„Das muss in die Köpfe rein“
FWF: Sie wurden Ende vergangenen Jahres zum Vorsitzenden des FWF-Aufsichtsrats gewählt und waren bereits davor als Mitglied in dem Gremium des Wissenschaftsfonds tätig. Was sehen Sie als die zentralen Aufgaben des Aufsichtsrats? Hans Sünkel: Aufgrund der seit Kurzem wirksamen Gesetzesnovelle (Anm.: des Forschungs- und Technologieförderungsgesetzes FTFG) sind die FWF-Gremien ähnlich strukturiert wie jene der Universitäten. Daher hat der Aufsichtsrat beim FWF eine vergleichbare Funktion mit dem Universitätsrat. Bei beiden Gremien sind zwei Aufgaben wesentlich: Beratung und Kontrolle einerseits sowie strategische Planung und Entwicklung andererseits. Es gibt also ein Pflicht- und ein Kürprogramm. Ersteres ist aufgrund der gesetzlichen Vorgaben definiert und umfasst beim Wissenschaftsfonds die Aufsichtsfunktion über alle Prozesse innerhalb der Organisation. Das Kürprogramm bedeutet, dass sich die Mitglieder des Aufsichtsrats in die strategische Planung und Weiterentwicklung des FWF einbringen und damit auch für das gesamte Wissenschaftssystems des Landes einen Beitrag leisten. FWF: Wie bewerten Sie die bisherige Zusammenarbeit im Aufsichtsrat, der sich aus zwei Gruppen zusammensetzt: Auf der einen Seite aus Persönlichkeiten, die von der Delegiertenversammlung gewählt werden und Universitäten sowie Forschungsstätten repräsentieren; auf der anderen Seite aus Mitgliedern, die von den Ministerien nominiert werden. Sünkel: Diese Zusammensetzung des Aufsichtsrats hat den Vorteil, dass es keine Schlagseite, sondern ein Zusammenwirken gibt. Bis jetzt war diese Zusammenarbeit absolut friktionsfrei, für manche verwunderlich friktionsfrei. Wir haben uns bestens ergänzt, weil wir aus verschiedenen thematischen Bereichen kamen und dennoch mit einer Zunge gesprochen haben. Ich erachte es als wesentlich, dass man die Sache in den Vordergrund stellt und seine eigenen Kompetenzen zum Wohl der Sache einbringt. Ähnlich sehe ich das auch im jetzigen Aufsichtsrat, wiewohl er sich erst neu konstituiert hat. FWF: Das Präsidium des FWF wird 2016 neu gewählt. Die Wahl der Präsidentin beziehungsweise des Präsidenten erfolgt dabei heuer erstmals durch den Aufsichtsrat auf Grundlage eines Dreiervorschlages der Delegiertenversammlung. Wie sieht Ihre ideale Kandidatin, Ihr idealer Kandidat aus? Wünschen Sie sich auch eine „eierlegende Wollmilchsau“ oder einen „Wunderwuzzi“ wie „Der Standard“ jüngst titelte?
