Agnes Dellinger im Regenwald
Die Evolutionsökologin Agnes Dellinger hat viele Monate in den RegenwĂ€ldern von Ecuador, Costa Rica, Kolumbien und Peru verbracht. Hier sammelt sie BlĂŒten der nur in SĂŒdamerika beheimateten Meriania sanguinea. © Diana FernĂĄndez

Ein Großteil der BlĂŒtenpflanzen ist fĂŒr ihre Fortpflanzung auf Tiere angewiesen, die die BestĂ€ubung ĂŒbernehmen. WĂ€hrend in Europa Insekten wie Bienen und Nachtfalter diesen Job erledigen, helfen in den Tropen unter anderem auch Kolibris, FledermĂ€use und MĂ€use bei der Verteilung des Pollens. Die evolutionĂ€re Anpassung einer Pflanzenart an eine BestĂ€ubergruppe kann dabei starke Auswirkungen auf Aussehen und Gestalt der Pflanzen haben. Form und Farbe der BlĂŒten sowie Lockmittel und Belohnungen fĂŒr die BestĂ€uber differieren. Eine nicht ganz unumstrittene Hypothese geht von bestimmten Merkmalskombinationen aus – etwa, dass von Vögeln angeflogene BlĂŒten oft rot, geruchslos und nektarreich, von Nachtfaltern besuchte BlĂŒten dagegen weiß, duftend und nektararm sind. In der Forschung spricht man in diesen ZusammenhĂ€ngen auch von BestĂ€ubungssyndromen.

Auf diese Anpassung der BlĂŒten an ihre BestĂ€uber und mögliche BestĂ€uberwechsel durch verĂ€nderte Umweltbedingungen haben sich JĂŒrg Schönenberger und Agnes Dellinger von der UniversitĂ€t Wien in einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstĂŒtzten Projekt konzentriert. Die Botaniker:innen nahmen dabei eine bestimmte Gruppe tropischer Pflanzen in den Fokus. „Viele Forschungsgruppen in der BestĂ€ubungsbiologie arbeiten in Europa und Nordamerika. Wir haben uns dagegen auf eine rein tropische Pflanzengruppe konzentriert, ĂŒber die noch wenig bekannt ist, und an der sich die evolutionĂ€ren Mechanismen gut studieren lassen“, erklĂ€rt Schönenberger.

BĂŒsche, StrĂ€ucher, BĂ€ume und Lianen

Die wissenschaftliche Bezeichnung der untersuchten Pflanzengruppe lautet Merianieae. Sie gehört zur großen, weltweit annĂ€hrend 6000 Arten zĂ€hlenden Familie der SchwarzmundgewĂ€chse. Die Merianieae, benannt nach der 1647 geborenen deutschen Naturforscherin Maria Sibylla Merian, ist nur in SĂŒdamerika beheimatet. „Die etwa 300 Arten dieser Gruppe umfassen StrĂ€ucher, kleine BĂ€ume und Lianen, die in den RegenwĂ€ldern des Amazonas, mehr noch aber in den kĂŒhlen NebelwĂ€ldern der Anden beheimatet sind“, erklĂ€rt Dellinger. „Die BlĂŒten der verschiedenen Spezies sind sehr vielfĂ€ltig. In tiefen Lagen herrschen kleine weiße BlĂŒten vor, in den Bergen sind sie oft groß und rot oder pink.“

Die bienenbestĂ€ubte Art Meriania nobilis im Botanischen Garten in BogotĂĄ. Von den ungefĂ€hr 115 bekannten Arten der Gattung Meriania ist der Großteil in den BergregenwĂ€ldern Venezuelas, Ecuadors, Perus und Kolumbiens heimisch. © Dick Culbert/Flickr

Dementsprechend unterschiedlich ist auch ihre Spezialisierung auf BestĂ€uber. „Die meisten Spezies nutzen zwar Bienen und die – auch bei uns verbreitete – VibrationsbestĂ€ubung, bei der die Bienen durch eine vibrierende Bewegung den Pollen aus der Pflanze lösen. Bei den Merianieae hat die Evolution aber dafĂŒr gesorgt, dass ein Teil der Arten die BestĂ€ubergruppe hin zu Vögeln, MĂ€usen und FledermĂ€usen gewechselt hat“, schildert Schönenberger. „Das macht diese Gruppe fĂŒr unsere Forschung so interessant.“

Feldforschung in den NebelwÀldern der Anden

Ein großer Teil des Projekts bestand aus Feldforschungen in Ecuador und Costa Rica. „Es ging darum, die verschiedenen Pflanzenspezies zu finden, zu untersuchen und zu beobachten“, erlĂ€utert Dellinger. „Wir konnten im Zuge der Expeditionen 30 Arten vor Ort dokumentieren.“ Inklusive der Leihgaben von konservierten BlĂŒten aus bestehenden Sammlungen konnten morphologische Daten, also Daten ĂŒber Form und Struktur der BlĂŒten, von 140 Spezies gesammelt werden. Zum Teil wurde die DNA der Pflanzen extrahiert, um ihr VerwandtschaftsverhĂ€ltnis zu bestimmen. In einzelnen Experimenten wurden Exemplare sogar von Hand bestĂ€ubt.

