Der Molekularbiologe Walther Parson untersucht mittels mitochondrialer DNA-Analyse besonders schwierige Fälle. Zu seinen Auftraggebern gehört auch das FBI. © Lorbeg, GMI

Walther Parson ist gerade in den Weihnachtsferien beim Skifahren als er am 28. Dezember 2004 einen Anruf erhält. Er muss zurück ins Labor. Zwei Tage zuvor hat ein Tsunami  230.000 Menschen das Leben gekostet. Die Gerichtsmedizin Innsbruck wird weltweit als eines der kompetenten Labore ausgesucht, die Opfer zu identifizieren. „Das war ein entscheidender Zeitpunkt“, erinnert sich der Molekularbiologe im Gespräch mit scilog, „wir hatten bereits ein Labor zur Untersuchung mitochondrialer DNA, aber noch wenig Erfahrung mit Knochenproben oder stark durch Umwelteinflüsse in Mitleidenschaft gezogenem Material.“

Schwierig und politisch brisant

Die größten Feinde einer DNA-Probe sind Feuer, Feuchtigkeit und Sonne. Die Opfer des Tsunami waren im subtropischen Klima sowohl hoher Luftfeuchtigkeit als auch hohen Temperaturen ausgesetzt, was auch den Abbau der DNA enorm beschleunigte. „Schon die Aufgabe, den Einsatzkräften vor Ort von hier aus mitzuteilen, welche Proben sie nehmen sollen, wie diese zu verpacken und zu verschicken sind, war eine Herausforderung, weil es bislang keine vergleichbaren Fällen gab“, erinnert sich Parson. So kann ein Analyseergebnis zum Beispiel schon alleine dadurch verfälscht werden, indem ungeschützt über einer Probe gesprochen wird. Dennoch ist es dem Labor damals gelungen, alle Proben erfolgreich zu untersuchen und damit einer positiven Identifikation zugänglich zu machen. Seitdem bekommt das Institut die schwierigsten Fälle, auch jene, die politisch brisant sind. So wurde das Institut mit den Untersuchungen zu den mexikanischen Studenten betraut, die seit Oktober 2014 als vermisst gelten. Seit 2008 arbeitet das Institut beispielsweise auch an der Identifikation der Opfer des Chile-Putsches 1973.

Mitochondriale DNA  

Die Untersuchung der mitochondrialen DNA macht zwar nur ein Prozent der Gesamtanalysen des Innsbrucker Labors aus, aber ihr kommt besondere Bedeutung zu. Sie wird dann angewandt, wenn für eine Kern-DNA-Analyse zu wenig biologisches Material vorhanden ist. Dies spielt zum Beispiel bei Haarschäften eine Rolle oder bei Spuren, die man mit freiem Auge nicht mehr sehen kann. Worin liegt nun das Besondere an dieser mitochondrialen DNA? Jeder Mensch hat in seinen Zellen einen Kern mit zwei Kopien der Kern-DNA und bis zu mehrere tausend Mitochondrien. Jedes dieser Mitochondrien trägt mehrere Moleküle mitochondriale DNA, wodurch eine Zelle viel mehr Kopien an mitochondrialer DNA als Kern-DNA enthält. Damit hat die mitochondriale DNA-Analyse im Labor einen Startvorteil in Bezug auf die Zahl der Kopien vorhandener Moleküle. Die mitochondrialen DNA-Analysen erfordern eine optimale Ausrüstung und eine andere wissenschaftliche Herangehensweise, weil die mitochondriale DNA einen anderen Vererbungsweg zeigt: sie wird ausschließlich von der Mutter an ihre Kinder beiden Geschlechts weitergegeben. Nur die Mädchen geben sie an die nächste Generation weiter. Man betrachtet also Erblinien, die weit in unsere Vergangenheit zurückreichen und direkte Verwandtschaftslinien darstellen.

„Die DNA sagt uns, dass wir alle miteinander verwandt sind. Das widerspricht jeder Rassentheorie.“ Walther Parson

„Out-of-Africa-Hypothese“

Die Erblinien haben einen geografischen Bezug, weil die mitochondriale DNA von heute lebenden Menschen auf die Besiedlungsgeschichte der Menschheit rückführbar ist. Und die ging von Afrika aus. In den frühen Neunziger Jahren konnte man über diese Analysemethode die Hypothese bestätigen, dass der Mensch in Afrika entstanden ist und von dort aus den Rest der Erde besiedelt hat. Zuvor wurde auch die alternative Hypothese diskutiert, dass der moderne Mensch mehrfach unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen der Erde entstanden ist. Doch mit der mitochondrialen DNA und später folgenden Kern-DNA-Analysen wurde die „Out-of-Africa-Hypothese“ genährt und die „Multiregionalisten Hypothese“ zurückgedrängt. „Wir wissen heute, dass wir alle miteinander verwandt sind“, stellt Parson fest, „das widerlegt ganz klar rassistische Konzepte, die anderen Kontexten entspringen. “