„Das Anforderungsprofil ist ähnlich jenem eines Rektorats. “
Sünkel: Auch dieses Vorgehen, also wie das Präsidium gewählt wird, ist nun ident mit jenem der Universitäten. Durch die neue rechtliche Situation wurden die Vorteile dieser Entwicklung an den Unis nun auch im FWF abgebildet. Und das Anforderungsprofil ist ähnlich jenem eines Rektorats. An die künftige Präsidentin oder an den Präsidenten des FWF werden aufgrund der Komplexität des Aufgabenprofils tatsächlich viele Anforderungen gestellt, wissend, dass man diese nicht alle mit gleicher Intensität und Qualität erfüllen kann. Sehr wohl ist es meines Erachtens notwendig, dass eine Institution, deren zentrale Aufgabe die Förderung der Gundlagenforschung ist, von einer Person geleitet wird, die aus dem Wissenschaftsbereich kommt. Auf jeden Fall braucht es diese Forschungserfahrung. Die internationale Erfahrung wiederum ist unumgänglich, weil die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, mehr und mehr international werden. Weiters muss diese Person auch Managementqualitäten vorweisen, gleich wie ein Rektor, und folglich die wesentlichen Werkzeuge des Managements beherrschen. Darüber hinaus muss jemand kommunikativ und auch in der Öffentlichkeit stark präsent sein. Und schließlich geht es darum, möglichst viel Geld für den FWF einzuwerben. Es muss also jemand auch ein guter Verhandlungspartner sein gegenüber der einschlägigen Politik und in Zukunft sicherlich auch vermehrt gegenüber anderen Geldgebern wie etwa Stiftungen. FWF: Was bewerten Sie als die wichtigste Kompetenz dieses beschriebenen, umfangreichen Profils? Sünkel: Wesentlich ist, die Voraussetzungen bieten zu können, die eine gute Weiterentwicklung des FWF erlaubt, weil davon alle anderen, das heißt die Unis und Forschungsstätten profitieren. Um das gewährleisten zu können, braucht es eine sehr solide budgetäre Basis. Daher ist das Verhandlungsgeschick ganz besonders wichtig. Als genauso wichtig erachte ich aber die Außenrepräsentation und Kommunikation mit der Öffentlichkeit, weil von dort ja letztlich indirekt das Geld kommt. FWF: Können Sie sich vorstellen, dass die Wahl nicht reibungslos verläuft, wie dies an manchen Universitäten der Fall war, wo es Uneinigkeiten zwischen Universitätsrat und Senat gab? Sünkel: Denkbar ist natürlich alles, aber wir gehen davon aus, dass das nicht stattfindet. Unser Ziel ist es, den Prozess friktionsfrei zu gestalten. So gehen wir gemeinsam, Aufsichtsrat und Delegiertenversammlung, parallel zu den Ausschreibungen proaktiv auf Personen zu.
FWF: Der FWF ist die zentrale Förderungsorganisation für ergebnisoffene Forschung, sprich für Grundlagenforschung in Österreich und damit Förderer von Innovation und Fortschritt. Für die nächsten Jahre ist eine steigende Zahl von Anträgen bei stagnierendem Budget zu erwarten. Wie soll der FWF mit dieser Situation umgehen? Sünkel: Die budgetäre Ausstattung ist ein zentrales Thema. Geld ist zwar nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts, wie es so schön heißt. In den Jahren 2016 bis 2018 hat der FWF ein konstantes Budget von 184 Millionen pro Jahr. Damit besteht zumindest Planungssicherheit – wiewohl wir wissen, dass die Summe zu niedrig ist, um alle Anforderungen erfüllen zu können. Die Schere zwischen den Anforderungen und den budgetären Verfügbarkeiten geht von Jahr zu Jahr weiter auf. Anträge steigen durchschnittlich um acht Prozent pro Jahr. Die Folge ist, dass Bewilligungsquoten sinken. Das ist für die Antragsteller negativ, weil die
„Die Schere zwischen den Anforderungen und den budgetären Verfügbarkeiten geht von Jahr zu Jahr weiter auf.“
Erfolgswahrscheinlichkeit sinkt, gleichzeitig auch negativ für die Begutachter, weil selbst sehr gut bewertete Projekte nicht finanziert werden können. Weitere Maßnahmen sind etwa die Einstellung der Neuausschreibung von Doktoratskollegs. Wir hoffen, dass wir solche Notmaßnahmen nur temporär einsetzen müssen und das laufende Jahr nützen können, um eine zukunftsweisende budgetäre Entwicklung des FWF klar darzustellen und letztlich mit dem Ministerium abzustimmen beziehungsweise verhandeln zu können – mit Blick auf die Nachbarländer Deutschland und Schweiz. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit zusätzlich Geld zu erschließen. Also eine Art „Money Mining“ zu betreiben, wie es etwa Staatssekretär Harald Mahrer vom Wissenschaftsministerium anregt. Das klingt einfach, ist aber schwierig und vor allem noch ein wenig Zukunftsmusik, zumal es für den FWF Neuland bedeutet und daher kaum Erfahrungswerte vorliegen, die in die Budgetplanung einfließen könnten. FWF: Gleichzeitig geht durch diese budgetäre Situation viel wissenschaftliches Potenzial verloren. Wie passt das mit Anforderungen zusammen, wie etwa zu den Innovation Leadern zählen zu wollen?
