Junge Forscherin mit Schildkappe, im Hintergrund Berkeley Bay Area
Schrödinger-Stipendiatin Miriam Gassner erforscht an der UC Berkeley europäische Rechtsgeschichte. © privat

Eine Übersiedlung ins Ausland ist nie alltäglich – umso weniger wenn sie wie im Falle tausender Wissenschaftler:innen im Zuge des Zweiten Weltkriegs unfreiwillig erfolgte. Sie ist stets mit Vorbereitungen und einer gewissen Unsicherheit verbunden, egal wohin es geht oder wie geübt man in Sachen Ortsveränderung ist. Nun erfolgte meine Übersiedlung aus freien Stücken, in ein Land mit dessen Sprache und Kultur ich vertraut war und ist schon deshalb nicht vergleichbar. Auch Erfahrung mit Ortsveränderungen hatte ich: als Austauschschülerin in den USA, als Studentin in Frankreich, als Erasmusstudierende in Spanien. Dazu kamen mehrmonatige Forschungsaufenthalte in Lateinamerika und Russland während meines Doktoratsstudiums. Und doch war es dieses Mal anders: Mittlerweile Mutter dreier Kinder im Alter von neun, sieben und vier Jahren, begleitete mich meine Familie auf meinem Forschungsaufenthalt nach Kalifornien.

Wie wirkten die durch den Anschluss im Jahr 1938 vertriebenen Rechtswissenschaftler:innen im amerikanischen Exil fort? Miriam Gassner erforscht, das Leben und wissenschaftliche Vermächtnis von österreichische Rechtsgelehrten.

Campus Berkeley - Southern Gate
Campus Berkeley - Southern Gate © M. Gassner

Hervorragende Bibliotheken, einzigartiges Archivmaterial und Zeitzeugen

„Der Besuch der Bibliothek ist ein Abenteuer“, wusste schon der Vater der österreichischen Bundesverfassung Hans Kelsen über die Bancroft Library zu berichten, der nach seiner Vertreibung aus Europa ab 1942 an der UC Berkeley lehrte und in der Bay Area „des Wandermüden letzte Ruhestätte“ fand, wie in seiner Autobiografie nachzulesen ist. Kelsen war kein Einzelfall: Berkeley entwickelte sich im Zuge des Zweiten Weltkriegs zu einem regelrechten Science-Hub für aus Europa vertriebene Wissenschaftler:innen, deren (rechtswissenschaftliches) Vermächtnis im amerikanischen Exil es nun für mich in den Bibliotheken, Archiven und durch Zeitzeugengespräche zu erforschen gilt.

Berkeley Library
Berkeley Library © M. Gassner

Schwierig, aber machbar

Ein Forschungsaufenthalt auf einem anderen Kontinent, exakt 9.616 Kilometer fern der gewohnten Umgebung und sozialen Netzwerke, ist mit zwei Schulkindern und einem Kleinkind, gelinde ausgedrückt, herausfordernd. Während ich mich in den ersten Wochen selbst an der Universität einzuleben hatte, begannen meine Kinder eine örtliche öffentliche Volksschule bzw. einen Kindergarten zu besuchen und benötigten – nicht zuletzt wegen der unzulänglichen Sprachkenntnisse – gerade in den ersten Monaten intensive Unterstützung.

CAL Football Game
CAL Football Game © M. Gassner

Nach ungefähr drei Monaten war die Sprachbarriere aber überwunden und die Kinder in der Lage, dem Regelunterricht zu folgen. Die größte Herausforderung bei einem Forschungsaufenthalt in der Bay Area mit Kleinkindern ist jedoch finanzieller Natur: Während öffentliche Schulen grundsätzlich durchwegs gut und gratis sind (bezahlen muss man jedoch für eine allfällige Nachmittagsbetreuung), hat man für einen – in allen Bereichen durchschnittlichen – Kindergartenplatz mit monatlich 2.000 bis 3.000 Dollar zu rechnen.

Rechnet man dies zu den selbst für amerikanische Verhältnisse horrenden Lebenshaltungskosten in der Bay Area hinzu (2.000 Dollar für ein Zimmer), wird schnell klar, dass auch das Schrödinger-Stipendium mit all seinen Zulagen für ein Leben in Berkeley nicht ausreicht.

Golden Gate Bridge at sunset
Golden Gate Bridge © unsplash+

Trotz aller Herausforderungen hat sich die Reise ans andere Ende der Welt gelohnt: Zeitzeugeninterviews und in den örtlichen Archiven vorgefundene aufgefundene Aufzeichnungen zeichnen ein vollkommen neues Bild der aus Österreich vertriebenen Rechtswissenschaftler:innen und ihres Wirkens im amerikanischen Exil. Und der Blick auf die Golden Gate Bridge bei Sonnenuntergang entschädigt für so manche anfängliche Wutausbrüche und „Ich will zurück nach Österreich“-Rufe.