses abgeschlossen. Mit welchen Ergebnissen?

Gößnitzer: Wenn das alles auf den Boden gebracht wird, was hier eingebracht wurde, dann ist es eine echte Weiterentwicklung, auch innerhalb des FWF.  Es liegen gute Ideen und Vorschläge vor, die man umsetzen kann und wofür es auch schon Beispiele in andern Ländern gibt. Wir haben uns etwa schwedische Modelle angesehen, die Frauenförderung betreffend, um hier noch weiter voranzugehen. Der Wissenschaftsfonds ist immer eine Förderinstitution gewesen, die auf die Genderfrage geachtet hat. Ich war zu Beginn meiner Karriere in dem männlich dominierten Umfeld der Chemie selbst eine Profiteurin davon.

In den vergangenen Jahrzehnten lag der Fokus auf individueller Frauenförderung, jetzt ist nach Ansicht Edith Gößnitzers, der Zeitpunkt da, Gleichstellung stärker in den Strukturen zu verankern. © Christine Miess/FWF

FWF: Können Sie ein paar Punkte nennen, die diskutiert wurden?

Gößnitzer: Ein zentraler Aspekt des geplanten zweistufigen Karriereprogramms wird den Auswahl- und Begutachtungsprozess betreffen, der Teil des Förderprozesses ist und damit in die Strukturen hineingeht. Gender-Awareness zieht sich dann noch stärker durch alle Bereiche durch, sei es bei den Gutachterinnen und Gutachtern, inhaltlich in den Forschungsanträgen oder beim Auswahlprozess, der eine 50:50-Geschlechterquote vorsieht. In den vergangenen Jahrzehnten lag der Fokus auf den Frauen und wie sie sich individuell besser qualifizieren können. Das haben sie jetzt gemacht. Die exzellenten Forscherinnen sind da, auch in naturwissenschaftlichen Fächern, wenn man sich die die Zahlen der Absolventinnen anschaut. Nun gilt es die nächsten Schritte zu gehen.

FWF: In den Top-Positionen sieht es anders aus.

Gößnitzer: Das ist richtig, wenn es auf die Ebene der Professur geht, dann sehen die Zahlen anders  aus, da fehlen die Frauen immer noch. Doch der Nachwuchs ist definitiv da. Das hat auch der FWF anhand seiner Statistik gesehen. Es könnte also auch in den hochrangigen Positionen anders aussehen, aber dazu braucht es Veränderungen in den Strukturen. Üblicherweise trifft die Zeit, in der man sich in der Forschungsspitze etabliert, im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, mit der Familienplanung zusammen. Daher wurden Programme speziell für Frauen aufgesetzt, die von der Ausstattung und den Mitteln her nicht unbedingt großartig waren, aber von den Frauen und auch den Institutionen sehr gut angenommen wurden. Das war wichtig und gut, hat aber eine gewisse Schieflage erzeugt. Der FWF reagiert nun damit darauf zu sagen, das Potenzial ist da, wir können jetzt weitergehen und mehr machen. Klar ist, dass es in den deutschsprachigen Ländern Aufholbedarf gibt, was Gleichstellung und Diversität betrifft, auch gesellschaftlich gesehen, und das spiegelt sich in den Wissenschaftsdisziplinen wider.

„Es könnte auch in den hochrangigen Positionen anders aussehen, aber dazu braucht es Veränderungen in den Strukturen.“ Edith Gößnitzer

FWF: Explizite Frauenförderung braucht es also nicht mehr?

Gößnitzer: Das ist richtig für manche Teilbereiche. In anderen gibt es noch einen Aufholbedarf was die Zahlen, nicht aber die Qualität betrifft. Wir empfehlen daher seitens unserer Arbeitsgruppe, auf die Disziplinen zu achten. So dass es etwa in der Mathematik nicht nur eine Professorin gibt, sondern sich eine kritische Masse entwickeln kann. Dann tut sich auch etwas im Umfeld. Doch auch hier heißt es, mehr in die Strukturen zu gehen. Auch hier gibt es qualifizierte Frauen, sie benötigen jedoch die Bereitschaft der Forschungsinstitution, sie zu halten und ihnen Perspektiven zu geben. Das ist ja auch eine der Überlegungen des FWF, dass er mit seinen Fördermaßnahmen mehr Verbindlichkeit von den Universitäten und Forschungsinstitutionen fordert.