„Letztlich sind es Forschung und Innovation, die die Zukunft des Landes insgesamt sichern. “
Sünkel: Dass sich die Schere zwischen budgetärem Angebot und Nachfrage bei Projektfinanzierungen seit Jahren mehr und mehr öffnet, ist für die Scientific Community natürlich bedenklich. Gleichzeitig zeigt uns dieses Öffnen aber, dass vor allem beim wissenschaftlichen Nachwuchs, von dem beim FWF die meisten Anträge eingehen, ein beachtliches Forschungspotenzial und Engagement in unserem Land vorhanden sind. Das ist erfreulich und sollte zuversichtlich stimmen. Dass man diese mögliche sehr positive Entwicklung auch finanziell bedienen muss, ist der Politik vielleicht noch nicht ganz klar. Letztlich sind es Forschung und Innovation, die die Zukunft des Landes und damit der Wirtschaft, der Industrie, ja der Gesellschaft insgesamt sichern. FWF: Der Pathologe und ehemalige FWF-Präsident Georg Wick meinte unlängst in einem Gastkommentar, die triste Situation der österreichischen Grundlagenforschung beruhe auf einem mangelhaften Verständnis der Politik und der Öffentlichkeit für Wissenschaft als Teil unseres Kulturguts. Teilen Sie diese Einschätzung? Sünkel: Es gibt derzeit wohl noch zu wenig Bewusstsein dafür, was Grundlagenforschung wirklich leistet. Daher erachte ich Öffentlichkeitsarbeit als eine zentrale Aufgabe. Es geht darum, in den Medien stark präsent zu
„Es gibt noch zu wenig Bewusstsein dafür, was Grundlagenforschung wirklich leistet.“
sein, das Wort bewusst wie auch selbstbewusst zu erheben und sich als Institution zu öffnen. Das alles bedeutet viel Arbeit und hat nicht unmittelbar einen „Return on Investment“ zur Folge. Und gerade die Grundlagenforschung hat einen langen Atem, der viel Engagement und große Begeisterung, auch in der begleitenden Kommunikation, braucht. Die ständige Kommunikation mit der Politik, mit der Wirtschaft und der Gesellschaft ist daher wirklich essenziell. Das muss in die Köpfe rein. FWF: Sie haben eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn zurückgelegt und internationale Forschungsgruppen geleitet. Welche Voraussetzungen brauchen Wissenschafter, um gut arbeiten zu können und damit auch einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten? Sünkel: In der mittlerweile weit zurück liegenden Vergangenheit hat ein Wissenschafter im stillen Kämmerchen mit Papier und Bleistift gearbeitet und quasi in „splendid isolation“ arbeiten können. Heute ist die Idealsituation meist dann gegeben, wenn der Wissenschafter in einer Gruppe mit anderen seine Gedanken entwickeln und umsetzen kann. Das heißt er braucht ein Biotop, in dem er sich fachlich-qualitativ wohlfühlt und genügend Freiheiten hat. Zu starke Reglementierung ist absolut kontraproduktiv. Grundlagenforschung ist ähnlich einer Expedition: Man weiß zu Beginn nicht, was am Ende rauskommt. Forschung ist also mit Risiko verbunden. Das bedeutet, es braucht Mut zum Risiko, Mut seitens der Forscher, ein gewisses Thema zu bearbeiten und ebenso Mut seitens des Geldgebers, Risikokapital bereitzustellen. Die besten Leute, ausreichende Finanzierung und Freiraum sind die Ingredienzien für eine zukunftsorientierte Wissenschaft mit hohem Output. FWF: Was zeichnet erfolgreiche Teams noch aus? Sünkel: Für Wissenschaftsteams gilt das gleiche wie für Fußballteams. Man spricht von den „drei C’s“: Competence, Cooperation und Competition. Das bedeutet, jede Person braucht erstens maximale Kompetenz auf ihrem Gebiet, muss aber zweitens auch die Nachbardisziplinen hinreichend kennen und mit diesen kooperieren, und drittens ganz bewusst in den internationalen Wettbewerb eintreten, der wiederum die Qualitätsmaßstäbe vorgibt. FWF: Österreich ist ein kleines Land. Wie viel Potenzial haben wir, um im internationalen Wettbewerb zu reüssieren?
