Ruf nach einer klimagerechten Zukunft: Wer trägt die Lasten und wer die Verantwortung? Quelle: Markus Spieske/unsplash © Markus Spieske/unsplash

Dass alle Akteurinnen und Akteure, von Großunternehmen bis Einzelpersonen, in der Verantwortung stehen, zur Vermeidung gefährlichen Klimawandels beizutragen, kann als weithin unumstritten gelten. Auch ich bin dieser Meinung. Aber was bedeutet dies aus Sicht des Ethikers? Vorweg sei betont, dass eine Betrachtung aus ethischer Sicht nicht mit moralischen Urteilen, insbesondere nicht mit moralischen Verurteilungen, einhergeht. Ethisch nachdenken ist nicht moralisieren. Vielmehr geht es darum, moralische Urteile und Argumente zu analysieren und auf ihre Plausibilität zu prüfen.

Ich setze voraus, dass die jüngst auf der Klimakonferenz in Glasgow bestätigten Ziele des Pariser Klimavertrags gelten, also insbesondere Netto-Null-Emissionen bis 2050 und die Beschränkung des globalen Kohlenstoffhaushalts, so dass die Temperatur durchschnittlich um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius steigt oder die Temperaturerhöhung jedenfalls mit hoher Sicherheit weit unter 2 Grad bleibt, so dass katastrophaler Klimawandel noch abgewendet werden kann.

Je nach Verteilungsansatz, den wir zugrunde legen, ob wir Pro-Kopf-Gleichverteilung anwenden oder den globalen Kohlenstoffhaushalt mittels Kontraktion und Konvergenz aufteilen, ergeben sich für Länder oder Ländergruppen unterschiedlich große nationale oder regionale Kohlenstoffhaushalte, mit denen es bis 2050 auszukommen gilt. Noch wichtiger als die Wahl zwischen diesen beiden Verteilungsansätzen für die Größe der jeweiligen Haushalte ist, wie jüngste, an der Universität Graz und am IIASA durchgeführte interdisziplinäre Studien zeigen, wie diese Ansätze interpretiert werden, insbesondere ob vergangene Emissionen seit 1990 berücksichtigt werden. Von der Größe des Haushaltes hängt ab, welche Optionen die Länder bei der Transformation zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 haben bzw. wie hoch die Kosten der Transformation sind.

Drastische Verringerungen der globalen Emissionen notwendig

Allerdings: Ob es innerhalb Europas und global gelingt, die Pariser Ziele zu erreichen, ist unsicher. Viele würden sagen, die Chancen dafür stehen schlecht. Denn in Summe reichen die gemachten einzelstaatlichen Verpflichtungen dafür nicht aus. Zudem spricht nicht nur wenig dafür, dass die Staaten ihre Verpflichtungen ausreichend nachbessern, sondern in der Erfüllung ihrer Verpflichtungen sind sie ausgerechnet bei Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen bereits bisher häufig säumig gewesen.

Zur Person

Lukas Meyer war einer der ersten Autoren unter den Philosophen, die zum Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) beigetragen haben. Der an der Universität Graz tätige Wissenschaftler beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zur sozialen Gerechtigkeit in Bezug auf den Klimawandel. Meyer ist Co-Sprecher des Forschungsschwerpunkts „Climate Change Graz“ und Leiter des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Doktoratskollegs „Klimawandel – Unsicherheiten, Schwellenwerte und Strategien“, in dem exzellente junge Forscherinnen und Forscher aus aller Welt interdisziplinär zusammenarbeiten.

„Der Unterschied, den kleine Mengen an Emissionen machen, muss nicht notwendigerweise selbst klein sein.“

Alle Akteurinnen und Akteure, wir als Einzelpersonen ebenso wie Unternehmen, treffen ihre Klima-relevanten Entscheidungen vor insbesondere diesem Hintergrund. Nur drastische Verringerung und globale Begrenzung der Emissionen kann mit hoher Sicherheit das Risiko von katastrophalen Klimaschäden verringern. Einzelakteurinnen und -akteure können nicht wissen, welchen Unterschied sie mit Blick auf die Erreichung der Pariser Ziele und die Abwendung gefährlichen Klimawandels tatsächlich machen, wenn sie die – gemessen an den globalen Emissionen geringen – von ihnen verursachten Emissionen bei der Produktion von Gütern, beim Transport oder in ihrer Freizeit verringern, womöglich sogar auf Netto-Null drücken. Aber sie können einen Unterschied machen.