Zähne sind ein gutes Probenmaterial, denn das innere Gewebe des Zahnes enthält viel DNA. © Lorbeg, GMI

Erst Lehrling, dann Berater des FBI

Von Beginn an, als Parson 1994 an das Innsbrucker Institut für Gerichtliche Medizin kam, war das Gebiet der mitochondrialen DNA sein Steckenpferd. Dem Direktor des Instituts, Richard Scheithauer, ist er sehr dankbar: „Er hatte die Weitsicht, die Bedeutung der DNA-Analyse für die Forensik früh zu erkennen und ermöglichte mir Laborbesuche in den USA, um beim FBI und im US-Armee-Labor zu lernen, wie dort mitochondriale DNA-Analysen durchgeführt werden“, erzählt Parson und fügt hinzu, „damals waren die USA den Europäern in dieser Technologie überlegen, heute ist das nicht mehr unbedingt so.“ Europa hat in der Zwischenzeit stark aufgeholt. Die neuen Konzepte der mitochondrialen DNA-Analyse kommen aus Europa, einige sogar aus Innsbruck. Das hat in den 2000er Jahren zunächst zu unterschiedlichen Ansichten und Diskussionen geführt. Die Innsbrucker Thesen haben aber gehalten. Seit 2010 lässt sich das FBI-Labor von Parson wissenschaftlich beraten.

Werkvertrag statt Taxifahren

Geplant war dieser Weg nicht. Der heute 50-Jährige begann nach einem „bescheidenen Gymnasiumdasein mit Wiederholungen und Schulwechsel“ ein Studium der Biologie an der Universität Innsbruck. Für dieses Fach hatte er sich immer begeistert. Nach Abschluss seines Magisterstudiums machte er zunächst über mehrere Monate eine Reise von Alaska bis Ecuador. Zurück gekommen nach Innsbruck, hatte er nicht vor, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, sondern wollte Geld verdienen: mit Taxifahren. In diesen ersten Tagen seiner Rückkehr war am Institut für Gerichtliche Medizin ein Werkvertrag ausgeschrieben. Der Job war zwar schlechter bezahlt, aber interessanter. „Das wollte ich mir für sechs Monate anschauen, um dann etwas ‚Ordentliches‘ machen. Seitdem bin ich hier“, schmunzelt der Tiroler.

„Es macht sehr viel Spaß“

Der weitere akademische Weg hat sich ergeben: Nach den sechs Monaten wurde ihm eine B-Stelle angeboten, danach eine A-Stelle. Dafür musste er das Doktorat machen. Als eine Gesetzesänderung kam, die für die Stelle eine Habilitation vorsah, habilitierte er. Bei Parson klingt das alles, als wäre es nebenbei gegangen. „Es war für mich nie frustrierend oder anstrengend, weil ich mich so für die Sache interessiert habe. Ich habe ein wunderbares Team von 20 extrem motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und es macht mir sehr viel Spaß“, bestätigt der charismatische Professor.

Der „CSI-Effekt“

Diese Begeisterung ist ansteckend. So macht er selber bei seinen Studierenden die Erfahrung, dass man nur das Interesse wecken muss, und Menschen laufen zu Höchstform auf. Das ist natürlich auch eine Frage der Anzahl an Studierenden, weshalb er nur noch in kleinen Gruppen unterrichtet. Der Andrang an die molekulare Gerichtsmedizin ist groß. „Wir haben zumindest eine Bewerbung täglich“, sagt Parson und nennt das den „CSI-Effekt“. Die negative Seite dieses Effekts: „Diese Serien vermitteln den Eindruck, dass alles erforscht ist. Da besteht die Gefahr, dass die Notwendigkeit weiterer Forschung nicht gesehen wird“, befürchtet der Wissenschafter. Am Beginn der DNA-Analyse vor 25 Jahren benötigte man beispielsweise einen fingernagelgroßen Blutfleck für eine Analyse. Heute kann man Spuren untersuchen, die mit freiem Auge nicht mehr sichtbar sind. Die Forschung geht in die Richtung, immer effizienter zu werden, in Zukunft Spuren untersuchen zu können, die heute noch kein Ergebnis bringen.

