Soja als Wegbegleiter der Globalisierung

Noch im 19. Jahrhundert war Soja ein Nischenprodukt, das außerhalb der kulinarischen Traditionen Japans, Koreas und Chinas kaum Verwendung fand. Heute ist das gänzlich anders. Die proteinreiche Hülsenfrucht ist das weltweit meistgehandelte Agrargut – weit vor Weizen, Kaffee oder Mais. Ohne Soja als Futtermittel wären die industrielle Massentierhaltung und der enorme Fleischkonsum der Menschheit kaum aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig ist die Pflanze aber auch eine der wichtigsten Zutaten einer fleischlosen Ernährung. Der großflächige Anbau prägt die Wirtschaftssysteme ganzer Staaten und sorgt damit auch für zahllose soziale und ökologische Probleme – von der Verdrängung indigener Kleinbauern in Brasilien bis zum Biodiversitätsverlust durch monumentale Monokulturen.
Österreich als Teil des globalen Sojanetzwerks
Der rasante Aufstieg der Nutzpflanze ist der Ausgangspunkt eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekts am Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz. Ernst Langthaler und seine Kollegen Maximilian Martsch und Gabriel Tober untersuchen anhand von Soja, wie sich die Strukturen einer landwirtschaftlichen Lebensmittelversorgung im Zuge der Globalisierung verändert haben. Schwerpunkt der Betrachtung ist Österreich als ein Knotenpunkt des weltweiten Sojanetzwerks – ein Land, in dem bereits sehr früh an der Kultivierung der Sojabohne geforscht wurde und das heute erstaunlich große Anbauflächen aufweist.
„Soja ist charakteristisch für die Geschichte der Globalisierung und kann der Beschäftigung mit diesem abstrakten Forschungsgegenstand einen konkreten Fokus verleihen“, sagt Langthaler. „Wir stellen die Frage, wie Österreich in Bezug auf Soja in das globale Nahrungsmittelregime eingebunden ist, und interessieren uns für globale Verflechtungen, Warenströme und ihre Regulierung. Gleichzeitig betrachten wir das Thema ,von unten‘ – aus der Sicht der Menschen oder Organisationen, die mit Anbau, Handel oder Verarbeitung beschäftigt sind.“ Als Quellen für die Forschungsarbeit wurden historische wissenschaftliche Publikationen und Zeitungsartikel herangezogen sowie Expert:innen aus Bereichen wie Züchtung, Verarbeitung und Handel interviewt. Zudem stand der Nachlass des österreichischen Mediziners Ernst Kupelwieser zur Verfügung, der bereits in den 1930er-Jahren eine Fabrik zur Herstellung von Mehlersatz aus Soja aufbaute.
Das Projekt
Soja steht exemplarisch für die Geschichte der Globalisierung. Wie es zum rasanten Aufstieg der Nutzpflanze kam und welche Rolle Österreich dabei spielte, erforschen Historiker an der Universität Linz. Bereits in den 1930er-Jahren baute der Mediziner Ernst Kupelwieser eine Fabrik, in der Mehlersatz aus Soja hergestellt wurde.
Europäischer Aufstieg der Bohne beginnt in Wien
Soja hat weltweit und auch speziell in Österreich eine mehr als 100-jährige Geschichte. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts züchtete der Gründer der Universität für Bodenkultur Friedrich Haberlandt erfolgreich die ersten Sojapflanzen aus Samen, die er bei der Weltausstellung 1873 von asiatischen Händlern erworben hatte. Den Versuch, Soja als Nahrung für das Volk zu etablieren, setzte in den 1930er-Jahren der Mediziner Ernst Kupelwieser fort. In Schwechat produzierte er Mehl unter der Marke „Edelsoja“.
