Feldforschung in der rechten Szene zeigt, wie vielfältig das Engagement ihrer Anhänger/innen ist. Ihre Aktivitäten reichen von Konferenzen und Veranstaltungen über Sommer Camps bis zu Hilfe für Arme (hier in Mailand) oder das Eintreten für Tierrechte. © Agnieszka Pasieka

Rechtsextreme Gewalt, der Aufstieg rechter Parteien, Fremdenfeindlichkeit oder die Rückkehr konservativer Werte sind weltweit zu beobachtende Phänomene. Immer drängender stellt sich auch Forschenden die Frage, wie der Aufstieg des rechtsextremen Aktivismus erklärt werden kann. Die Antwort ist ebenso komplex wie das Auftreten rechter Szenen, weiß die Wissenschaftlerin Agnieszka Pasieka. Denn das Bild von kahlköpfigen vorwiegend jungen Männern mit Tätowierungen und Springerstiefeln gilt nicht mehr, wenngleich es noch weit verbreitet ist. Vielmehr vermischt sich dieses Klischee immer stärker mit dem Bild des engagierten „normalen“ Bürgers, der normalen Bürgerin. Was sie verbindet, ist ihr Einsatz für Ideale, die sich immer öfter mit den Anliegen linker Organisationen überschneiden, etwa wenn es um Umweltfragen, Antiliberalismus oder Corona-Skeptizismus geht. Kurz gesagt, rechte Ideologien rücken zunehmend in die Mitte der Gesellschaft und bedienen sich Formen zivilen Engagements, die traditionell als links verstanden werden. Welche Motive dahinterstecken und wie vielschichtig ihre Akteurinnen und Akteure sind, liegt im Fokus von Pasiekas Forschungsinteresse. „Unter ihnen trifft man Fußballfans und arbeitslose Jugendliche ebenso wie Akademiker oder erfolgreiche Unternehmer –, ihre Biografien sind sehr unterschiedlich“, berichtet die Elise-Richter-Stipendiatin des Wissenschaftsfonds FWF. Als Kultur- und Sozialanthropologin an der Universität Wien betreibt Pasieka schon seit einigen Jahren Feldforschung in rechtsextremen Netzwerken mehrerer europäischer Länder. Dabei vergleicht sie auch, wie sich lokale und transnationale Praktiken von Rechtsextremen gegenseitig beeinflussen.

Feldforschung unter Rechtsextremen

In ihrer ethnografischen Spurensuche hinterfragt die Forscherin gängige Erklärungsversuche und Narrative. Die Popularität der Ideen von rechts außen in Zusammenhang mit mangelnder Bildung oder Marginalisierung zu bringen, greift für Pasieka jedenfalls zu kurz. Ebenso wie die Erklärung, rechte Gemeinschaften als Opfer des Neoliberalismus zu sehen. „Eine der zentralen Aktivitäten von Militanten ist, sich in Freiwilligenarbeit zu engagieren, zum Beispiel in Waisenhäusern, in Tierschutzvereinen oder bei Spendenaktionen für alleinerziehende Mütter und Arme“, berichtet Pasieka und erklärt: „Hiermit werden die Paradoxien rechtsextremer Botschaften deutlich, die immer häufiger humanitäre Absichten und positive Visionen von Gesellschaft und Zukunft formulieren, während sie oft als von Hass getriebene Gruppen dargestellt werden.“

Geldsammlung für verfolgte Christen im Kosovo und im Nahen Osten. © Agnieszka Pasieka

Für die Forscherin besteht in dem sozialen Engagement die Anziehungskraft rechter Forderungen auf breitere Schichten. Im Unterschied zu anderen Organisationen oder zu NGOs steht hier jedoch die Unterstützung der „eigenen Leute“ im Vordergrund, nicht etwa die Integration von Migrantinnen und Migranten. Angesichts einer weitgehend gescheiterten EU-Flüchtlingspolitik und jahrelanger politischer Debatten, die den Schutz der Grenzen in den Fokus stellen, scheinen rechte Ideale so vermehrt auf fruchtbaren Boden zu fallen. Das Bedürfnis nach Sicherheit und die Angst vor dem sozialen Absturz sitzen tief in weiten Teilen der Gesellschaft.

Lokaler Aktivismus – transnationale Bande

Wie und warum sich lokales Engagement und länderübergreifende Netzwerke gegenseitig beeinflussen, zeigt Pasieka in den Ländervergleichen auf. Ihre bisherigen Studien führten sie zu rechtsextremen Treffen und zum Austausch mit Aktivisten in Polen – dem Ursprungsland der Forscherin –, Ungarn und Italien. Auch hier sieht sie hinter den viel zitierten historischen und wirtschaftlichen Ursachen, wie Post-Kommunismus, Post-Industrialisierung oder dem Gegensatz von West- und Osteuropa, weitere und andere Indizien für die Verbreitung rechter Ideologien. „Italienische und polnische Rechtsextremisten haben mehr gemeinsam als zum Beispiel die polnischen mit den tschechischen“, sagt Pasieka. Die beiden Länder verbindet eine hohe Jugendarbeitslosigkeit ebenso wie der Katholizismus und befeuert die rechte Szene. Auch die Verfolgung der Kommunisten (Titos Partisanen/Sowjetarmee) sei ein Muster in den Erzählungen italienischer und polnischer, nicht aber unter tschechischen Aktivisten, analysiert Pasieka. Von wie vielen Aktivistinnen und Aktivisten in den jeweiligen Ländern die Rede ist, sei schwer zu sagen, so die Anthropologin. Die Bewegungen, die sie untersucht, variieren in ihrer Größe, im Durchschnitt haben sie mehrere hundert Anhängerinnen und Anhänger. Stark ausgebreitet habe sich die italienische Rechte. Ausgehend vom Norden spannt sich heute ein rechtes Netzwerk über das ganze Land, wie die Forscherin berichtet. Pasiekas Spurensuche in der rechten europäischen Szene deckt einerseits die Nuancen und Differenzen lokaler Bewegungen auf, deren Auftreten vielfältig und nicht immer von anderen Gruppierungen zu unterscheiden ist. – Charakterisiert durch Menschen, die etwas erreichen wollen. „Was sie andererseits über die Grenzen hinweg eint und gefährlich macht“, so Agnieszka Pasieka, „ist ihre nationalistische Weltsicht, die ihnen paradoxerweise ermöglicht, gemeinsam und transnational für ein anderes Europa zu kämpfen.“


Zur Person Agnieszka Pasieka studierte Soziologie in Krakau und promovierte in Sozialanthropologie an der Martin-Luther-Universität/Max-Planck-Institut für Sozialanthropologie in Halle/Saale. Ihre Forschungsschwerpunkte sind religiöse und ethnische Vielfalt, Nationalismus, Migration und Sozialgeschichte. Das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Rechte Leben. Eine Untersuchung rechtsextremen Aktivismus“ mit einem Fördervolumen von rund 300.000 Euro startete 2018 am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Universität Wien.


Publikationen

Pasieka, Agnieszka: Postsocialist and postcapitalist questions? Far-right historical politics in Italy and Poland, in: East European Politics and Societies (forthcoming)
Pasieka, Agnieszka: In search of a cure? Far-right youth activism and the making of a new Europe, in: Research in Political Sociology, Vol. 27: 85-102, 2020
Pasieka, Agnieszka: Anthropology of the far right: What if we like the ‘unlikeable’ others?, in: Anthropology Today 35(1), 2019
Pasieka, Agnieszka: Taking far-right claims seriously and literally: anthropology and the study of right-wing radicalism, in: Slavic Review 76, no. S1: S19-S29, 2017