Das Smartphone als Rohstofflager
Ob Smartphone, Waschmaschine oder Elektrowerkzeug – alle unsere smarten Geräte enthalten Materialien wie Gold, Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium. Es handelt sich um Rohstoffe, die oft in Konfliktregionen abgebaut, unter gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen zu elektrischen Schaltkreisen zusammengebaut und letztendlich nach meist kurzer Zeit auf kontaminierten Mülldeponien entsorgt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien durch Windräder, Solaranlagen und Elektroautos wird die Nachfrage nach diesen Rohstoffen in den nächsten Jahren enorm steigen lassen. Allein der Bedarf an Lithium soll laut EU-Kommission bis 2030 um das 18-Fache steigen.
Kongo – rohstoffreich und arm
Ein Sinnbild für die Dynamiken des heiß umkämpften Rohstoffmarktes ist der Kongo, eines der weltweit rohstoffreichsten – und zugleich ärmsten – Länder. Allein zwei Drittel des weltweit gehandelten Kobalts, das für Akkus von Laptops, Smartphones und Autos benötigt wird, kommen aus dem zentralafrikanischen Land. Doch der Profit kommt bei den Menschen vor Ort meist nicht an. Gefördert wird zum Großteil von internationalen Bergbauunternehmen, es arbeiten aber auch etwa 200.000 Menschen im informellen Kleinbergbau – darunter Jugendliche und Kinder. Und das unter menschenunwürdigen Bedingungen. Sie graben schmale, ungesicherte Schächte in die Tiefe, in denen sie händisch mit Spitzhacken das Erz aus dem Berg hauen. Immer wieder stürzen Schächte ein und verschütten Menschen, die qualvoll ersticken. Die Abwässer verseuchen Flüsse und Grundwasser.
Profit nicht vor Ort
Verkauft werden die kobalthaltigen Steinbrocken auf lokalen Rohstoffmärkten – vor allem an chinesische Zwischenhändler. Das Geld reicht meist nicht einmal für das Nötigste – oft ist davon auch noch Schutzgeld an korrupte Beamte zu bezahlen. Über Großhändler gelangt das Kobalt meist nach China, wo es aufbereitet und in Batterien verbaut wird. „Egal, ob in Afrika, Südamerika, Indonesien oder Nordschweden – die Menschen vor Ort profitieren nirgends von den Minen“, bringt es Stefanie Wuschitz auf den Punkt.
Wettlauf um das „weiße Gold“
Als 2019 die australische Bergbaufirma AVZ Minerals bei Probebohrungen im Südosten des Kongo auf das vermutlich weltweit größte Lithiumvorkommen gestoßen war, begann ein Wettlauf internationaler Unternehmen um diesen Schatz. Der Weltmarktpreis für das „weiße Gold“ war in den letzten Jahren mit dem Ausbau der Elektromobilität explodiert. Im Jahr 2021 wurden weltweit 100.000 Tonnen Lithium gefördert. Die Nachfrage dürfte bis 2030 zwei bis drei Millionen Tonnen pro Jahr erreichen. Der größte Player im Lithiumgeschäft ist China. Die chinesische Firma CATL ist Weltmarktführer in der Batterieherstellung für Elektroautos. Peking versucht, über Anteile an Joint Ventures auch den Zugang zum Rohstoff selbst zu kontrollieren.
Fruchtbare Zone zwischen den Feldern
Die Medienkünstlerin der Akademie der bildenden Künste Wien beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie Elektronik aus wiederverwertbaren und organischen Materialien hergestellt werden kann. Dabei arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kunst und Technologie. Eine sehr fruchtbare Zone für innovative Ideen, wie sie meint.
Rohstoffexport untergräbt Demokratie
Das Interesse der Wissenschaftlerin an der Thematik entwickelte sich im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Geschichte Indonesiens und zu seinen Gold- und Kupferminen, ein „Paradebeispiel für ein Land, das zugunsten des Exports von Rohstoffen von einer demokratischen, gerechten Gesellschaft in eine Diktatur katapultiert wurde“, wie sie sagt. Dabei bezieht sie sich auf das „Investor-Staat-Schiedsverfahren“, kurz ISDS, einen Mechanismus, der durch Investitionsabkommen multinationalen Unternehmen ermöglicht, Regierungen zu verklagen, wenn diese geltend machen können, dass inländische Gesetze den Wert ihrer Investitionen mindern. Damit umgehen diese Konzerne nationale Gerichtsbarkeiten.
Problem Wegwerfgesellschaft
Wuschitz sieht das Grundproblem im Paradigma unserer Wegwerfgesellschaft. „Erhalten und Pflegen sind in unserer Gesellschaft schlecht konnotiert. Von der Kinderbetreuung bis zur Altenpflege – Care-Arbeit genießt weder hohes Ansehen noch wird sie gut bezahlt. Das gilt auch für Maschinen“, sagt sie und fordert eine Kreislaufwirtschaft, die nicht nur erhält und repariert, sondern bereits in Design und Produktion das Recycling mitdenkt.