Mittlerweile wird die Sojabohne in Österreich großflächig angebaut. Im Jahr 2023 wurden rund 87.500 Hektar bepflanzt, 35 Prozent davon in biologischer Bewirtschaftung. Österreich ist damit der siebtgrößte Sojaproduzent in Europa. Rund die Hälfte des Ertrags wird für die Lebensmittelerzeugung verwendet.
Die vier Phasen der österreichischen Sojageschichte
Die Geschichte des Sojas in Österreich ab 1870 lässt sich in mehrere Phasen unterteilen: Der erste Abschnitt ist vom Agrarwissenschaftler Friedrich Haberlandt geprägt, der als Pionier der Sojakultivierung eine globale Wirkkraft erlangte. Haberlandt lernte die Sojabohne 1873 auf der Wiener Weltausstellung kennen und führte als Professor für Pflanzenbau an der damals frisch gegründeten Universität für Bodenkultur Wien zahlreiche Anbauversuche durch. Die Arbeiten Haberlandts beeinflussten sowohl nachfolgende Wissenschaftsgenerationen als auch die aufkeimende landwirtschaftliche Nutzung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Bereits im Ersten Weltkrieg stellte man Überlegungen an, wie Ersatzprodukte aus Soja günstig tierisches Protein ersetzen könnten, dessen Verfügbarkeit in der Kriegswirtschaft stark zurückging. „Soja beginnt ein Schlüsselprodukt für die Lösung von Krisen zu werden“, beschreibt Langthaler ein Charakteristikum der zweiten Phase, die die beiden Weltkriege samt der Weltwirtschaftskrise umspannt. Sojaversuche des österreichischen Ackerbauministeriums wurden in der Zwischenkriegszeit weitergeführt. Eine zentrale Figur ist hier der aus Ungarn stammende László Berczeller, der auf Basis der Arbeiten Haberlandts mehrere Verfahren zur Sojaverarbeitung entwickelte und patentieren ließ.
„Bereits im Ersten Weltkrieg stellte man Überlegungen an, wie Ersatzprodukte aus Soja günstig tierisches Protein ersetzen könnten.“
Soja als Ersatz für tierisches Protein
„Eines seiner Patente beschreibt ein vollfettes Sojamehl als billige und nahrhafte Alternative zum teuren Fleisch, was in einer Zeit der Armut und Arbeitslosigkeit auf Resonanz stieß“, sagt Langthaler. Hier kommt auch Ernst Kupelwieser ins Spiel, der eine Fabrik in Schwechat aufbaute, um Berczellers Entwicklung unter der Marke „Edelsoja“ zu kommerzialisieren. „Bis zu einem gewissen Grad funktionierte das. Der absolute Renner wird es allerdings erst nach dem ,Anschluss‘ an Nazideutschland“, schildert der Historiker. „Edelsoja wird Teil der Kantinenkost des Arbeitsdienstes und der Wehrmachtsverpflegung.“ Während des Kriegs wird Soja von einer Londoner Zeitung gar als „Nazibohne“ etikettiert. Kupelwiesers Industrieanlage wird schließlich 1944 bei einem Luftangriff zerstört.
Vom Importgut zur eigenständigen Sojaproduktion
Ab den 1930ern hat auch der Sojaanbau in den USA hohe Zuwächse erfahren. Hier sah man es als Weg, die Einkommen von Farmern zu verbessern und die Erosion der Anbauflächen zu vermindern. Man benötigte zudem Glyzerin, das aus Fetten und Ölen hergestellt wurde, für die Produktion von Sprengstoffen, was den Ölfruchtanbau während des Kriegs extrem ansteigen ließ. Nach 1945 war Soja in den USA dann plötzlich im Übermaß vorhanden. Abnehmer fand man unter anderem in Westeuropa. Auch Österreich, wo Wohlstand und Fleischkonsum im Zuge des Wiederaufbaus rasch anstiegen, gehörte zu den Importländern – für Langthaler kennzeichnet diese Entwicklung die dritte Phase der heimischen Sojanutzung.