Auch kleine Beiträge machen einen Unterschied

Zwar sind die Unsicherheiten hoch, welchen Unterschied einzelne oder geringe Mengen an Emissionen verursachen. Das ändert aber nichts daran, dass jede und jeder zu einer Temperaturerhöhung beiträgt und damit erwartbar zu Klimaschäden beitragen kann. Zudem muss der Unterschied, den kleine Mengen an Emissionen machen, nicht notwendigerweise selbst klein sein. Erstens ist zu berücksichtigen, dass die durch Emissionen verursachten Klimaänderungen und Klimaschäden sehr viele Menschen betreffen. Die erwartbaren Schäden sind also zu summieren und der Unterschied, den auch kleine Mengen an Emissionen machen, kann daher entsprechend groß ausfallen. Wichtiger noch ist, zweitens, dass kleine Mengen an Emissionen aufgrund der Kipppunkte (Tipping-Points) des globalen Klimasystems sehr große Wirkung haben können, wenn auch die Wahrscheinlichkeit dafür sehr gering sein mag.

Manche meinen, der jetzige Verzicht auf eine Handlung, die Emissionen verursacht, mache keinen Unterschied, da angesichts der andauernden Verursachung von Emissionen durch so viele Beteiligte dieselbe Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre dadurch nur einen winzigen Moment später erreicht werde. Jedoch ist wegen der Instabilität der Atmosphäre die Annahme falsch, eine bestimmte Menge an Treibhausgasen zu verursachen ziehe unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Verursachung dieselben erwartbaren Schäden nach sich. Mit Sicherheit können wir also nicht wissen, welche Schäden durch geringe Mengen an Emissionen verursacht werden, und sie könnten sehr groß sein.

Individuelle und politische Verantwortung hängen zusammen

Aus ethischer Sicht ist also ein Grund, weshalb wir alle, ob als Einzelpersonen oder Institutionen, unsere Emissionen auf Netto-Null reduzieren sollen, dass sie dadurch das Risiko verringern, durch ihr Handeln Klimaschäden und womöglich sehr gravierende Klimaschäden für viele Menschen zu verursachen. Emissionen zu reduzieren kann zudem nicht nur Vorbildwirkung haben, wodurch ihre Wirkung verstärkt wird. Sondern, entsprechend kommuniziert und von politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern verstanden, können Emissionsreduktionen durch Einzelakteure auch die politischen Kosten der Entscheidung zugunsten staatlicher Maßnahmen der Emissionsreduktion und ihrer Durchsetzung senken.

„Emissionen zu reduzieren, kann Vorbildwirkung haben. “

Durch Emissionsreduktion individuell Verantwortung für den Klimawandel zu übernehmen, kann daher auch ein Beitrag zur Erfüllung politischer Verantwortung sein. Allerdings kann der politischen Verantwortung, zur fairen Transformation zu Klimaneutralität beizutragen, auf vielfache Weise entsprochen werden, und nicht alle gehen mit Emissionsreduktionen einher. Handlungsoptionen einzelner Akteurinnen und Akteure können durchaus in Konkurrenz zueinander stehen und stellen uns vor schwierige Abwägungsfragen. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die notwendige Transformation auch mit besonders hohen Belastungen für bestimmte Personen oder Personengruppen einhergehen kann, etwa durch den Verlust ihrer Lebensgrundlage. Die politische Verantwortung bezieht sich auf die faire Verteilung aller Belastungen, die sich aus den Kosten der Emissionsreduktionen, Anpassungen an veränderte Lebensumstände und den nicht vermiedenen oder praktisch unvermeidbaren Verlusten ergeben.