Medienforschung: NĂ€her ans Publikum rĂŒcken
Studienergebnisse zeigen fĂŒr Österreich eine große LĂŒcke auf zwischen dem, was Medien produzieren und dem, was die Menschen als persönlich relevant empfinden. © Priscilla Du Preez / unsplash

„Demokratie ist lebendig und muss gelebt werden, sonst kann sie leicht kippen, wie zum Beispiel in Ungarn“, sagt der Medienforscher Josef Seethaler ĂŒber das Nachbarland, in dem die Medienfreiheit zuletzt massiv eingeschrĂ€nkt wurde. – Mit dem Ergebnis, dass einer funktionierenden Demokratie zusehends die Basis verloren geht: die informierte und engagierte Öffentlichkeit. Wie zentral die Aufgabe der Medien in einer lebendigen Demokratie ist, zeigt sich aktuell neben vielen Beispielen auch an der Corona-Pandemie, wo es (fast) tĂ€glich gilt, neues Wissen, enorme Mengen an Daten und Fakten und viele offene Fragen zu behandeln.

MedienqualitÀt im LÀndervergleich

Um zur Meinungsbildung durch die Bevölkerung beizutragen, mĂŒssen Medien Fakten aufbereiten, die Relevanz der Themen einstufen, die Meinungsvielfalt abbilden und ihr Publikum gezielt ansprechen. Die Wissenschaft spricht von drei zentralen Kriterien der MedienqualitĂ€t: Relevanz, Vielfalt und Deliberation. Diese Kriterien sind Ausgangspunkt einer lĂ€ndervergleichenden Analyse, um die demokratische QualitĂ€t der Medien zu messen. Das Ziel ist, daraus allgemein gĂŒltige Kriterien abzuleiten und Codes zur fundierten Bewertung der MedienqualitĂ€t zu definieren. In dem Projekt „Demokratische QualitĂ€t des Journalismus“, untersuchen Forscherteams in Deutschland, Österreich und der Schweiz erstmals ihre jeweiligen Mediensysteme im LĂ€ndervergleich. Eine regelmĂ€ĂŸige QualitĂ€tsmessung von Medien wird in Österreich und der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland schon lĂ€nger durchgefĂŒhrt. Hier baue man auf bereits vorhandenes Wissen auf, erklĂ€rt Josef Seethaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Wissenschaftler leitet den österreichischen Teil des internationalen Projekts, das mit UnterstĂŒtzung des Wissenschaftsfonds FWF noch bis 2021 lĂ€uft. Erste Ergebnisse liegen fĂŒr Österreich bereits vor, „die durchaus spannenden LĂ€ndervergleiche stehen kurz vor der Publikation“, sagt Seethaler.

Information statt Partizipation

Aufbauend auf vorangegangenen Studien wie unter anderen ĂŒber die QualitĂ€t der tagesaktuellen Berichterstattung und den Wert nicht kommerzieller Sender, die im September 2015 und im Juli 2020 veröffentlicht wurden, konnte das österreichische Forscherteam ihre Analysen fĂŒr das heimische Mediensystem noch etwas differenzierter durchfĂŒhren. „Das DemokratieverstĂ€ndnis ist im Wandel begriffen. Wir beziehen diese Tatsache im Projekt mit ein“, sagt Seethaler. FĂŒr die Funktionen der Medien heißt das, sie basieren auf einem DemokratieverstĂ€ndnis, das sich von einem liberal-reprĂ€sentativen hin zu einem verstĂ€rkt partizipativen Modell entwickelt. „Ein reprĂ€sentatives, also dem sogenannten ObjektivitĂ€tsideal verpflichtetes MedienverstĂ€ndnis ist noch nicht partizipatorisch“, wie Seethaler betont. Doch die Menschen wollen, so der Forscher, mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden sein. Das zeigen auch die aktuellen Studienergebnisse deutlich. „Wir konnten erstmals in Österreich ein Gesamtbild der Produktions- und Nutzungsbedingungen der österreichischen Medien machen.“ DafĂŒr wurden Daten aus 2018 herangezogen. Die Ergebnisse liefern Antworten auf die Fragen, wie Medieninhalte entstehen und wie sie rezipiert, also vom Publikum aufgenommen werden.