„Die Menschen, die privat ihre DNA untersuchen lassen, wissen nicht, was sie mit ihrer DNA-Information hergeben. Sie öffnen die Büchse der Pandora.“ Walther Parson

Die Büchse der Pandora

Dass DNA-Analysen in den vergangenen 20 Jahren „sexy“ geworden sind, sieht er äußerst kritisch. Hunderte Firmen im Web locken damit, per Analyse des genetischen Fingerabdrucks Krankheiten und Talente vorherzusagen, die richtige Sportart zu ermitteln bis hin, den geeigneten Partner zu finden. Privatfirmen unterliegen – vor allem in den USA – keiner strengen Kontrolle und können die Daten weiterverwenden oder verkaufen. „Die Menschen wissen nicht, was sie hier mit ihrer DNA-Information hergeben. Sie öffnen damit die Büchse der Pandora“, warnt Parson. Einer der größten Anbieter auf diesem Markt ist das US-Amerikanische Unternehmen „23and Me“. Es bietet Privatpersonen die Untersuchung der genetischen Informationen an - für 99 US Dollar zuzüglich Versandkosten. Die eingesendeten Speichelproben werden auf genetisch bedingte Krankheiten und  Veranlagungen untersucht. Auch Angaben zur geografischen Herkunft werden geliefert. 2013 erhielt das Unternehmen das Patent für ein Verfahren, das Vorhersagen für ein Wunschkind erlaubt. „Letzten Oktober gab es eine Zeitungsmeldung, dass „23and Me“ 800.000 Daten an einen Pharmariesen verkauft hat“, berichtet Parson und warnt, „der prozentuelle Wahrscheinlichkeitswert für eine Krankheit kann sich niederschlagen in der Versicherungsgebühr und in der Jobzukunft eines Menschen. Das beschränkt sich auch nicht nur auf das eigene Leben, man beeinflusst damit die informationelle Eigenverantwortung seiner nächsten Verwandten!“

Gesetzgeber in der Verantwortung

Die Technologie ist so weit fortgeschritten, dass man heute ohne weiteres einen Cousin dritten Grades identifizieren kann. Das Janusgesicht: Man kann nicht wissen, was diese Möglichkeit für den jeweiligen Menschen bedeutet. Ein Mann, der in den 1970er Jahren sein Studium mit Samenspenden finanziert hat, wird beispielsweise als Vater identifiziert. „25 Familien suchen den leiblichen Vater und eine Firma brüstet sich, den Mann zu finden. Der hat inzwischen vielleicht eine eigene Familie und will in Ruhe gelassen werden. Damals als er Samen gespendet hat, konnte er nicht unterschreiben, dass er solch einem Test nicht ausgesetzt werden möchte, weil es diesen Test noch gar nicht gab“, veranschaulicht Parson das Problem. Hier sieht er den Gesetzgeber als einziges Regulativ, den Einzelnen zu schützen. Daten, die im Rahmen von gerichtlich angeordneten Untersuchungen analysiert werden, sind davon nicht betroffen, denn diese dürfen ohnehin nicht für andere Zwecke verwendet werden. Auf dieser Ebene bringt er seine Expertise ein als Berater des Innenministeriums, um darüber zu informieren, was aus der DNA gelesen werden kann. Seine eigene Forschung kann Parson mit reinem Gewissen betreiben, denn die Forensik könne und wolle mit der Spitzenforschung, die diese Entwicklung vorantreibt, gar nicht mithalten. „Die Gerichtsmedizin hat im Vergleich zu diesen Institutionen einen Rückstand von zehn bis fünfzehn Jahren. Aus gutem Grund: Forensische Analysen müssen technisch und statistisch abgesichert sein, denn sie werden vor Gericht für die Beurteilung von Beweisen verwendet, wo über Leben und Zukunft von Menschen entschieden wird“, erläutert Walther Parson.


Walther Parsons Team etablierte molekulargenetische Methoden, die zur Identifizierung der Tsunami-Opfer aus Sri Lanka sowie Opfer des Pinochet-Regimes verwendet wurden. Das Labor beschäftigte sich mit der Untersuchung historischer Fälle wie der russischen Zarenfamilie Romanow, Friedrich Schiller und Günther Messner. 2013 machte Parson mittels DNA-Analyse 19 lebende Tiroler ausfindig, die mit dem 1991 entdeckten Ötzi genetische Eigenschaften teilen.

Spektakuläre Fälle

Seit der erfolgreichen Identifikation der Tsunamiopfer und anderer medial bekannter Fälle gilt die Innsbrucker Gerichtsmedizin als Referenzlabor für schwierige Proben und für die mitochondriale DNA-Analyse im Speziellen. Die Innsbrucker bekommen Aufträge vom FBI, von Gerichten, der Polizei und internationalen NGOs. In seinem 2014 erschienenen Buch „Irgendwann kommt alles ans Licht“ beschreibt Walther Parson zum Beispiel, wie seine Arbeitsgruppe die vermissten russischen Zaren-Kinder Romanow identifizierte und das Rätsel um den Schädel Friedrich Schillers löste.

