Arbeiter bei der Ernte von Sojabohnen.
Der Aufstieg der Sojabohne ist eine Geschichte der Globalisierung. Von Ostasien aus hat sie die Welt erobert und wurde zur wichtigsten Ware im Agrarwelthandel. © pixabay

Noch im 19. Jahrhundert war Soja ein Nischenprodukt, das außerhalb der kulinarischen Traditionen Japans, Koreas und Chinas kaum Verwendung fand. Heute ist das gĂ€nzlich anders. Die proteinreiche HĂŒlsenfrucht ist das weltweit meistgehandelte Agrargut – weit vor Weizen, Kaffee oder Mais. Ohne Soja als Futtermittel wĂ€ren die industrielle Massentierhaltung und der enorme Fleischkonsum der Menschheit kaum aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig ist die Pflanze aber auch eine der wichtigsten Zutaten einer fleischlosen ErnĂ€hrung. Der großflĂ€chige Anbau prĂ€gt die Wirtschaftssysteme ganzer Staaten und sorgt damit auch fĂŒr zahllose soziale und ökologische Probleme – von der VerdrĂ€ngung indigener Kleinbauern in Brasilien bis zum BiodiversitĂ€tsverlust durch monumentale Monokulturen.

Österreich als Teil des globalen Sojanetzwerks

Der rasante Aufstieg der Nutzpflanze ist der Ausgangspunkt eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekts am Institut fĂŒr Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte der Johannes Kepler UniversitĂ€t Linz. Ernst Langthaler und seine Kollegen Maximilian Martsch und Gabriel Tober untersuchen anhand von Soja, wie sich die Strukturen einer landwirtschaftlichen Lebensmittelversorgung im Zuge der Globalisierung verĂ€ndert haben. Schwerpunkt der Betrachtung ist Österreich als ein Knotenpunkt des weltweiten Sojanetzwerks – ein Land, in dem bereits sehr frĂŒh an der Kultivierung der Sojabohne geforscht wurde und das heute erstaunlich große AnbauflĂ€chen aufweist.

„Soja ist charakteristisch fĂŒr die Geschichte der Globalisierung und kann der BeschĂ€ftigung mit diesem abstrakten Forschungsgegenstand einen konkreten Fokus verleihen“, sagt Langthaler. „Wir stellen die Frage, wie Österreich in Bezug auf Soja in das globale Nahrungsmittelregime eingebunden ist, und interessieren uns fĂŒr globale Verflechtungen, Warenströme und ihre Regulierung. Gleichzeitig betrachten wir das Thema ,von unten‘ – aus der Sicht der Menschen oder Organisationen, die mit Anbau, Handel oder Verarbeitung beschĂ€ftigt sind.“ Als Quellen fĂŒr die Forschungsarbeit wurden historische wissenschaftliche Publikationen und Zeitungsartikel herangezogen sowie Expert:innen aus Bereichen wie ZĂŒchtung, Verarbeitung und Handel interviewt. Zudem stand der Nachlass des österreichischen Mediziners Ernst Kupelwieser zur VerfĂŒgung, der bereits in den 1930er-Jahren eine Fabrik zur Herstellung von Mehlersatz aus Soja aufbaute.

Das Projekt

Soja steht exemplarisch fĂŒr die Geschichte der Globalisierung. Wie es zum rasanten Aufstieg der Nutzpflanze kam und welche Rolle Österreich dabei spielte, erforschen Historiker an der UniversitĂ€t Linz. Bereits in den 1930er-Jahren baute der Mediziner Ernst Kupelwieser eine Fabrik, in der Mehlersatz aus Soja hergestellt wurde.

EuropÀischer Aufstieg der Bohne beginnt in Wien

Soja hat weltweit und auch speziell in Österreich eine mehr als 100-jĂ€hrige Geschichte. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts zĂŒchtete der GrĂŒnder der UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Friedrich Haberlandt erfolgreich die ersten Sojapflanzen aus Samen, die er bei der Weltausstellung 1873 von asiatischen HĂ€ndlern erworben hatte. Den Versuch, Soja als Nahrung fĂŒr das Volk zu etablieren, setzte in den 1930er-Jahren der Mediziner Ernst Kupelwieser fort. In Schwechat produzierte er Mehl unter der Marke „Edelsoja“.