Aufholbedarf bei Kontextleistung und Teilhabe

Ein Thema, das 2018 wie auch heute noch die Öffentlichkeit beschĂ€ftigte, war das Thema Migration. Seethaler sieht es als charakteristisch fĂŒr den Gesamtbefund: „Den Medien gelingt es hier gut, Positionen der parlamentarischen Parteien an ihr Publikum zu vermitteln. Das geschieht weitgehend sachlich.“ Weniger gut fĂ€llt hingegen die Bewertung der Analysen aus, wenn es darum geht, die Bevölkerung abzuholen und in Themen einzubinden. „Das Framing klappt nicht“, bringt es der Forscher auf den Punkt, also ein Ereignis in einen Kontext zu stellen, in dem auf Fragen eingegangen wird wie: Welche Ursachen gehen von einem Thema aus, welche Auswirkungen haben Entscheidungen fĂŒr einzelne Betroffene, fĂŒr bestimmte Gruppen oder die Bevölkerung gesamt? Antworten darauf bleiben vielfach offen. Im Vergleich zum Stand vor fĂŒnf Jahren habe sich das Ergebnis der Publikumsanalysen sogar verschlechtert, so Seethaler. Demnach erwarten sich aktuell 35 Prozent der Bevölkerung mehr Kontextleistung, fĂŒr weitere 35 Prozent, steht dieser Wunsch schon an zweiter Stelle. FĂŒr die Mehrheit der Befragten kommen die Medien dem DemokratieverstĂ€ndnis der Öffentlichkeit folglich nicht entsprechend entgegen. Gerade bei politisch sensiblen Themen wĂ€re das aber wichtig, wie Seethaler betont. Dass das BedĂŒrfnis der Bevölkerung nach mehr Teilhabe und fundiertem Wissen wĂ€chst, hat zuletzt auch das Austrian Corona Panel bestĂ€tigt, eine laufende groß angelegte Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie, wo der Wunsch nach Kontextualisierung gleich an zweiter Stelle auf das Liefern von Fakten folgte.

Fokus auf gesellschaftliche Aufgaben lenken

Die GrĂŒnde fĂŒr das mangelnde Framing sieht der Medienwissenschaftler unter anderem im SelbstverstĂ€ndnis der Journalistinnen und Journalisten, das sich stark an Fakten und an der politischen Elite orientiere. Hier ortet Seethaler eine „große Schere“, zwischen dem, was Medien produzieren und dem, was die Menschen als persönlich relevant empfinden. Gegensteuern könnten die MedienhĂ€user mit innovativen AnsĂ€tzen, die partizipatorische Formate ausbauen, wie es etwa nicht kommerzielle Sender, insbesondere in den lĂ€ndlichen Regionen vorleben. Auch das Potenzial von Off- wie Online-Medien könnte besser genĂŒtzt werden, und fundierte Berufsausbildungen wĂŒrden dazu beitragen, den BedĂŒrfnissen der Bevölkerung an mehr Teilhabe und Austausch nachzukommen, nennt Seethaler Beispiele, die Schere zu verkleinern. Vor allem aber mĂŒssten sich Medien die Frage stellen, welche Funktion sie fĂŒr eine demokratische Gesellschaft ausĂŒben möchten. FĂŒr Medien gilt es also insbesondere, nĂ€her an das Publikum zu rĂŒcken, wie die Studie aufzeigt. Sie mĂŒssen sowohl die Politik als auch die Öffentlichkeit im Blick haben. Eine aufgeklĂ€rte Gesellschaft ist dann möglich, wenn alle Bevölkerungsgruppen abgeholt werden. Dass es diesbezĂŒglich in Österreichs Medienlandschaft noch viel Luft nach oben gibt, verdeutlichen ĂŒbrigens auch die Zahlen zur Geschlechterdimension, die in dem Projekt erhoben wurden. „In nur 13 Prozent der Medienberichte, die reprĂ€sentativ fĂŒr 2018 waren, sind Frauen die zentralen Akteure. Die HĂ€lfte der Bevölkerung wird sozusagen nicht abgeholt“, resĂŒmiert Seethaler.


Zur Person Josef Seethaler ist stellvertretender Direktor des Instituts fĂŒr vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung CMC der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der UniversitĂ€t Klagenfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Kommunikation, politische Partizipation, Mediensystemanalyse, Medien- und Kommunikationsgeschichte und Wissenschaftskommunikation. Er ist Mitglied in internationalen Fachgesellschaften wie der International Communication Association ICA und der World Association for Public Opinion Research WAPOR und österreichischer Projektleiter des DACH-Projekts „Demokratische QualitĂ€t des Journalismus“ (2018-2021).


Publikationen

Andreas Riedl: Which journalists for which democracy? Liberal-representative, deliberative and participatory roles among Austrian journalists, in: Journalism Studies 20 (10), 1377-1399, 2019
Josef Seethaler & Maren Beaufort: Recent developments on freedom and pluralism of media in Austria, in: Angelos Giannakopoulos (Hg.), Media, freedom of speech, and democracy in the EU and beyond (pp. 116-130). Tel Aviv: Tel Aviv University – S. Daniel Abraham Center for International and Regional Studies, 2019 (pdf)
Josef Seethaler & Gabriele Melischek: Twitter as a tool for agenda building in election campaigns? The case of Austria, in: Journalism 20 (8), 1087-1107, 2019
Maren Beaufort & Josef Seethaler: Von neuen Formen der Kommunikation zu neuen Formen der Partizipation – oder umgekehrt?, in: Konrad Mitschka & Klaus Unterberger (Hrsg.), Public Open Space: Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 133-142). Wien: Facultas, 2018 (pdf)