„Viele Firmen haben mittlerweile begriffen, dass man auch mit der Erhaltung von Geräten Profit machen kann.“
Aufwertung der Care-Arbeit notwendig
Diese Botschaft scheint bei immer mehr innovativen Unternehmen anzukommen. „Wir sind zwar Künstlerinnen und kommen aus der utopischen Ecke, aber es gibt mittlerweile viele Firmen, die begriffen haben, dass man nicht nur mit dem einmaligen Verkauf, sondern auch mit der Erhaltung von Geräten Profit machen kann“, erklärt sie. Grundvoraussetzung dafür sei, dass Care-Arbeit in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert bekommt und auch besser bezahlt wird.
Riesige Rohstoffquelle Elektroschrott
Ein Grund, warum noch immer viel zu wenig wiederverwertet wird, liegt darin, dass es meist ein aufwendiger und teurer Prozess ist, die Stoffe aus dem Elektroschrott zu trennen. Dabei liegt darin eine riesige, noch wenig angezapfte Rohstoffquelle. Der Berg an ausgedienten elektronischen Geräten ist enorm hoch und wächst laut Vereinten Nationen weltweit jährlich um mehr als 50 Millionen Tonnen. Darin enthalten sind Metall-Rohstoffe wie Gold, Silber, Kobalt oder Kupfer – und dies in Konzentrationen, wie sie keine Lagerstätte vorweisen kann. Elektroschrott ist der weltweit am schnellsten wachsende Abfallstrom. Grund dafür ist, dass wir einerseits immer mehr Elektrogeräte nutzen und andererseits deren Lebensdauer abnimmt. Früher wurden elektrische Geräte häufiger repariert. Heute sind Ersatzteile oft schwierig zu bekommen, die Reparatur ist im Vergleich zum Neukauf teuer oder Geräte lassen sich gar nicht mehr auseinanderbauen. Expert:innen fordern seit Jahren, den Trend umzukehren – mithilfe von Mindeststandards und verpflichtenden Informationen vonseiten der Hersteller darüber, wie haltbar und reparierbar ihre Geräte sind.
Müllexport nach Afrika
Heute landet unser Müllproblem oft in Afrika. In Ghanas Hauptstadt Accra liegt eine der größten Elektroschrott-Müllkippen Afrikas. Jährlich landen dort rund 250.000 Tonnen ausgediente Altgeräte aus Europa, die von den Menschen dort verbrannt werden, um zu verwertbarem Metall zu kommen. Sie verdienen damit etwas Geld, doch bezahlen dafür mit ihrer Gesundheit. Die Giftstoffe sind in der Luft, im Boden und im Wasser. Gemäß der Baseler Konvention wäre der Export von Elektromüll aus der EU zwar verboten, die Geräte werden aber als „secondhand“ deklariert.
EU-Richtlinie für Herstellerverantwortung
Die EU versucht mittels Vorgaben wie der WEEE-Richtlinie (Waste of Electrical and Electronic Equipment) den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft für Elektroschrott voranzutreiben und fordert von der weltweiten Politik die Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung, d. h. dass der Hersteller eines Geräts gesetzlich auch verantwortlich ist für die Rücknahme, den Transport und die Entsorgung oder Wiederaufbereitung desselben. „Man muss den gesamten Produktlebenszyklus vom Design bis zur Sammlung und ordnungsgemäßen Behandlung des Abfalls durchdenken“, so Wuschitz.
Elektronik aus wiederverwertbarem Material
Die Wissenschaftlerin denkt in ihrer Arbeit noch weiter. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie Elektronik ausschließlich aus wiederverwertbarem Material erzeugt werden kann. In ihrem vom FWF geförderten künstlerischen Forschungsprojekt Feminist Hacking, geht sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Patrícia J. Reis der Frage nach, ob ethische Hardware möglich ist. Darunter verstehen die Forscherinnen „Technologien, die der Umwelt nicht schaden, sondern regenerative Praktiken zum Wohle der Natur und der Menschen anwenden“.
Design und Produktion muss Recycling mitdenken
Im Rahmen dieses Projekts entstand ein Mikrocontroller, der zu hundert Prozent aus recycelten Fair-Trade-Ressourcen besteht. Damit kann man ein Interface bauen, bei dem verschiedene Inputs in Form von analogen oder digitalen Signalen in Bewegung, Licht oder Sound verarbeitet werden. Sobald man jedoch versuche, solche Produkte in Serie zu produzieren, stoße man immer wieder auf das gleiche Problem, meint Wuschitz, nämlich, im Ausgangsprodukt die gleichen Bestandteile zu finden. „Grundvoraussetzung für das Recycling ist deshalb, bereits im Design und in der Produktion mitzudenken, dass die Komponenten wieder leicht lösbar sind“, sagt die Wissenschaftlerin.