„Wir dürfen nicht glauben, dass wir in allen Gebieten gleich gut sein können.“
Sünkel: Wir dürfen in unserem relativ kleinen Österreich nicht glauben, dass wir in allen Gebieten gleich gut sein können. Von dieser Idee müssen wir uns verabschieden. Für unsere Größe gesprochen, sind wir ohnehin schon recht gut. Und in einigen Bereichen wie zum Beispiel in der Quantenphysik, in der Genetik oder Weltraumforschung zählt Österreich zur internationalen Spitzenklasse. Unsere Stärken müssen wir stärken. Das Ziel sollte sein, den Qualitätsstandard insgesamt zu heben und daneben einige Spitzen zu haben. Hier geht es nicht nur um gute Forschung, sondern auch um die Lehre. Eine gute Ausbildung ist ebenso wesentlich. Da gibt es nach wie vor eine gewisse Schieflage im Land. Man sollte aber beide, Lehre und Forschung, auf gleicher Augenhöhe sehen, so wie gute Unis das auch tun, vor allem im angloamerikanischen Raum. FWF: Sie waren nicht nur Wissenschafter, sondern unter anderem auch Rektor der TU Graz, Präsident der uniko und sind jetzt Vorsitzender des FWF-Aufsichtsrats. Ihre Erfahrungen reichen also vom Manager über den Vermittler bis zum Verhandler. Wie sehr profitieren Sie von diesen Erfahrungen? Sünkel: Als Wissenschafter lebt man für sein Fach und versucht, international zu reüssieren. Im Vergleich dazu ist die Managerfunktion eine ganz andere fordernde Aufgabe. Es gibt keine Ausbildung zum Rektor, was bedeutet, dass einige Kompetenzen wohl erst im Job erworben werden müssen. Vorteilhaft ist es, wenn man über eine möglichst breite intellektuelle Basis verfügt, und auf dieser dann die Entwicklung einer Institution nicht nur beobachten, sondern auch steuern kann. Dazu ist es notwendig, dass man international tätig war, um die Dinge nicht nur regional zu sehen, sondern den Blick auf das große Ganze zu haben. Die Erfahrungen eines Rektors sind meines Erachtens eine gute Voraussetzung etwa zur Leitung einer wissenschaftlichen Akademie oder einer bedeutenden Förderungsinstitution wie jener des Wissenschaftsfonds.
Hans Sünkel ist international anerkannter Experte für Satellitengeodäsie (Erdvermessung via Satellitenbeobachtung) und Träger zahlreicher in- und ausländischer Auszeichnungen. Er hat eine Professur an der Technischen Universität Graz inne, deren Rektor Sünkel von 2003 bis 2011 war. Als Präsident der uniko, der Österreichischen Universitätenkonferenz, von 2010 bis 2011 forderte Sünkel Studiengebühren und kämpfte gegen die Unterfinanzierung der Unis. Seit Dezember 2015 ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats des FWF.