Mittlerweile wird die Sojabohne in Österreich großflĂ€chig angebaut. Im Jahr 2023 wurden rund 87.500 Hektar bepflanzt, 35 Prozent davon in biologischer Bewirtschaftung. Österreich ist damit der siebtgrĂ¶ĂŸte Sojaproduzent in Europa. Rund die HĂ€lfte des Ertrags wird fĂŒr die Lebensmittelerzeugung verwendet.

Die vier Phasen der österreichischen Sojageschichte

Die Geschichte des Sojas in Österreich ab 1870 lĂ€sst sich in mehrere Phasen unterteilen: Der erste Abschnitt ist vom Agrarwissenschaftler Friedrich Haberlandt geprĂ€gt, der als Pionier der Sojakultivierung eine globale Wirkkraft erlangte. Haberlandt lernte die Sojabohne 1873 auf der Wiener Weltausstellung kennen und fĂŒhrte als Professor fĂŒr Pflanzenbau an der damals frisch gegrĂŒndeten UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur Wien zahlreiche Anbauversuche durch. Die Arbeiten Haberlandts beeinflussten sowohl nachfolgende Wissenschaftsgenerationen als auch die aufkeimende landwirtschaftliche Nutzung in der ersten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts.

Bereits im Ersten Weltkrieg stellte man Überlegungen an, wie Ersatzprodukte aus Soja gĂŒnstig tierisches Protein ersetzen könnten, dessen VerfĂŒgbarkeit in der Kriegswirtschaft stark zurĂŒckging. „Soja beginnt ein SchlĂŒsselprodukt fĂŒr die Lösung von Krisen zu werden“, beschreibt Langthaler ein Charakteristikum der zweiten Phase, die die beiden Weltkriege samt der Weltwirtschaftskrise umspannt. Sojaversuche des österreichischen Ackerbauministeriums wurden in der Zwischenkriegszeit weitergefĂŒhrt. Eine zentrale Figur ist hier der aus Ungarn stammende LĂĄszlĂł Berczeller, der auf Basis der Arbeiten Haberlandts mehrere Verfahren zur Sojaverarbeitung entwickelte und patentieren ließ.

„Bereits im Ersten Weltkrieg stellte man Überlegungen an, wie Ersatzprodukte aus Soja gĂŒnstig tierisches Protein ersetzen könnten.“

Soja als Ersatz fĂŒr tierisches Protein

„Eines seiner Patente beschreibt ein vollfettes Sojamehl als billige und nahrhafte Alternative zum teuren Fleisch, was in einer Zeit der Armut und Arbeitslosigkeit auf Resonanz stieß“, sagt Langthaler. Hier kommt auch Ernst Kupelwieser ins Spiel, der eine Fabrik in Schwechat aufbaute, um Berczellers Entwicklung unter der Marke „Edelsoja“ zu kommerzialisieren. „Bis zu einem gewissen Grad funktionierte das. Der absolute Renner wird es allerdings erst nach dem ,Anschluss‘ an Nazideutschland“, schildert der Historiker. „Edelsoja wird Teil der Kantinenkost des Arbeitsdienstes und der Wehrmachtsverpflegung.“ WĂ€hrend des Kriegs wird Soja von einer Londoner Zeitung gar als „Nazibohne“ etikettiert. Kupelwiesers Industrieanlage wird schließlich 1944 bei einem Luftangriff zerstört.

Vom Importgut zur eigenstÀndigen Sojaproduktion

Ab den 1930ern hat auch der Sojaanbau in den USA hohe ZuwĂ€chse erfahren. Hier sah man es als Weg, die Einkommen von Farmern zu verbessern und die Erosion der AnbauflĂ€chen zu vermindern. Man benötigte zudem Glyzerin, das aus Fetten und Ölen hergestellt wurde, fĂŒr die Produktion von Sprengstoffen, was den Ölfruchtanbau wĂ€hrend des Kriegs extrem ansteigen ließ. Nach 1945 war Soja in den USA dann plötzlich im Übermaß vorhanden. Abnehmer fand man unter anderem in Westeuropa. Auch Österreich, wo Wohlstand und Fleischkonsum im Zuge des Wiederaufbaus rasch anstiegen, gehörte zu den ImportlĂ€ndern – fĂŒr Langthaler kennzeichnet diese Entwicklung die dritte Phase der heimischen Sojanutzung.