FWF: Mehr Mittel für die Karriereförderung und gleiche Chancen für Frauen und Männer sind zentrale Maßnahmen des FWF in der Neugestaltung der Programme. Dabei bleiben Begleitmaßnahmen erhalten, die sich schon jetzt als erfolgreich erwiesen haben, wie etwa die Unterstützung von Frauennetzwerken oder bei Betreuungspflichten. Welchen Stellenwert messen sie zusätzlichen Maßnahmen bei?

Gößnitzer: Interessanterweise haben alle Frauenprogramme solche Begleitmaßnahmen viel stärker verankert als dies in anderen Programmen der Fall ist. Auch hier gibt es also einen gewissen Bias. Mit den neuen Programmschienen sollte das behoben sein. Gerade die Wissenschaft kann Beschäftigungsmodelle anbieten, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gut unterstützen können. Das sollten alle Förderschienen beinhalten und kein Bonus von Frauenprogrammen sein. Was ich in der neuen Programmgestaltung als sehr positiv sehe, ist die Quote von 50:50. Das gibt den Frauen die gleichen Möglichkeiten und Chancen und eröffnet neue Perspektiven. Frauen sind heute beispielsweise in den Biowissenschaften schon in der Überzahl und auch in der Physik, der Mathematik oder Informatik werden es mehr.

„Frauenförderung ist heute im Mainstream, dort muss man hinsehen.“ Edith Gößnitzer

Die Montanuniversität in Leoben oder die Universität Linz haben etwa gezeigt, was möglich ist, wenn man Frauen gezielt anspricht, und genau das passiert mit der Quotenregelung. Forscherinnen können nun aus ihren „Frauenzimmern“ heraustreten. Das heißt, es braucht die Ermutigung, aus bestimmten Traditionen auszusteigen. Frauenförderung ist heute im Mainstream, dort muss man hinsehen und das wird jetzt möglich gemacht. Die Quotenregelung wird die Institutionen auch in der ersten Stufe des Karriereprogramms hoffentlich dazu animieren, vermehrt Frauen zu ermutigen, sie einzuladen, in die Wissenschaft zu kommen und zu bleiben.

FWF: Können diese Maßnahmen des FWF damit auch in den Disziplinen ankommen, wo es noch größere Geschlechterungleichheiten gibt?

Gößnitzer: Das sehe ich so, gerade durch die Begleitmaßnahmen, die aber strukturell verankert werden, wie zum Beispiel im Begutachtungsverfahren. Hier soll das Bewusstsein für Gleichstellung weiter gestärkt werden. Da hat der FWF innovative Ideen, etwa dass man den Gutachterinnen und Gutachtern rückmeldet, wenn sie diese Aspekte gut im Blick haben. Wenn diese Gutachtenqualität nochmal verbessert werden kann, und das sehe ich hier eingebracht, ist das ganz wesentlich. Auch die Ausweitung der Gleichstellungskriterien auf die anderen FWF-Programme, wie das vorgesehen ist, wir das unterstützen. Dazu gibt es Überlegungen, wie die Genderkompetenz insgesamt im universitären Betrieb und im Wissenschaftssystem gestärkt und in die Umsetzung gebracht werden kann. Der FWF kann hier viel anstoßen, indem er signalisiert, dass die Mittel zur Verfügung stehen und an bestimmte Vorgaben geknüpft sind. Dann wird dieses Empowerment der Frauen auch aufseiten der Institutionen folgen.

Fördereinrichtungen können einen wichtigen Beitrag zu Diversität leisten, indem sie neue Forschungsperspektiven eröffnen. © Christine Miess/FWF

FWF: Wie steht es mit den Frauen selber, ist es wichtig, sie weiterhin ganz gezielt anzusprechen?

Gößnitzer: Das wird notwendig sein und ist auf jeden Fall wichtig, eben weil es noch bestimmte Fächer gibt, wo dieses Zutrauen in die wissenschaftliche Karriere noch wachsen muss. Ich gehe davon aus, dass das auch gemacht werden wird: Kommunikation im positiven Sinne und konkret auf die Frauen zugehen, damit die verbesserten Chancen gesehen werden. Nämlich auch dahingehend, dass die Frauen nicht das Gefühl haben, dass ihnen von dem wenigen, das es gibt, noch etwas weggenommen wird – dieser Eindruck ist offensichtlich bei manchen Wissenschaftlerinnen entstanden. Dabei werden sie im Gegenteil mehr Mittel und Chancen haben als zuvor. Wichtig dabei wird auch das Sichtbarmachen sein. Die Fakten und Zahlen werden dann zeigen, wo es noch Anpassungen braucht. Wenn es nicht 50:50 ist, dann muss die Institution zeitnahe Fördermaßnahmen ergreifen sowie vermehrt gezielte Nachwuchspflege betreiben. Die besten Forscherinnen werden künftig dort hingehen, wo es gute Bedingungen gibt, andere haben dann einen Wettbewerbsnachteil. Diversität und Gendergerechtigkeit ist ein inspirierendes Umfeld auch für die Forschung. Das kann der FWF bewirken, indem er in die Strukturen geht, um Ergebnisse wie die Leaky Pipeline zu minimieren.