Potenzial der Jugend nutzen
Mit ihrem Citizen-Science-Projekt „Salon offener Geheimnisse“, das auf diesem künstlerischen Forschungsprojekt basiert, möchten die beiden Wissenschaftlerinnen das kreative Potenzial der Jugend nutzen. „In Krisenzeiten sind es oft die ganz unorthodoxen Herangehensweisen, die eine Idee plötzlich denkbar machen. Deshalb arbeite ich gerne mit Amateur:innen zusammen“, erklärt Wuschitz den Benefit von Citizen Science, wo Bürger:innen zu Forschenden werden.
Workshops im Technischen Museum Wien
Anfang Oktober finden im techLAB des Technischen Museums Wien Workshops statt, bei denen Besucher:innen in einem virtuellen Spiel alternative Technologien entdecken können. Zunächst navigieren sie durch virtuelle Landschaften, in denen sie Avataren begegnen, die Expert:innen aus der ganzen Welt repräsentieren, welche über konfliktreiche Metalle und deren Abbau informieren sowie alternative Lösungen vorschlagen. Danach bauen die Teilnehmenden in kleinen Experimenten im realen Raum Prototypen, die online präsentiert und mit den Expert:innen auf einer internationalen Onlineplattform besprochen werden.
„Viele erfolgreiche Initiativen im globalen Süden erhalten keine internationale Aufmerksamkeit.“
Erfolgreiche Initiativen aus dem globalen Süden
Die Expert:innen, mit denen sich die Teilnehmer:innen beim Workshop vernetzten, forschen in Deutschland, den USA, Mexiko, Kuba, Indonesien, Nepal, Singapur und Ghana. „Gerade im globalen Süden gibt es sehr viele erfolgreiche, lokale Initiativen, die aber keine internationale Aufmerksamkeit erhalten“, bedauert Wuschitz. „Deshalb brauchen wir mehr Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen aus Europa und dem globalen Süden, auch wenn diese oft nicht in den Journals vertreten sind“, so Wuschitz. Zu ihnen gehört etwa die Firma „Dext“, die in Ghana aus europäischem Elektroschrott Sets für Forschungsexperimente herstellt, die in Schulen eingesetzt werden. Der Techniker Gameli Adzaho engagiert sich für Begegnungszonen zwischen Jugendlichen und Wissenschafter*innen in Ghana, z.B. in Form von Science Cafes. Saad Chinoy, ein Wissenschaftler aus Singapur, arbeitet wiederum daran, Elektronik und Natur zu verschmelzen. Er entwickelt Schlammbatterien, in denen Mikroorganismen Strom erzeugen.
Von Blattlautsprechern zu Schlammbatterien
Im Frühjahr 2023 haben bereits mehrere Workshops mit Jugendlichen stattgefunden, deren kreativer Output in das öffentlich zugängliche WIKI GOSH („Gathering for Open Science Hardware“) gestellt wurde. Zu finden sind etwa funktionstüchtige Lautsprecher aus Papier, Schlammbatterien oder Schaltkreise auf Tontafeln. Zum Abschluss des Projekts werden Schulen Manuals zu den entwickelten Tools zur Verfügung gestellt. Ihre Erfahrungen mit den jungen Menschen bisher? „Je jünger, umso interessanter die Ideen. Es gab etwa viele Ideen zu Kommunikation durch Pflanzen“, erzählt Wuschitz.
Kommunikation zwischen Wissenschaft und Jugendbewegung
Stefanie Wuschitz geht es in ihrer Arbeit auch um die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Jugendbewegung. „Wir möchten die Kreativität und die transformative Arbeit junger Menschen nutzen und hoffen, dass die entstandenen Visionen unsere Vorstellung von Zukunftstechnologie erweitern, und dass den Teilnehmenden umgekehrt die Möglichkeit geboten wird, eine alternative Zukunft zu imaginieren“, beschreibt sie ihr Ziel. Die Basis dafür sei ein demokratischer Zugang zu Wissen, sodass Werte, Ziele und Erwartungen aller gehört werden. „Es ist dringend notwendig, dass junge Menschen, deren Leben besonders von der Klimakrise bedroht ist, die öffentliche Debatte mitgestalten“, beschreibt sie ihre Motivation.
Zur Person
Stefanie Wuschitz arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Forschung und Technologie mit Fokus auf Critical Media Practices (feminist hacking, open source technology, peer production). Sie studierte Medienkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien und an der New York University (Tisch School of the Arts). Wuschitz war Digital Arts Fellow an der Universität Umeå in Schweden, wo sie das queerfeministische Kollektiv Mz* Baltazar’s Laboratory gründete, das heute einen feministischen Hackerspace in Wien betreibt.
2014 schloss sie ihr Doktorat über feministische Hackerspaces an der TU Wien ab. Sie hielt Forschungs- und Postdoc-Positionen an der Universität für angewandte Kunst, der TU Wien, Michigan University und der Universität der Künste Berlin inne. Im Herbst 2023 startet sie ihre vom FWF geförderte Elise Richter PEEK Stelle an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Gleichzeitig betreibt sie künstlerische Forschung, z. B. über Digitalisierung und Feminismus in Indonesien. Ihre künstlerischen Arbeiten wurden in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen präsentiert.