Die vierte Phase beginnt mit ersten Versuchen in den 1970ern, von diesen Einfuhren unabhĂ€ngiger zu werden, was im Exportland USA allerdings nicht gerne gesehen wurde. „Ein Ölsaatenprojekt in Österreich scheiterte etwa an einer Intervention der USA. Eine Delegation machte klar, dass die österreichischen Milch- und KĂ€seausfuhren in die USA damit auf dem Spiel stehen wĂŒrden“, veranschaulicht der Historiker. In den 1980ern gibt es aber zumindest wieder Anbauversuche von einigen „Sojafreaks“ an der Wiener UniversitĂ€t fĂŒr Bodenkultur (BOKU). Auch wenn durch den Druck aus den USA zuerst der Anbau noch zurĂŒckging, eröffnete der EU-Beitritt schließlich neue Gelegenheiten fĂŒr eine eigenstĂ€ndige Sojaproduktion.

RĂŒckenwind durch Gentechnikverbot

Europa versuchte in den 1990er-Jahren, hohe AgrarĂŒberschĂŒsse zu reduzieren, was zu einem ersten Boom der vielseitigen Sojabohne fĂŒhrte. Wenige Jahre spĂ€ter machten sich bereits die Auswirkungen der Gentechnik-Debatte bemerkbar. „Die Nachfrage nach gentechnikfreiem Soja stieg stark an und Unternehmen begannen, eigene Sojaprodukte zu vermarkten“, erklĂ€rt Langthaler. „Dieser Anstieg hĂ€lt bis heute an. Österreich hat im internationalen Vergleich hohe Sojaanteile in der Agrarproduktion, wobei etwa jeweils die HĂ€lfte auf Futtermittel und menschliche Nahrungsmittel entfĂ€llt.“ Die Importanteile ĂŒberflĂŒgeln die Eigenproduktion aber dennoch betrĂ€chtlich. Außerhalb Europas ĂŒberwiegt heute der Anbau gentechnisch verĂ€nderten Sojas.

Wissenschaftliche Grundlagen fĂŒr klimaneutrale Ökologie

Das globale Zusammenspiel in einem „Sojanetzwerk“ hat ĂŒber die Jahrzehnte mehrere fundamentale Verschiebungen erlebt. Neue Interessen, die aus Krisen oder wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten entstanden, mischten die Karten immer wieder neu. Heute trĂ€gt der Sojaanbau als wesentliche Grundlage der Massentierhaltung, mit den Regenwaldrodungen und den enormen Transportmengen auch stark zur KlimaerwĂ€rmung bei. Soja ist zu einem relevanten Teil jener gravierenden menschlichen Eingriffe ins Erdsystem geworden, die Wissenschaftler:innen mit dem Begriff des AnthropozĂ€ns umschreiben. Eine kĂŒnftige Ökologisierung erfordert nun eine neuerliche grundlegende VerĂ€nderung des Nahrungsregimes. „Unsere Untersuchungen eignen sich als eine Wissensgrundlage fĂŒr die Diskussion, wie dieser Umbau zu bewerkstelligen ist“, resĂŒmiert Langthaler. „Gerade die europĂ€ische Gentechnik-Debatte hat gezeigt, dass man die Spielregeln auch verĂ€ndern kann. Das gibt also Hoffnung, dass auch eine sozialökologische Transformation in Richtung KlimaneutralitĂ€t möglich ist.“

Zur Person

Ernst Langthaler ist Professor fĂŒr Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und Leiter des Instituts fĂŒr Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Johannes Kepler UniversitĂ€t Linz. Zuvor war er unter anderem Gastprofessor an den UniversitĂ€ten Innsbruck und Wien, Fellow am Rachel Carson Center for Environment and Society in MĂŒnchen und Leiter des Instituts fĂŒr Geschichte des lĂ€ndlichen Raumes (IGLR) in St. Pölten. Zu den Forschungsschwerpunkten Langthalers gehören Agrar- und ErnĂ€hrungsgeschichte sowie Global- und Regionalgeschichte. Das von 2022 bis 2026 laufende Projekt „Soja und Agrar-ErnĂ€hrungstransitionen“ wird vom Wissenschaftsfonds FWF mit 285.000 Euro gefördert.

Publikationen

Langthaler E., Martsch M., Tober G.: Agro-Food Change through the Lens of Soy, in: H / Soz / Kult, 14.01.2025 (Tagungsbericht)

Langthaler E.: Soy, in: Jeannie Whayne (Hg.), The Oxford Handbook of Agricultural History (pp. 304–324), Oxford University Press 2024