„Meiner Meinung nach hätten die Universitäten mehr Innovationskraft als sie sich das vielleicht zutrauen.“ Edith Gößnitzer

FWF: Die zweite Stufe der Karriereprogramme soll herausragenden Forschenden in einer fortgeschrittenen Stufe ihrer Laufbahn unterstützen und sieht speziell eine bessere Verankerung an den Forschungsstätten vor. Könnte das entscheidend sein, um der gläsernen Decke & Co entgegenzuwirken?

Gößnitzer: Ja, davon bin ich überzeugt. In der frühen Phase der Karriereförderung sind wir noch auf der Ebene der individuellen Förderung, das ist richtig. In der zweiten Stufe wird die Sichtbarkeit der Forschenden größer, die Konkurrenzsituation wächst. Daher ist es für beide Seiten, die Forschenden und die Institutionen, auch eine Frage der Reputation und des Wettbewerbs. Hier geht es um die internationale Sichtbarkeit exzellenter Forschungspersönlichkeiten. Es ist also auch wesentlich, wie Institutionen mit diesen Persönlichkeiten umgehen und welches Bild von Forschung sie zeigen möchten. Soll es zum Beispiel beim Einzelkämpfer/innentum bleiben, das es noch immer gibt, oder wie können Wissenschaftsdisziplinen kooperativ weiterentwickelt werden? Meiner Meinung nach hätten die Universitäten als diversitätsorientierte Institution mehr Innovationskraft als sie sich das vielleicht zutrauen.

FWF: Wie wichtig sind Role Models, also erfolgreiche und vielleicht auch solidarische Forscherinnen als Vorbilder, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?

Gößnitzer: Es ist wichtig erfolgreiche Forscherinnen und Forscher ins Rampenlicht zu stellen, ohne sie zu überfordern. Schon bislang unterstützte der FWF die Sichtbarkeit erfolgreicher Frauen in der Wissenschaft, wie etwa bei der jährlichen Feier am 8. März, dem internationalen Frauentag. Auch Mentoring und die Unterstützung des Forscherinnen-Netzwerks sind solche Maßnahmen, die erhalten bleiben. Ich finde es großartig, dass der FWF durch einen systemischen Ansatz das Ziel verfolgt, Gleichstellung als etwas Selbstverständliches anzusehen, gerade auch, wenn es Widerstände gibt. Es wurde schon viel erreicht, aber es braucht diesen Systemwandel, damit sich das Bild von Wissenschaft ändert, wie es schon passiert. Auch ich würde mich in 50 Jahren vermutlich nicht mehr als Chemikerin bezeichnen. Es wird andere Wissenschaftsbilder und Fächerkombinationen geben, an die wir heute noch nicht denken und die die Wissenschaftstradition maßgeblich verändern werden. Förderinstitutionen können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem Diversität neue Forschungsperspektiven eröffnet und Innovationen ermöglicht.

Edith Gößnitzer ist langjährige Expertin für Gleichstellungsfragen im Wissenschaftsbereich und  Vorsitzende der ARGE GLUNA, des Dachverbandes der Arbeitsgemeinschaften für Gleichbehandlung und Gleichstellung an Österreichs Universitäten. Die ausgebildete pharmazeutische Chemikerin lehrt und forscht am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Graz.

Karriereförderung neu gedacht

Mehr Forscherinnen an den Forschungsinstitutionen verankern und faire Bedingungen für alle Antragstellerinnen und Antragsteller schaffen – das sind die Ziele des FWF in der Weiterentwicklung der Karriereentwicklungsprogramme. Konkret soll das neue zweistufiges Förderprogramm mit mehr Budgemitteln ausgestattet werden unter anderem folgendes ermöglichen: laufende Einreichungen, eine höhere Flexibilität bei den Förderungssummen, einheitliche Antragsvoraussetzungen, den Ausbau der Maßnahmen zur Frauenförderung und die Weiterentwicklung der Gleichstellungsstandards in allen FWF-Programmen.

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