Die vierte Phase beginnt mit ersten Versuchen in den 1970ern, von diesen Einfuhren unabhängiger zu werden, was im Exportland USA allerdings nicht gerne gesehen wurde. „Ein Ölsaatenprojekt in Österreich scheiterte etwa an einer Intervention der USA. Eine Delegation machte klar, dass die österreichischen Milch- und Käseausfuhren in die USA damit auf dem Spiel stehen würden“, veranschaulicht der Historiker. In den 1980ern gibt es aber zumindest wieder Anbauversuche von einigen „Sojafreaks“ an der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU). Auch wenn durch den Druck aus den USA zuerst der Anbau noch zurückging, eröffnete der EU-Beitritt schließlich neue Gelegenheiten für eine eigenständige Sojaproduktion.
Rückenwind durch Gentechnikverbot
Europa versuchte in den 1990er-Jahren, hohe Agrarüberschüsse zu reduzieren, was zu einem ersten Boom der vielseitigen Sojabohne führte. Wenige Jahre später machten sich bereits die Auswirkungen der Gentechnik-Debatte bemerkbar. „Die Nachfrage nach gentechnikfreiem Soja stieg stark an und Unternehmen begannen, eigene Sojaprodukte zu vermarkten“, erklärt Langthaler. „Dieser Anstieg hält bis heute an. Österreich hat im internationalen Vergleich hohe Sojaanteile in der Agrarproduktion, wobei etwa jeweils die Hälfte auf Futtermittel und menschliche Nahrungsmittel entfällt.“ Die Importanteile überflügeln die Eigenproduktion aber dennoch beträchtlich. Außerhalb Europas überwiegt heute der Anbau gentechnisch veränderten Sojas.
Wissenschaftliche Grundlagen für klimaneutrale Ökologie
Das globale Zusammenspiel in einem „Sojanetzwerk“ hat über die Jahrzehnte mehrere fundamentale Verschiebungen erlebt. Neue Interessen, die aus Krisen oder wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten entstanden, mischten die Karten immer wieder neu. Heute trägt der Sojaanbau als wesentliche Grundlage der Massentierhaltung, mit den Regenwaldrodungen und den enormen Transportmengen auch stark zur Klimaerwärmung bei. Soja ist zu einem relevanten Teil jener gravierenden menschlichen Eingriffe ins Erdsystem geworden, die Wissenschaftler:innen mit dem Begriff des Anthropozäns umschreiben. Eine künftige Ökologisierung erfordert nun eine neuerliche grundlegende Veränderung des Nahrungsregimes. „Unsere Untersuchungen eignen sich als eine Wissensgrundlage für die Diskussion, wie dieser Umbau zu bewerkstelligen ist“, resümiert Langthaler. „Gerade die europäische Gentechnik-Debatte hat gezeigt, dass man die Spielregeln auch verändern kann. Das gibt also Hoffnung, dass auch eine sozialökologische Transformation in Richtung Klimaneutralität möglich ist.“
Zur Person
Ernst Langthaler ist Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und Leiter des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz. Zuvor war er unter anderem Gastprofessor an den Universitäten Innsbruck und Wien, Fellow am Rachel Carson Center for Environment and Society in München und Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes (IGLR) in St. Pölten. Zu den Forschungsschwerpunkten Langthalers gehören Agrar- und Ernährungsgeschichte sowie Global- und Regionalgeschichte. Das von 2022 bis 2026 laufende Projekt „Soja und Agrar-Ernährungstransitionen“ wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 285.000 Euro gefördert.
Publikationen
Langthaler E., Martsch M., Tober G.: Agro-Food Change through the Lens of Soy, in: H / Soz / Kult, 14.01.2025 (Tagungsbericht)
Langthaler E.: Soy, in: Jeannie Whayne (Hg.), The Oxford Handbook of Agricultural History (pp. 304–324), Oxford University Press 2024