Ötzis direkte Nachfahren entdeckt …

Ebenfalls spektakulär war die Identifikation von 19 noch lebenden Nachfahren Ötzis – eigentlich ein „Abfallprodukt eines sinnvolleren Forschungsprojekts“, wie Parson anmerkt. 2013 untersuchte sein Team die Y-Chromosomen von fast 4.000 Tiroler Männern. Es ging um die Erforschung der neolithischen Einwanderung des Menschen in das Alpengebiet vor etwa 10.000 Jahren. Das Obere Inntal war Teil des „Mittleren Weges“ einer Römischen Haupthandelsroute von Rom nach Augsburg. Grund für die Konzentration auf das Y-Chromosom, das vom Vater an den Sohn vererbt wird, war der patrilokale Lebensstil: der älteste Sohn erbte den Hof und konnte dort eine Familie gründen, die anderen zogen weg. Die Y-Chromosomen, die in dieser Region heute überdurchschnittlich oft beobachtet werden, sind bis zu 8.000 Jahre alt. Das bedeutet: Die Bevölkerung, die damals zugewandert ist, hat sich kaum verändert. Die Gründe dafür: Neben dem patrilokalen Lebensstil spielt die Tatsache, dass die Ressourcen des Lebensraums mit der damaligen Bevölkerung erschöpft waren und es deshalb praktisch kaum Zuwanderung gab, eine große Rolle. Auch Seuchen und Kriege, die die Populationsstruktur verändert haben, konnten dieses genetische Signal nicht verwischen. Dass die Daten der 4.000 freiwilligen Teilnehmer mit dem Ötzi-Chromosom verglichen wurden, das zu diesem Zeitpunkt analysiert und publiziert wurde, war sozusagen eine Draufgabe.

… ein Medienhype

Ein Artikel der Tageszeitung „Der Standard“ zu der eigentlichen Studie hatte keinerlei mediales Echo. Zwei Wochen später interviewte eine Journalistin der Austria Presseagentur Tirol Walther Parson. Zu den Studienergebnissen erzählte er ihr auch von der Übereinstimmung mit dem „Mann aus dem Eis“. Diese Nachricht schlug medial ein: „Weltweit flächendeckend vom Wallstreet-Journal bis zu einer Australischen Zeitschrift in Perth haben Medien darüber berichtet, dass 19 noch lebende Verwandte von Ötzi gefunden wurden“, erinnert sich der Molekularbiologe. Noch heute bekommt er Anfragen von Menschen, die ihm unbedingt eine Probe schicken wollen, weil sie glauben, mit Ötzi verwandt zu sein. „Uns allen hier ist sowieso klar, dass wir alle miteinander verwandt sind. Aber damals wurde mir bewusst, was Verwandtschaft für andere bedeuten kann“, reflektiert Parson.

Am Berg findet der Vielbeschäftigte Entspannung und Erdung. (im Bild in der Mitte) © Privat

Erdung am Berg

Beruflich viel unterwegs, manchmal innerhalb einer Woche in verschiedenen Kontinenten, findet der Vater dreier Töchter Ruhe und Kraft am Berg. Im Sommer wandern, im Winter auf Skitouren. Die Tour, die er am häufigsten geht, liegt direkt vor seiner Haustür. „Drei Minuten mit den Skiern unterwegs, und ich bin in einem Rhythmus, der eine unglaublich magische Kraft hat“, gerät der in Tirol verwurzelte ins Schwärmen. Am Berg kommt er zur Ruhe und manchmal zu Lösungen für Probleme, die ihm im Labor unlösbar erscheinen.


Walther Parson studierte Biologie an der Universität Innsbruck. 1997 richtete er dort als Universitätsassistent hauptverantwortlich das Österreichische DNA-Zentrallabor ein. Seit 2001 leitet er als außerordentlicher Professor den Fachbereich High Throughput DNA Databasing Unit (das Hochdurchsatz-DNA-Labor) sowie den Forschungsbereich Forensische Molekularbiologie am Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck (GMI). Seit 2000 ist Parson Mitglied der Internationalen Kommission für vermisste Personen, welche unter anderem Opfer der Jugoslawienkriege mittels DNA-Analyse identifizierte. Seit 2007 ist er assoziiertes Mitglied der Europäischen Akademie für forensische Wissenschaften und seit 2009 gewähltes aktives Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.


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