Bestehenden Theorien zufolge passt sich eine Pflanzenart im Verlauf ihrer Evolution an die fĂŒr sie effizienteste BestĂ€ubergruppe an. Die Auswertungen der gesammelten Daten zu den Merianieae zeigen, dass diese Anpassung stark vom vorhandenen Klima geprĂ€gt ist. Oft ist die Höhenlage ausschlaggebend: „In den warmen und trockenen Klimazonen im Tiefland, aber auch in sonnigen und windgeschĂŒtzten Lagen weiter oben ist die BienenbestĂ€ubung vorherrschend. In den Berg- und NebelwĂ€ldern kommen dagegen sehr oft Kolibris, aber auch andere Wirbeltiere zum Zug“, skizziert Dellinger. „Gerade in Gegenden mit hoher Feuchtigkeit sind wenige bienenbestĂ€ubte Arten zu finden.“ Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass auch der Klimawandel Einfluss auf dieses GefĂŒge hat – hier bedarf es allerdings noch weiterer Forschung.

Eine BlĂŒte von Axinaea lehmannii mit auffĂ€llig blauen StaubblĂ€ttern. Die StaubblĂ€tter sind komplex umgewandelte Strukturen, die zur BestĂ€uberanlockung und -belohnung dienen. Quelle: Agnes Dellinger © Agnes Dellinger

Belohnung fĂŒr BestĂ€uber als wichtiges Kriterium

Das Bestehen von BestĂ€ubungssyndromen – also das Einhergehen der BestĂ€ubungsgruppen mit bestimmten Pflanzenmerkmalen – konnten die Botaniker:innen grundsĂ€tzlich bestĂ€tigen. „Die Pflanzenmerkmale, die die Syndrome bei den Merianieae charakterisieren, sind allerdings sehr spezifisch. Wir konnten etwa sehen, dass hier rote BlĂŒten nicht, wie man annehmen könnte, mit KolibribestĂ€ubung und weiße BlĂŒten nicht mit NachtfalterbestĂ€ubung einhergehen“, erklĂ€rt Dellinger. „Im Gegenteil: Die Farbe scheint bei allen SchwarzmundgewĂ€chsen kein relevantes Merkmal zu sein. DafĂŒr stellte sich die BestĂ€uberbelohnung, die die Tiere beim Besuch der Pflanze erhalten, als wichtiges Kriterium heraus. Bienen werden etwa mit Pollen belohnt, Kolibris, FledermĂ€use und MĂ€use mit Nektar und Sperlingsvögel mit Futterkörpern, die kleinen Luftballonen gleichen.“ Die Anpassung der BlĂŒtenorgane an eine neue BestĂ€ubergruppe kann zudem relativ schnell gehen – schneller als die evolutionĂ€re Entwicklung der Pflanze als Ganzes vermuten ließe.

KĂŒnftig wollen die Botaniker:innen die Forschung noch erweitern und die gesamte Familie der SchwarzmundgewĂ€chse in den Blick nehmen. Dellinger: „Die Familie ist ĂŒberall in den Tropen zu finden. Wir möchten herausfinden, ob sich die Erkenntnisse zu den BestĂ€ubungsmechanismen sowie zu dem klima- und höhenlagenabhĂ€ngigen BestĂ€uberwechseln bei den Merianieae auch auf die Populationen im restlichen SĂŒdamerika, in Afrika und SĂŒdostasien ĂŒbertragen lassen.“

Zu den Personen

JĂŒrg Schönenberger ist als Professor fĂŒr Strukturelle Botanik am Department fĂŒr Botanik und BiodiversitĂ€tsforschung der UniversitĂ€t Wien unter anderem auf die Analyse von Struktur und Funktion der BlĂŒten spezialisiert. FrĂŒhere Stationen seiner Karriere waren die UniversitĂ€t ZĂŒrich, das Schwedische Museum fĂŒr Naturgeschichte in Stockholm, die UniversitĂ€t Stockholm und die University of Wisconsin-Madison in den USA.

Seine Kollegin Agnes Dellinger ist Assistenzprofessorin mit Fokus auf BestĂ€uberwechsel, BlĂŒtenevolution und BlĂŒtendiversitĂ€t. Vor ihrem derzeitigen Engagement an der UniversitĂ€t Wien war sie Postdoc-Forscherin an der University of Colorado in den USA. Das Projekt „BestĂ€uberwechsel und BlĂŒtenevolution in den Merianieae“ wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 300.000 Euro unterstĂŒtzt.